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Bundesstiftung Magnus Hirschfeld

Der Zehn-Millionen-Euro-Verwalter

  • 15. November 2012 7 8 Min.

Jörg Litwinschuh (44, parteilos) ist seit einem Jahr Geschäftsführender Vorstand der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (BMH) in Berlin (Bild: BMH)

Die Bundes­stiftung Magnus Hirschfeld ist seit einem Jahr tätig. Sie hat den Zweck, sowohl an die Verfolgung Homo­sexueller durch die Nationalsozialisten zu erinnern als auch die heutige Lebenswelt von Lesben und Schwulen zu erforschen. Was erreicht wurde, erklärte Geschäftsführer Jörg Litwinschuh im Interview mit queer.de-Redakteur Christian Scheuß.

Am 10. November vor einem Jahr hat die Bundes­stiftung Fahrt aufgenommen – mit dir als Geschäftsführer. Wie zufrieden ist das Kuratorium mit deiner in einem Jahr geleisteten Arbeit?

In den vergangenen zwölf Monaten konnte die Stiftung in der Tat Fahrt aufnehmen und sich bundesweit positionieren. Im August hat sich auch der Fachbeirat konstituiert, alle drei Organe – Kuratorium, Fachbeirat und ich als Vorstand – sind nun arbeitsfähig und arbeiten intensiv und vertrauensvoll zusammen. Ich bekomme ein durchweg positives Feedback auf meine Arbeit, bin aber selbstverständlich auch für jede konstruktive Kritik offen. Wir haben nun die Basis für die Stiftung gelegt, d.h. das Programm verabschiedet, erste Projekte gefördert, eigene Projekte initiiert, Kooperationen gestartet und einen Großteil des Vermögens angelegt.

Von außen wurden natürlich vor allem die verschiedenen Veranstaltungen der Stiftung wahrgenommen. Was wurde gut angenommen, was hat keinen Anklang gefunden?

Bisher werden wir noch als ziemlich "berlinlastig" wahrgenommen. Das liegt auch daran, dass die Hirschfeld-Tage im Mai/Juni, die wir mit dem Berliner LSVD gemeinsam veranstaltet haben, in Berlin stattgefunden haben. Auch die "Hirschfeld-Lectures" und einige Diskussionsveranstaltungen finden erst einmal in der Hauptstadt statt. Das wird sich aber ändern. Ich habe in den letzten Monaten fast jedes Bundesland bereist und mit Universitäten, der Landespolitik, mit Bildungseinrichtungen, Unternehmen und natürlich Vertreterinnen und Vertreterin der Community gesprochen. Es braucht seine Zeit, bis das Forschungs- und Bildungsnetzwerk der Stiftung in einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Ich gehe von mindestens zwei Jahren aus.

Insgesamt erreichen wir noch zu wenig den "heterosexuellen Mainstream". Wenn unsere Förderprogramme so richtig angelaufen sind und erste Bildungsprojekte (wie z.B. "Fußball gegen Homophobie") fruchten, wird hoffentlich auch die Mehrheitsgesellschaft mehr über Personen wie Magnus Hirschfeld oder Johanna Elberskirchen wissen, LGBTI-Lebensweisen besser kennen lernen und den Wert der Vielfalt, der sich auch im Umgang mit den Themen sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität zeigt, für sich erkennen. Mir ist sehr wichtig, dass wir auch Impulse in die Forschungslandschaft geben, die Homo-und Trans­sexuellen-Verfolgung aufarbeiten und LGBTI als Zeitzeugen zu Wort kommen lassen. So planen wir z.B. langfristig ein "Archiv der Erinnerung", wo unsere Community "Zeugnis für die Nachwelt" ablegen kann, mit mehreren Partnern wollen wir das gemeinsam realisieren – z.B. dem Land Berlin und Forscherinnen.

Und wie zufrieden bis du selbst?

Ich habe mir 2011 meine eigene, persönliche Stiftungs-Agenda und meine Vision für die ersten fünf Jahre formuliert. Wenn ich dies erreiche, bin ich mit mir zufrieden – egal, was von außen an Bewertungen kommen sollte. Bisher bin ich mit mir sehr zufrieden und mit großer Freude bei der Arbeit. Es ist und bleibt mein Traumjob.

Die FDP schreibt sich die Gründung der Bundestiftung auf die Fahnen: Wie groß ist der Einfluss der Bundesregierung und der Parteien auf Deine Arbeit?

Ich bin parteilos. Die Koalition aus FDP und Union hat die Stiftung erfolgreich auf den Weg gebracht. Das ist und bleibt eine Tatsache. Viele glauben es mir nicht, aber es ist wahr: Es gibt keinen parteipolitischen Einfluss auf die Stiftung. Ich arbeite mit allen Mitgliedern des Bundestags aus meinem Kuratorium gleichermaßen und auf Augenhöhe zusammen. Die Arbeit mit dem Bundesjustizministerium, das die Stifterin (also die Bundesregierung) vertritt, könnte nicht besser sein. Ich wüsste nicht, welcher aktuelle Bundesminister seine Aufgaben in der Stiftung so engagiert wahrnehmen würde wie Frau Leutheusser-Schnarrenberger, die Vorsitzende unseres Kuratoriums ist. Ich würde mir wünschen, dass sich unsere eigene Community, also die Vertreterinnen und Vertreter der LGBTI-Zivilgesellschaft, noch aktiver im Kuratorium einbringt.

Du hast auch einige Gespräche mit CDU-Ministerpräsidenten geführt. Ist die Hirschfeld-Stiftung ein Türöffner?

In der Tat war ich anfangs selbst ein wenig erstaunt, dass "Bundesstiftung" ein idealer Türöffner ist. Gerade in Thüringen bin ich auf sehr offene Ohren gestoßen. Ich will noch nicht vorgreifen, aber in wenigen Wochen wird der Freistaat Dinge ankündigen, an denen wir auf die ein oder andere Art und Weise mitgewirkt haben und noch mitwirken werden. Auch an der Saar oder in Hamburg gab es sehr gute Gespräche. Ich war zum Beispiel gerade bei der Hamburger Justizsenatorin Jana Schiedek (SPD) zu Gesprächen über die Aufarbeitung der Homosexuellenverfolgung.

Können sich Schwulen- und Lesbengruppen mit konkreten Förderanträgen an die Stiftung wenden?

Förderungen von Verbänden und deren Strukturen sind nicht möglich. Alle Informationen zu unserer Fördertätigkeit finden sich auf www.mh-stiftung.de/foerderung.

Wie ist das Verhältnis zu den anderen schwul-lesbischen Stiftungen wie der Hirschfeld-Eddy-Stiftung des LSVD oder der Hannchen Mehrzweck-Stiftung. Arbeitet ihr eng zusammen?

Ich habe zu diesen Stiftungen ein gutes Verhältnis. Wir haben uns alle im Oktober in Göttingen getroffen, um eine engere, koordinierte Zusammenarbeit einzuleiten. Ich finde, wir sollten auf gar keinen Fall in Konkurrenz treten.

Im Hintergrund liefen die existentiellen Dinge. So wurden bei der Deutschen Bank im Dezember 2011 10 Millionen Euro Stiftungsgelder eingezahlt. Was hast du in den vergangenen Monaten über Geldanlagen und Renditen gelernt?

Die Vermögensanlage (wir haben 10,12 Millionen Euro Anfangsvermögen) ist gerade in diesen schwierigen finanzpolitischen Zeiten eine sehr aufwendige und äußert verantwortungsvolle Aufgabe. Ich habe mich sehr intensiv monatelang in die Materie eingearbeitet, wurde auch von anderen Stiftungen beraten, und ich habe Grundsätze der Vermögensverwaltung entwickelt und in einem sehr aufwendigen Verfahren Banken, Berater und unabhängige Vermögensverwaltungen streng unter die Lupe genommen. In diesen Prozess waren zuletzt auch das Bundesfinanzministerium und ein weiterer, offizieller Vertreter des Kuratoriums eingebunden, der sich mit Vermögensanlagen gut auskennt. Unser Stiftungsvermögen wird nicht von einer Bank, sondern von mehreren, externen Vermögensverwaltern angelegt. Ein sogenanntes "Family Office" – die mehrfach für ihre Beratung ausgezeichnete Berliner Firma avesco AG – kümmert sich um die Auswahl und Bewertung der Vermögensverwalter und Beteilligungsmanager sowie die laufende Kontrolle und Berichterstattung.


DagnarHerzog eröffnet am 16. November die "Queer Lectures"-Reihe in Berlin (Bild: BMH)

Wie wurde angelegt – welche Fonds, welche Mindestrenditen, was steht im Jahr für die Arbeit zur Verfügung?

Ich habe das Stiftungsgeld nachhaltig angelegt und investiere nicht in Staaten, in denen Homosexualität unter Strafe steht. Da das Stiftungsvermögen aus Steuergeldern besteht, empfinde ich eine besonders hohe Verantwortung, der ich auch gerecht werden möchte und muss. Wir werden noch in diesem Jahr auf unserer Website www.mh-stiftung.de unsere Vermögensanlage transparent machen und Aussagen zu unseren Einnahmeschätzungen treffen. Ich habe gelernt, dass man neue Wege gehen muss, um in diesen Zeiten eine angemessene Rendite zu erzielen.

Man kann sich unsere Vermögensaufteilung vereinfacht wie einen Kuchen vorstellen, der in vier Teile geteilt wird: Das erste Stück wird nach dem Vorbild der großen amerikanischen Universitätsstiftungen, vor allem Yale und Harvard, angelegt. Hier wird eine Multi-Anlageklassen-Strategie verfolgt. Zugelassen sind zum Beispiel für den kapitalmarktgetriebenen Bereich auch Vermögensklassen wie Mikrofinanzierung oder Wald. Das zweite Kuchenstück entfällt auf nachhaltige Investments: Hierbei hat die Firma avesco zusammen mit der Technischen Universität München ein eigenes Bewertungsverfahren entwickelt, das alle relevanten Aspekte in ökonomischer, ökologischer, sozialer und ethischer Sicht abdeckt. Ein dritter Teil des Vermögens wird in Unternehmensanleihen investiert: Hier wird das Mandat gerade ausgeschrieben, um einen entsprechenden, darauf spezialisierten Vermögensverwalter zu finden. Das letzte Viertel ist für Stiftungen noch eher ungewöhnlich und ein Beispiel für den neuen Weg, den ich gehen möchte: Investments in den sicheren Bereich Logistik, der durch den rasant wachsenden Internethandel seit Jahren sehr erfolgreich wächst.

Im Geschäftsbericht für 2011 steht, dass man die Substanz des Stiftungsvermögens über einen Zeitraum von zehn Jahren erhalten will. Klingt bescheiden. Ist es nicht Aufgabe der Stiftung das Geld sogar zu mehren?

Alleine das Vermögen zu erhalten, ist eine große Herausforderung, da die Inflation steigt. Meine Aufgabe ist es, zum einen das Stiftungsvermögen zu mehren und zum anderen Drittmittel für stiftungseigene Projekte zu akquirieren. Also sicher anlegen und zugleich eine hohe Rendite erzielen. Das ist eigentlich ein Widerspruch. Hier bin ich aber sehr zuversichtlich und ich bringe auch meine Erfahrungen als Fundraiser ein. Durch Zustiftungen, Spenden und Förderungen für Stiftungsprojekte kann die Bundes­stiftung Magnus Hirschfeld in den nächsten zehn Jahren ein ernst zu nehmender Player in der Stiftungslandschaft werden.

Lebensversicherer geraten wegen der schlechten Renditen bei Anlagen bereits in existentielle Nöte. Wie sehr ist die Stiftung von der europäischen Wirtschaftskrise berührt?

Da wir mit den Besten der Branche zusammenarbeiten, gehe ich davon aus, dass wir weniger als andere Stiftungen von der aktuellen und von zukünftigen Krisen betroffen sein werden.

Die wichtigsten Baustellen für 2013?

In 2013 startet unsere Zusammenarbeit mit dem Institut für Zeitgeschichte (IfZ) in München, mit dem wir die Erforschung der LGBTI-Verfolgung bis 1945 voranbringen möchten. Mit dem Land Berlin wollen wir die Zeitzeugen-Suche der bis 1969 nach Paragraf 175 Verurteilten gemeinsam angehen. Und mit der Akademie Waldschlösschen in Göttingen starten wir die Bildungskooperation "Hirschfeld-Akademie" zur Sensibilisierung von Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Gesellschaft für LGBTI-Themen. Und im Mai soll das erste Charity-Dinner der Stiftung starten. Im November 2013 ist eine große Wissenschaftstagung geplant, an deren Finanzierung wir gerade arbeiten.

Am Freitag beginnt die Veranstaltungsreihe "Hirschfeld-Lectures". Was hat es damit auf sich?

Die "Hirschfeld-Lectures" sollen wissenschaftliche, aber auch gesamtgesellschaftliche Debatten anstoßen. Daher haben wir für die gleichnamige Schriftenreihe auch einen Verlag gesucht, der in den Mainstream wirkt: Mit dem Wallstein Verlag haben wir hier den perfekten Partner gefunden. Am 16. November wird Dagmar Herzog aus New York mit "Paradoxien der sexuellen Liberalisierung" um 19 Uhr im Audimax der Berliner Humboldt-Universität den Anfang machen. Ich bin sehr glücklich, Dagmar Herzog für diesen Auftakt gewonnen zu haben. Die Humboldt-Universität Berlin wünsche ich mir als Kooperationspartnerin der Stiftung.

#1 FoXXXynessEhemaliges Profil
  • 15.11.2012, 19:20h
  • Bleibt zu hoffen, daß die Gespräche der Stiftung mit den 16 Ministerpräsidenten auch konstruktiv und nicht umsonst waren!
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#2 Timm JohannesAnonym
  • 15.11.2012, 19:44h
  • Die Koalition aus FDP und Union hat die Stiftung erfolgreich auf den Weg gebracht. Das ist und bleibt eine Tatsache.

    --> Gut, das er das klar ausgesprochen hat.

    ---

    Ansonsten gilt, hoffentlich hat er wirklich die Gelder sicher und gut angelegt. Ich möchte nicht in 10 Jahren lesen, dass die Gelder alle verspekuliert wurden und in windige Finanzgeschäfte verzockt wurden.

    LEIDER ist dies immer wieder zu beobachten, dass Gelder in den unterschiedlichsten Stiftungen, Vereinen und Organisationen falsch angelegt wurden bzw. keine fachkompetenten Personen hier mitgewirkt haben; manchmals sogar noch schlimmer, indem dort Personen sich schön und fein selbstbedient haben.

    Ich kenne Herrn Litwinschuh nicht, aber erstmal gehe ich natürlich davon aus, dass er sehr sorgsam und ordentlich hier handelt, was die Finanzen angeht; ich wünsche Ihm da viel Erfolg und Ehrgeiz.

    Ansonsten gilt, die Gelder sollten nicht verschleudert werden ("beispielsweise indem irgendwelche Szene-Partys in Berlin oder in Hamburg/in Köln unterstützt werden": FEIERN geht auch OHNE Stiftungsgelder").

    UND das gilt auch für die Gehälter der dortigen Beschäftigten: es MUSS immer wieder überprüft werden, ob und wenn ja in welchem Umfang Personen Festanstellungen/Gehälter erhalten.

    Zu oft durfte ich in meiner beruflichen Tätigkeit beobachten, wie sich ganze Seilschaften um die Geldtöpfe bildeten und diese auspplünderten. Der Magnus-Hirschfeld-Stiftung wünsche ich sehr, dass Ihr dieses Schicksal erspart bleibt.
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#3 alexander
  • 15.11.2012, 20:04h
  • mir reicht schon die TERMINOLOGIE des herrn Jörg Litwinschuh, um zu erahnen, wie sich diese "stiftung" weiterentwickelt !
    [Wir haben nun die Basis für die Stiftung gelegt, d.h. das Programm verabschiedet, erste Projekte gefördert, eigene Projekte initiiert, Kooperationen gestartet und einen Großteil des Vermögens angelegt.]
    also im klartext : pöstchen verteilt !!! und sich "gemütlich eingerichtet"!

    diese ursprünglich tolle idee einer MAGNUS HIRSCHFELD STIFTUNG, wurde doch schon vor ihrer existenz für politische interessen "missbraucht" !
    amüsant, dass ausgerechnet homophobe lobbyisten hier so einflussreich agieren ?
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