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Debatte zu den BLSJ-Thesen

Schwule Stadtmagazine haben sich überlebt

  • 14. Dezember 2012 17 6 Min.

Die schwulen Stadtmagazine haben ihre Zeit gehabt und können, sofern es dazu nicht schon zu spät ist, in Würde abtreten

Der Bund Lesbisch-Schwuler JournalistInnen (BLSJ) hat Anfang Dezember fünf Thesen zur Situation des Szene-Pressemarktes veröffentlicht. Nach den Antworten von queer.de-Redakteur Christian Scheuß und des ehemaligen Verlegers von "rik", Exit" und "gab" Christian Beese steigt nun Stefan Mielchen, der frühere Chefredakteur von "hinnerk", in die Debatte ein.

Von Stefan Mielchen

Schwule Stadtmagazine haben sich überlebt, und es wird sie, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, nicht mehr lange geben. Warum ist das so?

1. Den Magazinen geht eine auf Dauer tragfähige wirtschaftliche Basis verloren

Wer allein von Anzeigen lebt, muss überzeugende Argumente haben, um potenzielle Kunden zu gewinnen. Die schwulen Stadtmagazine haben sie nicht (mehr). Die angeblich so attraktive Zielgruppe schwuler Männer war schon immer mehr Wunschdenken der Verlage als eine Realität, die sich in einer nachhaltigen Buchungslage niedergeschlagen hätte und auf der sich ein dauerhafter wirtschaftlicher Erfolg hätte aufbauen lassen. In Zeiten der Krise, die alle Printmedien trifft, gehören die Kleinen noch schneller zu den Verlierern. Wer bisher immer mit Mühe eine schwarze Null geschrieben oder einen kleinen Gewinn erzielt hat, hat es schon schwer genug und dürfte in absehbarer Zeit die Segel streichen oder ist bereits unter die Räder gekommen. Bei Blättern mit chronischer Unterdeckung geht's erheblich schneller. Dazu kommt, dass kostenlos verteilte Magazine eine erheblich geringere Wertigkeit besitzen. Das war und ist für die meisten Markenartikler ein Grund, hier nicht zu inserieren. Auflage und Verbreitung der Titel sind ein weiterer, denn ein wirklich schlagkräftiger Anzeigenverbund, sollte es ihn denn je gegeben haben, ist nicht in Sicht. Mit regionalem Einzelkämpfertum aber ist auf Dauer kein Blumentopf zu gewinnen, denn dafür sind die regionalen Anzeigenmärkte (mit Ausnahme von Berlin) zu klein. Anspruchsvoller Homo-Journalismus, den der BLSJ mit Recht einfordert, ist so vollkommen illusorisch.


Stefan Mielchen hat zwölf Jahre lang hauptberuflich für schwule Medien gearbeitet (Bild: privat)

2. Die Magazine haben sich grundsätzlich überlebt

Derweil schwindet auch die Legitimation innerhalb der Szene. In den 90er- und Nuller-Jahren waren schwule Stadtmagazine wichtig zur Vernetzung der Community, zur Identitätsstiftung ihrer Leser und zur kompetenten Themensetzung. Schwule fanden im medialen Mainstream kaum statt, die Berichterstattung zeichnete sich meist durch Klischees oder Unwissen aus. Das hat sich grundlegend gewandelt, woran Arbeit und Präsenz der schwulen Stadtmagazine durchaus ihren Anteil haben und worauf ihre Macher stolz sein dürfen. Während man es als Redaktion in der Vergangenheit mit schwulen Themen immer mal wieder in die "Bild"-Zeitung oder die "Süddeutsche" schaffte und dort zitiert wurde, berichten diese Blätter und ihre Online-Ableger mittlerweile eigenständig über Homo-Themen. Die großen Redaktionen können dies weit professioneller, aktueller und schneller (ob es dadurch immer auch besser geschieht, sei dahingestellt). Über Themen von hoher Relevanz (Homo-Ehe, Russland, Fußball) berichten mittlerweile alle – von der Lokalzeitung bis zur "FAZ", von der "Tagesschau" bis "Spiegel Online". Was ich wirklich wissen will und muss, erfahre ich hier oder über Blogs und soziale Netzwerke (und natürlich auf queer.de).

3. Den Magazinen fehlt es an Relevanz

Anzeigenfinanzierter Journalismus stand noch nie im Verdacht, den Henri-Nannen-Preis zu ergattern. Das gilt auch für die schwulen Stadtmagazine. Der Grat zwischen redaktioneller Unabhängigkeit und PR-Berichterstattung war immer schmal. Doch während einzelne Blätter lange Zeit versucht haben, hier ein vertretbares Maß zu finden, ist die Verlagspolitik mittlerweile fast durchweg eine andere. Es gibt Herausgeber, für die jeder Artikel grundsätzlich verkaufbar sein muss, Berichterstattung findet häufig nur noch gegen Cash statt. Das schlägt sich längst auch in jenen Heften nieder, die lange versucht haben, einen gewissen redaktionellen Standard zu halten und weitgehend unabhängig zu berichten. Anders als durch verkaufte Redaktion, Advertorials usw. lassen sich die Magazine heute nicht mehr dauerhaft finanzieren. Das ist Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Mit dieser journalistischen Bankrotterklärung machen sich die Magazine überflüssig. Man sollte sich nicht täuschen: Leser haben ein sehr feines Gespür für diese Dinge und merken, wo sie inhaltlich schlecht bedient werden. Ein Magazin, das nicht mehr abgegriffen und gelesen wird, ist auch für Anzeigenkunden uninteressant. Das Argument, die Leser wollten nur noch "Lifestyle-Themen" lesen, lasse ich hier nicht gelten. Es wird immer dann von den Herausgebern angeführt, wenn verkaufte Redaktion gerechtfertigt werden soll. Das ist eine billige Ausrede, zumal mir noch niemand hinreichend hat erklären können, was am Abdruck von Produktfotos (und mehr ist es in der Regel nicht) "lifestylig" sein soll. Den schwulen Lifestyle gibt es angesichts einer sehr ausdifferenzierten Szene (und damit auch Zielgruppe) ohnehin nicht. Das, was schwule Stadtmagazine in diesem Bereich leisten können, ist im Vergleich zu Hochglanztiteln lächerlich bis peinlich. Und es ist auch wirtschaftlich nicht erfolgreich.


Nur in Berlin ist der Markt groß genug, um ein anzeigenfinanziertes queeres Stadtmagazin erfolgreich zu betreiben

4. Das Internet gibt den Magazinen den Rest

Vielleicht hat auch die "Eurogay"-Pleite zu Beginn des Jahrtausends zu sehr abgeschreckt. Doch die Verlage haben es vor allem mangels ausreichenden Kapitals versäumt, eine tragfähige Internetplattform zu entwickeln. Die vorhandenen Webseiten werden so stiefmütterlich behandelt, dass es sich nicht lohnt, sie anzuklicken. Abgesehen davon, dass im Netz ohnehin schwer Geld zu verdienen ist, haben die Verlage hier eine große Chance vertan. Doch Papier ist nicht länger geduldig! Gedruckte Terminkalender von Monatsmagazinen sind vollkommen antiquiert, Partyfotos wollen und können die User sofort online sehen usw. usf. Man muss nicht mehr in die Szene gehen und die entsprechenden Blätter abgreifen, die über die Szene informieren (sollten). Wirklich Relevantes erfährt man darin ohnehin kaum noch. Titel wie "hinnerk", "rik" oder "gab" wollten immer alles auf einmal sein und sind letztlich auch daran gescheitert: schwules Lokalblatt und politisches Magazin, Lifestyle-Heft und Partypostille. Das braucht und will heute so kein Mensch mehr, zumal es im Netz schnellere (nicht unbedingt fundiertere) Informationen gibt. Versuche wie in Köln, so etwas wie eine schwule Lokalzeitung zu etablieren, sind im Ansatz zwar nicht dumm, denn auch schwule Leser interessiert, was vor ihrer Haustüre passiert. Dass sie dauerhaft erfolgreich sein können, ohne auf die Selbstausbeutung ihrer Macher zu setzen, bezweifle ich. Und auch hier ist fraglich, wie lange Papier als Trägermedium noch funktioniert.

Fazit: Die schwulen Stadtmagazine haben ihre Zeit gehabt und können, sofern es dazu nicht schon zu spät ist, in Würde abtreten. Als jemand, der zehn Jahre lang bei einem solchen Magazin gearbeitet hat, sage ich das ohne Häme und ohne Verbitterung. Denn mit dem, was einzelne Titel in der Vergangenheit geleistet haben, müssen sie sich nicht verstecken. Doch das, was sie heute noch leisten bzw. leisten können, ist in den meisten Fällen zu wenig, um sie journalistisch ernst zu nehmen. Wozu soviel Energie vergeuden?

Zur Person

Stefan Mielchen (47) hat zwölf Jahre lang hauptberuflich für schwule Medien gearbeitet. Bis Ende 2011 war er Chefredakteur des Hamburger Stadtmagazins "hinnerk", zuvor hat er Aufstieg und Fall des Internetportals "Eurogay" aus der Nähe erlebt. Heute arbeitet er als Redakteur bei einem Hamburger Fachverlag.
Wöchentliche Umfrage

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#1 reiserobbyEhemaliges Profil
  • 14.12.2012, 08:11h
  • Was mich an den BLSJ-Thesen stört, ist lediglich der Umstand, dass sie isoliert dem LGBT-Printangebot zugeordnet worden sind. Aber ohne Online- ist auch Print nicht mehr als Gratis-Produkt denkbar. Anders als mein BLSJ-Vorstand bin ich zudem der festen Überzeugung, das ein werbefinanziertes Angebot durchaus sauberen Journalismus bieten kann und auch tut. Wobei es auch gar kein Problem darstellt, die mit Kunden abgesprochene Inhalte als Werbung- , Anzeige- oder Produktinfo etc. zu kennzeichnen. Selbst Werbung, die als "Advetorials" daherkommt, kann zumindest unterhaltend und informierend aufgemacht sein, so, dass es der Leserschaft gar nicht als unangenehm, aber durchaus als Sponsoring aus der Privatwirtschaft auffällt. Bis auf die queeren Siegessäule, L-Mag, Du & Ich und Queer.de fällt mir momentan keins der lesbisch-schwulen deutschen Medien ein, das hier kreativ und nicht plump daherkommt. Leider wird selbst bei schwulen Magazinen, die gar nicht mal billig am Bahnhof zu kaufen sind, der Trennung von Anzeigen und Redaktion nicht besonders viel Aufmerksam gewidmet. Schlimmer noch, die redaktionellen Teile dürfen dem Anzeigenkunden nicht missfallen. Von daher halte ich den Passus innerhalb der BLSJ-Thesen für überflüssig, der besagt, dass die Verleger über neue Bezahlmodelle nachdenken sollten. Wichtiger, und das sollte deutlich hervorgehoben werden, ist die Frage, ob sie gewissen moralischen Ansprüchen, die ein Verleger meiner Meinung nach folgen muss, gerecht werden. Dass es im schwul-lesbischen Segment schwieriger ist, Qualitätsjournalismus konstant zu liefern, ist natürlich klar. Denn der Markt ist nicht nur kleiner als der "Mainstream", der ja auch noch zusätzlich von LGBTs mitgetragen wird, sondern auch nach wie vor härteren Bedingungen ausgesetzt. Viele Kunden schalten noch immer nicht in Gay-Blättern, oder machen lieber eigene Werbe-Produkte, wo sich dann durch die ganze Reise-Postille hinweg, die am Traumstrand gezeigten Homodarsteller nicht einmal "berühren" (!!!) dürfen. Gern wird da tunlichst das L-Wort vermieden. Ist doch ekelig, oder nicht? Dann vielleicht doch lieber mal die Blu durchblättern - find ich!
    Was es bedarf ist, wie etwa bei der von Lesern unterstützten tageszeitung (taz), ein starke Solidarisierung der LGBT-Mediennutzern mit den Verlegern, die sich für diese zumeist undankbare "Community" trotzdem den Arsch aufreißen, um nicht auf den Guten Willen der Großen angewiesen zu sein. Von daher stimmt selbst Beeses Schlussfolgerung ein wenig, dass es besser ist, als Artikel getarnte Anzeigen zu schlucken als den "Familien- und christlichen Werten" verpflichtenden Massenmedien um ausgewogene Berichterstattung anzuwinseln.
    Ausgedient haben LGBT-Medien aber noch lange nicht. Im Gegenteil: Sie sind notwendig!
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#2 NicoAnonym
  • 14.12.2012, 08:28h
  • Typischer Fall einer selbsterfüllenden Prophezeiung:
    wenn die Magazine schon selbst behaupten, sie hätten sich überlebt, dann glauben das die Leser natürlich. Und in der Folge haben sie sich dann tatsächlich überlebt.

    Hier werden medial Fakten geschaffen, die es sonst gar nicht gäbe.

    Wenn die verschwinden, dann ist das zu 99,9% selbst verschuldet. Da brauchen die gar keine anderen Schuldigen zu suchen.
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#3 reiserobbyEhemaliges Profil

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