Die queere Stimme der Linkspartei: Barbara Höll war von 1990 bis 2002 und ist erneut seit 2005 Mitglied des Bundestages (Bild: Alain Rappsilber)
Die queerpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag will künftig Leipzig regieren. Im Interview erklärt Barbara Höll ihre Motivation und warum sie als Hetera LGBT-Themen zu einem ihrer Schwerpunkte machte.
Von Micha Schulze
Sie wollen am 27. Januar 2013 im zweiten Anlauf Oberbürgermeisterin von Leipzig werden. Haben Sie nach fast 20 Jahren im Bundestag die Schnauze voll von der Opposition und wollen endlich mal regieren?
Mir macht Politik auch manchmal Spaß. Immer noch und grad in der Opposition. Aber mit den Leipziger Bürgerinnen und Bürgern gemeinsam die Stadt zu gestalten ist eine schöne Aufgabe. Leipzig hat wieder ausschließlich positive Schlagzeilen verdient – und die Menschen, dass der Oberbürgermeister ihnen zuhört, sie einbezieht und gemeinsame Verabredungen konsequent umsetzt.
Die Umfragen sehen aber derzeit nicht so gut aus…
Ich will die Wahlen gewinnen, keine Umfragen. Meiner Kollegin Dr. Angelika Gramkow wurden vier Wochen vor der Wahl in Schwerin keinerlei Chancen eingeräumt. Seit nunmehr vier Jahren wird die Landeshauptstadt Mecklenburg- Vorpommerns erfolgreich von einer linken Politikerin geführt
Gesetzt den Fall, Sie gewinnen die OB-Wahl: Was wird dann aus der Queer-Politik der Linksfraktion im Bundestag, die Sie seit Jahren prägen?
Sie wird fortgeführt, eine ordentliche Übergabe des Arbeitsfeldes ist Pflicht für mich. Aber mir ist da nicht bange. Queer-Politik, aber auch das Thema HIV/AIDS, werden in unserer Fraktion als Querschnittsaufgabe wahrgenommen. Ein kleines Beispiel: Zum Weltaidstag haben wir eine kleine Broschüre zusammengestellt, 18 Abgeordnete haben sich aus ihrem jeweiligen Politikfeld zum Thema HIV und AIDS positioniert.
Wollen Sie im Fall einer Niederlage im Herbst 2013 erneut für den Bundestag kandidieren?
Ich will Oberbürgermeisterin von Leipzig werden, alles Weitere entscheide ich unmittelbar nach der Wahlentscheidung.
Barbara Höll: "Für die Linke sind soziale und Bürgerrechte gleich wichtig" (Bild: dielinke_sachsen / flickr / by 2.0)
Wie sind sie als Hetera eigentlich schwulen- und lesbenpolitische Sprecherin der Linksfraktion geworden?
Weil mich Ungerechtigkeit aufregt. Wir Menschen sind sehr verschieden. Für mich ist die Akzeptanz dieser Vielfalt Grundlage unseres Zusammenlebens.
Und was sagen Ihre drei Kinder dazu?
Meine erwachsenen Söhne hatten das Glück von Verwandten und Wahlverwandten, Freunden und Bekannten begleitet zu werden, liebevoll, klug und fröhlich. Meine kleine Tochter ist noch in diesem Prozess. Die "Normalität", mit der meine Kinder aufwachsen, ist leider noch nicht für alle gültig.
Dennoch fragen sich manche: Hat die Linke auf Bundesebene denn keine kompetenten Lesben und Schwulen, die selbst für sich sprechen könnten?
Na, schauen Sie sich unser Personal doch an, klar hatten und haben auch Schwule und Lesben bei uns Führungsaufgaben und sind in verschiedenen Politikfeldern aktiv. Zum Beispiel machen Klaus Lederer, Matthias Höhn und Cornelia Ernst Politik für LGBT. Das ist doch keine Minderheitenpolitik. Als steuerpolitische Sprecherin kämpfe ich seit Jahren für die Individualisierung des Steuerrechts, auch um mehr Geld für die Förderung des Lebens mit Kindern zu haben. Dies käme z.B. auch alleinerziehenden Müttern und Vätern zugute. Die Erweiterung des Ehegattensplittings auf eingetragene Lebenspartnerschaften kann da nur ein Zwischenschritt sein, indem die grobe Ungleichbehandlung gegenüber der Ehe beseitigt wird. Gesellschaftspolitisch will ich mehr, eben die Abschaffung des Splittingvorteils auch im Interesse der Frauen.
Gutes Stichwort. Sie haben ihre Fraktion beim Ehengattensplitting dennoch auf einen klaren Gleichstellungskurs getrimmt…
Die Abschaffung des Ehegattensplittings ist eine Kernforderung meiner Partei seit 1990. Daran gibt es nichts zu deuteln. Aber bis dahin ist die grobe Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft nicht hinzunehmen. Deshalb sagt die große Mehrheit meiner Fraktion "ja" zur Ausweitung des Splittingvorteils auf die eingetragene Lebenspartnerschaft. Es gibt aber die Befürchtung, dass danach der Widerstand gegen das Splitting zerbröselt.
Worin unterscheidet sich linke Queer-Politik von der der Grünen, die sich ja gerne als "Marktführer" in Sachen Gleichstellung verstehen.
Für die Linke sind soziale und Bürgerrechte gleich wichtig. Eins ohne das andere geht nicht und genau da sehe ich den Hauptunterschied. Im Übrigen beschleunigt ein interner Wettbewerb manche Entscheidungsfindung. Andererseits kann keine Fraktion alle Bereiche abdecken. Entscheidend ist, gemeinsam die konservative Front gegen die Gleichstellung der Lebensweisen aufzubrechen. Zum Glück hat sich auch die SPD in den letzten Jahren bewegt, z.B. bezüglich der Öffnung der Ehe.
Auf dem diesjährigen schwul-lesbischen Stadtfest in Berlin wurde Barbara Höll für ihr Engagement mit dem "Rainbow Award" ausgezeichnet (Bild: Linksfraktion)
Was würden Sie als Ihren größten Erfolg in der Queer-Politik bezeichnen?
Beginnend von der Beantragung der Streichung des Paragrafen 175 im Frühjahr 1991, mit erfolgreicher Umsetzung 1994, über die Thematisierung der Verbrechen Nazideutschlands und der unsäglichen Schwulenverfolgung in Ost- und Westdeutschland, der Entschuldigung des Bundestages bei den Opfern bis zur ernsthaften Diskussion des Umganges mit Intersexualität konnte ich Debatten mit anderen gemeinsam anstoßen und tragen. Debatten in der Gesellschaft wie auch in meiner Partei.
Sie setzen sich seit Jahren besonders für die Rechte von schwulen und lesbischen Flüchtlingen ein. Wo besteht da der größte Handlungsbedarf?
Die Grundgesetzänderung, d.h. die Aufnahme der sexuellen Identität und Orientierung in den Katalog der Grundrechte. Durch Nachfragen bei der Bundesregierung konnten wir für die derzeitige Verwaltungspraxis etwas mehr Rechtssicherheit erreichen, doch die grundsätzliche Anerkennung der sexuellen Orientierung und der Identität als Fluchtgrund steht aus.
Auf dem diesjährigen schwul-lesbischen Stadtfest in Berlin sind Sie für Ihr Engagement mit dem Rainbow Award ausgezeichnet worden. Macht Sie das stolz?
Ja. Die Preisverleihung war für mich eine Riesenehre und Anerkennung des Einsatzes vieler Menschen in der Linken. Dirk Siegfried unterstrich in seiner Laudatio meinen Ansatz, dass es um Gesellschaftspolitik geht. Dieses gemeinsame Verständnis gibt Kraft, manchmal Mühsames zu tun.
Letzte Frage zur Kommunalpolitik: Was wollen Sie als Oberbürgermeisterin für Leipzigs Lesben, Schwule und Transgender tun?
1989/1990 hat der frauenpolitische Runde Tisch der Stadt Leipzig, dessen Mitglied ich war, die Themen Schwulen- und Lesbenpolitik personell in der Stadtverwaltung verankert. Dies hat, wenn auch eingeschränkt, immer noch Bestand. Ich werde insbesondere die tolle Arbeit der Vereine positiv weiterbegleiten. Inwieweit besonderer Handlungsbedarf in den Verwaltungsstrukturen besteht, kann ich erst nach der Wahl beurteilen. Auf jeden Fall wird die Oberbürgermeisterin Barbara Höll beim CSD-Umzug 2013 mitdemonstrieren.