David Cameron ist seit 2010 Regierungschef im Vereinigten Königreich (Bild: bisgovuk / flickr / by-nd 2.0)
Im britischen Frühstücksfernsehen hat Premierminister David Cameron am Donnerstag davor gewarnt, nach Berichten über Fälle von Kindesmissbrauch eine "Hexenjagd" auf Schwule zu beginnen.
Cameron ist in der Sendung "This Morning" des Privatsenders ITV aufgetreten. Der Moderator Phillip Schofield reichte ihm dabei eine Liste von mutmaßlichen Kinderschändern, die er nach einer Kurzrecherche im Internet zusammengestellt hatte; es sollte dabei um ehemalige Politiker der Konservativen gehen. Daraufhin sagte Cameron, ohne auf die Liste zu schauen: "Das ist gefährlich. Wenn wir nicht vorsichtig sind, kann das in eine Art Hexenjagd ausarten, besonders gegen Schwule".
Nach der Sendung wurden sowohl Schofield als auch Cameron kritisiert. So erklärte der Homo-Aktivist Peter Tatchell: "Es ist bedauernswert, dass David Cameron aus Versehen Vorurteile bestätigt und Schwule mit Kindesmisshandlung in Verbindung bringt. Ich bin sicher, das war nicht seine Absicht". Auch die Homo-Gruppe Stonewall erklärte, die Äußerungen des Premierministers würden homosexuellen Briten schaden.
Der schwule konservative Abgeordnete Stuart Andrew attackierte den Moderator der Sendung: "Es ist inakzeptabel, dass auf billige Art über ein so sensibles Thema gesprochen wird. Jeder, der andere beschuldigt, muss zur Polizei gehen, dass die Beschuldigung ordentlich untersucht wird."
Die TV-Regulierungsbehörde Ofcom teilte mit, dass nach der Sendung mehrere Beschwerden eingegangen seien, die man nun prüfen werde. Besonders pikant: In einer Kameraeinstellung waren einige Namen der Liste zu erkennen.
Überbordende Spekulationen
Schofield hatte offenbar eine Liste aus dem Internet zusammengestellt, in der die wildesten Gerüchte zusammengetragen werden. Diese wurde auch über soziale Netzwerke verbreitet, was Cameron zu dem Spruch verleitet hatte, es sollte keinen "Prozess via Twitter" geben. Nach einem BBC-Bericht der letzten Woche, in dem ein Mann über einen Missbrauch durch einen konservativen Politiker sprach, ohne diesen zu benennen, waren Gerüchte hochgekocht. Der "Guardian" nannte am Freitag den Mann und entlastete ihn zugleich als offensichtliches Opfer einer Verwechslung.
Zuvor war in anderen Medien bereits von einem "Pädophilen-Ring" unter Konservativen in den 70ern und 80ern die Rede gewesen. Begünstigt werden die Gerüchte durch das Versagen der Behörden und Medien im Fall des beliebten TV-Moderators Jimmy Savile. Dessen systematischer sexueller Missbrauch von Mädchen und Jungen über Jahrzehnte hinweg wurden erst in den letzen Wochen bekannt.
Die im Internet aufgetauchte Liste beinhaltet vor allem Personen, deren Homosexualität bekannt ist oder vermutet wird. Nicht immer geht es um Missbrauch: So sei angeblich ein früherer Premierminister bei unzüchtigem Verhalten auf einer Toilette erwischt worden.
Das Thema Kindesmissbrauch wird in den englischen Boulevardmedien seit Jahren mit einem großen Maß an Hysterie diskutiert. Immer wieder werden Männer fälschlicherweise beschuldigt.
Im Jahr 2000 veröffentlichte die nach Abhörskandalen inzwischen eingestellte Sonntagszeitung "News of the World" eine Liste angeblicher Kinderschänder. Danach kam es in den Straßen Englands zu Jagdszenen, die auch Unbeteiligte traf. So wurde etwa die Praxis einer Kinderärztin von einem Mob angegriffen. Hysterische Bürger hatten das Wort für Kinderarzt (paediatrician) mit der Bezeichnung für Pädophile (paedophile) verwechselt.
Organisationen gegen Kindesmissbrauch kritisieren immer wieder die hysterische Berichterstattung, die davon ablenke, wie weit verbreiter dieser sei. Auch komme nicht zur Geltung, dass er sich zumeist im Rahmen der Familie abspiele. (dk)
Da stimme ich ihm zu!