Irina Fedotova bei ihrem Protest in Rjasan: "Homosexualität ist normal"
Weitere Schlappe für Russland: Der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen hat in einem Urteil erklärt, dass das Verbot von vermeintlicher Werbung für Homosexualität gegen die Menschenrechte verstößt.
Die Aktivistin Irina Fedotova hatte ihren Fall vor das Komitee gebracht, das mehrfach im Jahr in Genf und New York tagt und Verstöße gegen den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte überwacht. Sie war 2009 bei einem gezielten Protest gegen das frische regionale Gesetz gegen "Homo-Propaganda" in Rjasan von der Polizei festgenommen und später zu einer Geldstrafe in Höhe von 1.500 Rubel (unter 40 Euro) verurteilt worden. Höhere Instanzen hatten danach das Urteil bestätigt.
Der Menschenrechtsausschuss urteilte nun, die russischen Behörden hätten damit gegen das Recht auf Meinungsfreiheit sowie gegen das Diskriminierungsverbot aus dem Internationalen Zivilpakt verstoßen. Die Einschränkung der Meinungsfreiheit durch das Gesetz gegen "Homo-Propaganda" sei "nicht nach vernünftigen und objektiven Kriterien" erfolgt, heißt es in dem Urteil (1932/2010, .doc). Weder habe Russland Belege für eine schädliche Wirkung vorgelegt, noch habe es "heterosexuelle Propaganda" oder ähnliches verboten.
Russland muss Gesetze anpassen
Das Verbot in Rjasan, wie es mittlerweile in vielen anderen Städten und Regionen Russlands in Kraft ist, war mit dem Jugendschutz begründet worden. Die Vereinten Nationen sind davon unbeindruckt: Dass die Aktivistin im vorliegenden Fall Plakate mit dem Aufdruck "Homosexualität ist normal" und "Ich bin stolz auf meine Homosexualität" vor einer Schule hochgehalten habe, sei weder eine Werbung gewesen, um Schüler zu sexuellen Handlungen aufzufordern, noch habe sie die Schüler zu einer bestimmten sexuellen Orientierung überreden wollen. "Stattdessen drückte sie damit ihre sexuelle Orientierung aus und suchte Verständnis dafür", so das Urteil.
Der Staat ist nun aufgefordert, Fedotova die Kosten für das Verfahren zu ersetzen und ihr einen unbestimmten Schadenersatz zu zahlen. Zudem muss Russland dafür Sorge tragen, "ähnliche Verletzungen [des Rechts] zu verhindern", und muss seine Gesetze entsprechend anpassen und darüber nach 180 Tagen Bericht erstatten. Es muss das Urteil in russischer Sprache in der Bevölkerung bekannt machen.
Ärger auch aus Straßburg erwartet
Ein Urteil zu Gesetzen gegen "Homo-Propaganda" wird auch aus Straßburg erwartet; der Aktivist Nikolai Baew, der am gleichen Protest teilgenommen hatte und ebenfalls angeklagt wurde, hat seine Verurteilung dem Europäischen Menschengerichtshof vorgelegt. Dieser hatte bislang mehrfach CSD-Verbote in Russland kritisiert, die Urteile hatten aber zu keiner Änderung der Praxis geführt. Russische Politiker argumentierten, vor Gericht sei es nur um Einzelfälle gegangen.
Das Urteil aus Genf sei aber "eine Bestätigung für alle Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten in Russland", freute sich der Grünenpolitiker Volker Beck am Freitag. "Die Vereinten Nationen machen es nicht mit, wenn einzelne Staaten Homosexuelle immer noch oder wieder als Menschen zweiter Klasse behandeln. Mein Dank gilt der Klägerin Irina Fedotova für ihren Mut und ihr Durchhaltevermögen." Mit dem russischen Staat sei "nicht gut Kirschen essen. Umso bewundernswerter ist es, dass sie diesen juristischen Kampf für die vielen Homosexuellen in Russland ausgefochten und gewonnen hat." Die Bundesregierung sei gefordert, Menschenrechtsverletzungen "viel deutlicher anzusprechen", so Beck.
Bereits am Donnerstag hatte es kleine Erfolge für die Aktivisten gegeben: Eine Zivilklage gegen den Popstar Madonna wegen vermeintlicher "Homo-Propaganda" bei einem Konzert in St. Petersburg wurde von einem Gericht zurückgewiesen. Und in Moskau scheint ein entsprechendes Gesetz im regionalen Parlament zu scheitern (queer.de berichtete). (nb)