Positive Stimmen – Projektleitern Carolin Vierneisel (Bild: positive-stimmen.de)
Das Projekt "Positive Stimmen" hat 1.148 HIV-Positive nach ihren Erfahrungen befragt. Die Ergebnisse der Interviews sind beunruhigend und fordern zum Handeln auf.
Von Christian Scheuß
Langsam aber stetig verbessert sich die Situation für HIV-Positive. Sie wissen: Die Infektion lässt sich gut behandeln, was für eine stabile Gesundheit und eine längere Lebenserwartung sorgt. Auch die Übertragung der Infektion ist bei funktionierender Therapie praktisch kaum mehr möglich. Die Aussage "Ich bin HIV+" sollte also eigentlich nicht mehr zu großen Problemen führen.
Doch die Realität sieht anders aus, in der Gesellschaft scheinen sich die guten Nachrichten noch nicht genug herumgesprochen zu haben. Das belegen die Ergebnisse des Projekts "Positive Stimmen", das weiterhin zahlreiche Stigmatisierungen und Diskriminierungen feststellen konnte. Die Ergebnisse sind Thema der Fachtagung "Ausgrenzung. Macht. Krankheit" der Deutschen AIDS-Hilfe Ende Oktober in Berlin gewesen. Die Teilnehmer erfuhren: Von sexueller Zurückweisung bis zum Jobverlust ist auch heute noch alles möglich.
"Ein halbes Jahr lang waren 40 speziell geschulte HIV-positive Interviewer in ganz Deutschland unterwegs und haben in über 2.000 Stunden Arbeit insgesamt 1.148 andere Menschen mit HIV über ihre Erfahrungen mit Stigmatisierung innerhalb der vergangenen zwölf Monate befragt", berichtet Projektleiterin Carolin Vierneisel. Drei Viertel der Befragten waren Männer, 67 Prozent der Befragten gaben als sexuelle Orientierung "schwul/lesbisch" an.
Probleme bei Ärzten
Die wichtigsten Fakten der Erhebung als Grafik (Bild: aidshilfe.de)
Die Erhebung zeigt klar und statistisch relevant, wo diskriminiert wird:
- Jeder fünften Person wurde eine medizinische Behandlung verweigert. Besonders bei Zahnärzten scheint es Unwissenheit über Infektionsrisiken zu geben.
- Mehr Berufstätige verloren ihren Job aufgrund von Diskriminierung als wegen eines schlechten Gesundheitszustandes.
- Fast die Hälfte der sexuell aktiven Befragten wurde aufgrund ihres HIV-Status sexuell zurückgewiesen.
- 42 Prozent der Befragten geben an, aufgrund der HIV-Infektion ein niedriges Selbstwertgefühl gehabt zu haben.
Warum ist die Auseinandersetzung mit HIV und Aids nach wie vor mit Stress, Angst und Verunsicherung besetzt? Der Wuppertaler Aids-Aktivist Michael Jähme, der das Projekt mit begleitet hat, nennt einen Grund: "HIV bleibt eine Infektionskrankheit, die mit Sexualität, Drogenkonsum und von der bürgerlichen Norm abweichenden Lebensstilen verknüpft ist. Zusammen mit irrationalen Ansteckungsängsten bildet dies den Nährboden für Stigmatisierung und Diskriminierung."
Mehr Bildung und Integration gefordert
Aids-Aktvist Michael Jähme hat auch persönlich mit Stigmatisierung Erfahrungen gemacht (Bild: positive-stimmen.de)
Hinzu kommt: Wir alle neigen generell dazu, Personen, denen wir begegnen, in bestimmte Schubladen zu stecken. "Diese Einordnung in soziale Kategorien erleichtert uns die Orientierung in einer komplexen Welt", erklärt Michael Müller von der Uni Bielefeld. Müller ist einer der Beteiligten der Langzeitstudie "Deutsche Zustände", die seit zehn Jahren die so genannte "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" in Deutschland misst. So bilden sich schnell Stereotypen, die zu Ablehnung und Ausgrenzung führen können.
Müller, der während der Fachtagung in Berlin referierte, nannte auch zwei grundsätzliche Wege aus der Vorurteilsfalle. 1.: Bildung hilft. Wer einen höheren schulischen Abschluss besitzt, neigt weniger stark zu Abwertungen anderer Personen. 2.: Vorurteilen kann man mit Integration begegnen. Und zwar nicht nur mit der Integration derjenigen, die diskriminieren, sondern auch mit der Einbindung derjenigen, die diskriminiert werden.
In diese Richtung gehen auch die politischen Forderungen der Projektgruppe "Positive Stimmen". In Schulen und Betrieben soll es mehr Aufklärung geben, die heutige Vielfalt des Lebens mit HIV soll gezeigt werden. Diskriminierung und Stigmatisierung muss gemeinsam mit Verbündeten aufgedeckt und abgebaut werden. Die Förderung selbstbestimmter Sexualität ist weiterhin wichtiges Ziel. Und es gilt, die institutionell verankerte Diskriminierung zu beseitigen. Damit sind vor allem das Gesundheitssystem und die Justiz gemeint. Die Abschaffung der Strafbarkeit der HIV-Übertragung ist ein formuliertes Ziel.
Youtube | Mit diesem Video stellte sich "Positive Stimmen" 2011 vor
Disclaimer
Dieser Artikel wurde inhaltlich frei von einem queer.de-Autoren verfasst. Der Themenkanal "Gesundheit HIV+" wird durch Unterstützung von "GILEAD Sciences GmbH" ermöglicht.
Ich hab oft Sex mit HIV POS war nie ein Problem für mich
Hab mich nie angesteckt