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Antworten auf die BLSJ-Thesen

Sind die schwul-lesbischen Medien in Gefahr?

  • 07. Dezember 2012 17 9 Min.

1910: Tageszeitungen werden überall vertrieben, Szenemedien beginnen damit in den späten 1980er Jahren (Bild: Wiki Commons / Preus museum / CC-BY-2.0)

Der Bund lesbisch-schwuler JournalistInnen (BLSJ) sorgt sich um die Qualität der Szenemedien und hat dazu fünf Thesen veröffentlicht. queer.de packt sie auf den Prüfstand.

Von Christian Scheuß

Was bisher geschah: Im Sommer 2012 hat der Berliner Verleger Olaf Alp die Stadtmagazine "Exit", "Rik" und "Gab" übernommen und sie an das inhaltlich stark lifestyleorientierte Format seines Magazins "Blu" angepasst. Im Herbst 2012 wurde publik, dass bei einer Geschichte in den Magazinen "Hinnerk" (Hamburg) und "Leo" (München) über die Lebensqualität für Schwule in den Städten O-Töne von vermeintlich Interviewten frei erfunden waren. Die Reaktion des Verbandes darauf: Er schlägt – "mit Sorge" – fünf Thesen an die Türen der Verleger der schwul-lesbischen Medien. Zeitpunkt und Art des Rufs nach Erhalt und Qualitätssicherung der Szenemedien verwundern. In den Thesen selbst findet sich einiges, was der Korrektur und Ergänzung bedarf. Deshalb nun – unter die jeweilige BLSJ-These gepackt – unser öffentlicher Beitrag zu einer hoffentlich entstehenden fruchtbaren Diskussion.

BLSJ-These 1: Die lesbisch-schwule Presse schafft ein Bewusstsein für die eigene Identität und für die Community. Sie ist ein kulturelles Gut, das nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden darf.

Nicht nur die Presse, also die gedruckten Produkte, schaffen Bewusstsein und Identität. Auch die Onlineangebote, die Radio- und TV-Produktionen sorgen dafür. Die BLSJ-Thesen beruhen auf einer eingeschränkten Sicht auf den Printmarkt, das verzerrt das Gesamtbild und führt zu falschen Einschätzungen. Zum Beispiel zu der, dass da gerade leichtfertig unser kulturelles Gut aufs Spiel gesetzt werde. Es gibt zwar – wie im gesamten Medienmarkt – große Veränderungen, und es gibt Verleger, denen eine Lifestyle-Orientierung ihrer Stadtmagazine ertragreicher erscheint als seriöse fundierte Berichterstattung aus der lokalen Szene. Das ist schade, aber das wird nicht dazu führen, dass die Community am Ende über keine eigenen sicht- wie hörbaren Ausdrucksmittel mehr verfügt, also dadurch quasi unsichtbar wird. Um den Blick zu weiten, sprechen wir hier deshalb stets von den schwul-lesbischen Medien.


1879: Jede Zeit hat seine eigenen Medien und Medienmacher (Bild: Wiki Commons / CC-PD-MarkPD OldPD US)

BLSJ-These 2: Ein Konzentrationsprozess ist angesichts der wirtschaftlichen Situation des Medienmarktes unvermeidlich und ein üblicher Vorgang in Zeiten der Krise. Die Reduzierung auf einige wenige Angebote und Verlage darf jedoch nicht zu einer Verkümmerung der journalistischen Qualität führen. Wenn beispielsweise zwischen den Magazinen Berichte ausgetauscht werden, sollte dies Freiräume für eine qualitativ ansprechendere Berichterstattung schaffen.

Richtig, es hat 2012 einen Konzentrationsprozess im Segment der Gratis-Stadtmagazine gegeben. Die bisherigen Verleger haben in den vergangenen Jahren alle Möglichkeiten ausgeschöpft, den lokalen Markt zu erschließen. Das seit den Neunzigern erhoffte Wunder, dass sich das Anzeigenfüllhorn der großen Markenartikel-Kampagnen endlich zur Gänze öffnet, ist ausgeblieben. Nach jahrelanger Stagnation gibt es nun sogar Umsatzrückgänge. Das Abstoßen der Blätter und die Übergabe in die Hand des Verlegers Olaf Alp ist wirtschaftlich sinnvoll, es kann den Erhalt sichern. Doch nicht der Konzentrationsprozess per se sorgt für ein Verkümmern journalistischer Qualität, sondern die Ausbildung und das Selbstverständnis der für die Verlage arbeitenden Menschen und der Verleger selbst ist das entscheidende. Nicht der als Beispiel genannte Austausch von Berichten zwischen Magazinen – also die Nutzung von Synergien – kann die Freiräume schaffen für "qualitativ ansprechendere Berichterstattung". Es müssen stattdessen Strukturen geschaffen werden, die es ermöglichen, die Qualität bereits bei den Synergien herzustellen und zu sichern.

Was die vermeintliche Reduzierung der Angebote angeht: Zeitgleich zur Konzentration bei einigen Stadtmagazinen erfolgte auch eine Übergabe des Verlegers Rainer Jackwerth an zwei erfahrene Medienmacherinnen, die mit Energie und Engagement das ihnen übergebene Portfolio von Print- und Onlinemedien ("L-Mag", "Du & Ich", "Siegessäule") erhalten und ausbauen wollen. Vor 2012 gab es mit dem NRW-Printtitel "Fresh" und dem Kölner Magazin "Flash" Neugründungen. Das norddeutsche "Schwulissimo" versucht derzeit, in den Regionen Fuß zu fassen, in denen die anderen Stadtmagazin-Verleger das Handtuch geworfen haben. Die Verlagsübergabe von Bruno Gmünder an Nachfolger Tino Henn hat nicht zu einer Einstellung des Magazins "Männer" geführt. Henn führt die Tradition der Querfinanzierung fort, ohne die der Titel – der journalistisch solide produziert und thematisch interessant gefüllt ist – nicht existieren könnte. Es wird dort ebenfalls versucht, die Printangebote in eine digitale mediale Zukunft zu führen (etwa durch eine "Spartacus"-App).

Mit queer.de gibt es einen starken Online-Titel, der 2013 bereits seinen zehnten Geburtstag feiert. Mit der noch jungen und wachsenden Online-Pflanze phenomenelle.de wird ein Stück weit die tatsächlich seit langem existierende Lücke bei den lesbischen Medienangeboten geschlossen. Die vielen ehrenamtlichen, halbehrenamtlichen, mit Staatsmitteln geförderten oder auch kleinen kommerziellen Angebote (etwa dbna.de, Queerblick oder lesben.org) setzen weitere wichtige bunte Tupfer auf das Bild, das wir von uns selbst zeichnen.

BLSJ-These 3: Eine qualitativ hochwertige lesbisch-schwule Presse kann auf den allermeisten Märkten nur dann überleben, wenn die Gratis-Kultur auf den Prüfstand gestellt wird. Dafür braucht es einerseits Angebote, für die die Leserschaft gerne Geld bezahlt. Andererseits braucht es dafür aber auch eine Wertschätzung und ein Bewusstsein der Leserinnen und Leser für Qualitätsjournalismus.

Es ist sicherlich richtig, dass die Gratis-Stadtmagazine in der Vergangenheit mit dafür gesorgt haben, dass es für Kaufmagazine immer schwerer wurde, zu expandieren oder als Neugründung zu überleben. Aber die Stadtmagazine zu erhalten, indem man nun möglicherweise Geld für sie verlangt? Diese Blätter funktionieren, weil sie mit hoher Auflage an allen Treffpunkten der Szene und bei ihren lokalen Anzeigenkunden präsent sind. Verkaufen bedeutet, diesen kostengünstigen und sehr effizienten Vertriebsweg gegen einen teuren, schwerer steuerbaren zu ersetzen. Das funktioniert nicht.

Außerdem fiele dadurch der belebende Effekt weg, den nur die massenhaft und kostenlos verteilten Blätter für die lokale Szene haben, übrigens auch durch Service-Elemente wie einen umfassenden Terminkalender und einen stets aktuellen Guide.

Ein Mythos ist, dass "qualitativ hochwertige lesbisch-schwule Presse" und Gratis-Blatt nicht zusammen passen. Mit Stefan Mielchen beim "Hinnerk" oder Torsten Bless bei "RiK" gab es etwa zwei Chefredakteure, die ihre Unabhängigkeit bewiesen und ein hohes Niveau etabliert haben. Die Berliner "Siegessäule" überzeugt seit vielen Jahren unter anderem durch gut recherchierte und unterhaltsame Titelgeschichten.

Kaufmagazine haben sich in Deutschland auch deshalb nicht etablieren können, weil – anders als in England oder in den USA – der Anzeigenmarkt noch immer in Händen konservativer Vermarkter liegt. Und weil es – anders als in Frankreich mit "Têtu" – keinen derart reichen Verleger gibt, dem die Rentabilität seines Titels nicht wichtig ist. Auch im Nachbarland wird querfinanziert. Nebenbei: Das Modell Kaufmagazin schützt vor Scheitern nicht, wie Dirk Ludigs und Ejo Eckerle mit ihrem gut gemachten Lifestyle-Magazin "Front" erfahren mussten. Selbst das Stadtmagazin "Prinz", das deutlich mehr Markenartikel-Anzeigen hatte als alle LGBT-Magazine zusammen, segnete kürzlich das Zeitliche.

Die "Gratis-Kultur" wird in den vergangenen Jahren hauptsächlich im Zusammenhang mit Online-Medien diskutiert. Die gut funktionierenden Modelle, mit denen sich Leser, die Wert auf guten Journalismus legen, für Inhalte im Web erkenntlich zeigen können, sind noch nicht gefunden, es wird aber derzeit viel probiert. Die Anzeigenumsätze im Web steigen kontinuierlich, auch – sehr langsam, aber sicher – bei den Online-Szenemedien.


Welches Medium will der schwule Leser, die lesbische Leserin morgen haben? (Bild: / flickr / by-nd 2.0)

BLSJ-These 4 und 5: Der Abdruck von PR-Artikeln schadet dem Ansehen der Magazine und marginalisiert die journalistische Relevanz der Blätter. Guter Journalismus kostet Geld. Hunger-Löhne führen zu einem weiteren Qualitätsverlust. Wir appellieren an die Verlage, ihre Journalisten vernünftig zu bezahlen.

PR-Artikel gibt es, seit es Szenemedien, gar lokale Anzeigenblätter gibt. Gefälligkeiten finden sich bei beinahe allen Angeboten. Schwul-lesbische Medien waren und sind überwiegend nicht unabhängig von ihren Anzeigenkunden und auch nicht von ihren Rezipienten, ihren Auslegestellen oder ihren Verlegern, die nebenbei noch Toys verkaufen oder Reisebüros betreiben. Es stimmt, dass das nicht gut ist und der Glaubwürdigkeit schadet.

Die journalistische Qualität der Szenemedien ist nicht ausreichend, weil es dafür keine ausreichenden Ressourcen gibt. Szenemedien sind nach wie vor "Durchlauferhitzer" für Berufsanfänger, die – wenn sie nicht besonders ausgeprägt masochistisch oder missionarisch veranlagt sind, beziehungsweise für die schlechte Bezahlung und die fehlenden Karrierechancen anderweitig Kompensation erhalten – früher oder später aus den Prekariatsverhältnissen fliehen. Es gibt nur wenige Journalisten, die bleiben und durch ihr Wissen, ihre Erfahrung mit an der Qualitätsschraube nach oben drehen können. Es stimmt, dass hier dringend etwas passieren muss.

Die in These 4 steckende indirekte Ruf nach einem Verzicht auf PR-Artikel sowie der in These 5 naiv-hilflos klingende Appell an die Verleger, die Journalisten "vernünftig" zu bezahlen, all das geht aber an den Realitäten und den strukturellen Problemen der Szenemedien vorbei. Sie sind nicht hilfreich. Auf Umsätze zu verzichten und die Betriebskosten zu erhöhen würde derzeit bedeuten: Die Titel müssten eingestellt werden, weil sie dann Verluste machen.

Trotz aller Kritik: Es stecken in den fünf Thesen viele Punkte, an denen sich anknüpfen lässt.

Die Grundfragen lauten: Was ist nötig, um schwul-lesbische Medien in die Lage zu versetzen, qualitativ hochwertige Inhalte zu erzeugen, die von einer unabhängigen, gut ausgebildeten und vernünftig bezahlten Redaktion produziert werden? Und: Wie sollen die Medien, die von möglichst vielen Lesern heiß geliebt und nach Möglichkeit gar bezahlt werden, eigentlich aussehen?

Liebe Kollegen des BLSJ: Realitätsferne Maximalthesen entfremden von der Basis. Stattdessen wäre wünschenswert, wenn alle Beteiligten ganz praktisch an Qualitätsverbesserungen unter Berücksichtigung der vorhandenen Ressourcen arbeiten würden. Das könnten zum Beispiel auf schwul-lesbische Medien zugeschnittene Fortbildungsangebote für Berufsanfänger und Seiteneinsteiger sein. Es könnten auch gemeinsam erarbeitete Empfehlungen, Handreichungen, Selbstverpflichtungserklärungen sein, mit denen zum Beispiel Abgrenzungen zwischen Redaktion und Anzeigenfläche geregelt werden. Der Felix-Rexhausen-Preis des BLSJ könnte – mit ausreichend hoher Dotierung versehen – dazu genutzt werden, finanzielle Anreize für Journalisten und Verleger von Szenemedien zu schaffen und Qualität zu produzieren. Es würde auch der Hetero-Presse zusätzliche Qualität bringen, würden BLSJ-Mitglieder, die oft dort arbeiten, häufiger Szene-Medien als Quelle, Recherchemöglichkeit, Ideengeber und Zitatbringer nutzen. Denkbar und machbar ist hier vieles.

Dauerhaftes sorgenvolles Stirnrunzeln gibt unschöne Falten. Es ist durchaus möglich, dass beim derzeitigen Aufbruch der Medien in die digitalen Kanäle die gedruckten Stadtmagazine obsolet werden, weil sich viele ihrer Funktionen im Web benutzerfreundlicher gestalten lassen (Die Datingportale haben bereits die Kleinanzeigen ersetzt, Termin- und Adressguides sind besser, wenn sie aus einer Datenbank kommen). Der angstfreie, kreative offene Blick nach vorn ist gefragt. Auch hier könnte der BLSJ, gemeinsam mit Journalisten und Verlagen Ideen entwickeln, wie die neuen schwul-lesbischen Medien der Zukunft aussehen könnten. Und wie man sie finanziert, wenn es denn rein marktwirtschaftlich nicht funktioniert.

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#1 UsainAnonym
  • 07.12.2012, 13:24h
  • wow, sehr gut geschrieben und absolut fundierter Artikel. Kompliment, so muss schwul-lesbischer Journalismus sein.
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#2 Logik78Anonym
  • 07.12.2012, 13:35h

  • Die kostenlosen Stadtmagazin mit ihren Veranstaltungskalendern sind essentiell für die gesamte Szene.
    Man erlebt es z.B. in Frankfurt. Seit die GAB übernommen wurde ist die nicht mehr online verfügbar. Wer nicht häufiger in Frankfurt ist, um sich die gedruckte Ausgabe zu beschaffen, der sitzt praktisch auf dem Trockenen. Die Veranstaltungskalender im Internet inkl. auf der Seite des neuen GAB-Eigners sind absolut mangelhaft.
    Für die in Frankfurt eh gebeutelte Szene eine Katastrophe.
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#3 FelixAnonym
  • 07.12.2012, 16:32h
  • Natürlich muss man insgesamt von schwul-lesbischen Medien sprechen. Aber auch wenn Angebote im Netz erhalten bleiben, ist auch alleine schon der Verlust schwul-lesbischer Printmedien ein großer kultureller Verlust und eine Verminderung der Meinungspluralität und der journalistischen Vielfalt.

    Und was PR-Artikel betrifft:
    da müssen die gleichen Standards gelten wie in jedem wirklich seriösen Medium: wenn sie schon enthalten sind, müssen sie klar als solcher erkennbar sein!
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