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Debatte zu den BLSJ-Thesen
Schwule Medien: Totgesagte leben länger!
- 06. Januar 2013 6 Min.

Ständige Präsenz in der Szene, ihren Treffpunkten und Events: für Marc Kersten funktioniert so das Blattmachen. (Bild: privat)
Szenemagazine verlegen? Für den Kölner "Flash"-Herausgeber Marc Kersten ist dies ein ständiger Drahtseilakt zwischen den Erwartungen von Lesern und Anzeigenkunden. Aber einer, der sich lohnt mit dem richtigen Konzept.
Von Marc Kersten
Print ist tot – die "Flash" wird in ein paar Monaten wieder verschwunden sein – die Zeit der schwul-lesbischen Stadtmagazine ist vorbei – Qualitätsjournalismus hat in der Szene keine Chance – wir müssen uns dem (niedrigen?) Niveau unserer Leser anpassen? Wenn ich manche der Thesen meiner geschätzten Kollegen so lese, müsste ich mir eigentlich große Sorgen machen. Tu ich aber nicht!
Jawohl, der Defätismus lebt und gedeiht offenbar prächtig in schwulen Medienkreisen. Und war auch der Auslöser für die große Welle an Verkäufen und Übernahmen im abgelaufenen Jahr (u.a. "Siegessäule", "rik", "Exit", "gab"). Manch einer sah sich im Zangengriff von demografischer Entwicklung (junge LeserInnen wachsen nicht mehr so schnell nach), sozio-kulturellem Trend (weniger Selbstidentifikation von Schwulen und Lesben aufgrund ihrer sexuellen Orientierung), veränderter Mediennutzung (hin zu Internet und Mobilgeräten) sowie in Köln und anderen Städten hinzukommend: dem Hauptstadt-Sog. Der einfachste Weg aus diesem scheinbar aussichtslosen "Vierfronten-Krieg" ist die Kapitulation, am Besten in versilberter Form. Die "Flash" geht einen anderen Weg: 100% lokale Berichterstattung.
Als wir im September 2009 die erste "Flash" auf den Markt brachten hatten mein damaliger Mitverleger Tom Laroche und ich auf eine möglichst umfassende Produktdifferenzierung gesetzt. Denn wie sollte man Erfolg haben, wenn man sich von "rik" & Co. nicht unterscheidet? Die Konsequenz: Ein anderes Format (Zeitungsgröße à la "SZ" & "Zeit"), ein anderer Erscheinungstermin (Mitte des Monats, später alle 14 Tage), ein anderer Schreibstil und andere Aufmachung (Boulevardcharakter) und eine andere inhaltliche Ausrichtung (Verzicht auf alles Überregionale, Konzentration auf Lokalberichterstattung).
Fakten, Fakten, Fakten -Aber ausschließlich lokal

Die aktuelle Ausgabe der Flash, Januar 2013
Und während das Format inzwischen beim handlicheren A4 gelandet ist und die "Flash" sich längst vom Boulevardstil verabschiedet hat, ist die 100% lokale Ausrichtung geblieben. Keine Reiseberichte von den Seychellen (wo sich allenfalls 1% der Leser einen Urlaub leisten können), sondern Stadtteilberichte aus den Kölner Veedeln. Keinen Klatsch und Tratsch aus der weltweiten Promi-Szene (den "RTL Explosiv" & Co. eh früher und besser hinbekommen), sondern Meinungen und Kolumnen lokaler Szenegrößen. Keine Berichte von BVG- und BVerVG-Urteilen, Wochen nachdem sie bereits auf queer.de und in der Hetero-Presse gestanden haben.
Sprich: Wir berichten über das was vor Ort passiert und vermutlich in keinen größeren, überregionalen Medien aufgegriffen wird. Je lokaler, desto besser. Was eigentlich auch eine Grundregel ist, die man im Journalistik-Studium beigebracht bekommt: Die Relevanz eines Artikels bemisst sich nach dem Level direkter Betroffenheit des Lesers. Ein Einbruch in die eigene Wohnung ist bedeutender als ein Einbruch im selben Haus, derselben Straße, im selben Viertel, in der selben Stadt etc. Je weiter weg etwas passiert, desto weniger betrifft es die konkrete Lebensrealität des Lesers.
"Flash" treibt dieses Prinzip auf die Spitze. Wie kein anderes schwul-lesbisches Magazin in Deutschland, wie kein oder kaum ein heterosexuelles Stadtmagazin in Deutschland. Denn 99,9% bis 100% aller Stadtmagazine in Deutschland setzen auf einen Mix aus regionalen und überregionalen Informationen. Bei vielen Gay-Magazinen stellt sich die Frage, ob es sich überhaupt noch um Stadtmagazine handelt oder um Lifestyle-Titel mit einem Terminkalender als "Feigenblatt". Wenn man in manchen Magazinen mehr über schwule Möbel (sind das eigentlich die, die man auf den Kopf stellt, um vierfach Spaß zu haben???) als über schwule Kneipen und Partys erfährt, man dort mehr über die Szene in Beirut als im Ruhrgebiet liest und nur noch in einer kleinen Spalte über die Aktivitäten der lokalen Community berichtet, dann haben sich "Szene-Magazine" soweit von ihrem Ursprung entfernt, dass sie zu bloßen Werbeträgern verkommen, ohne Anspruch, ohne Ziel – jenseits der Gewinnmaximierung.
Natürlich müssen sich schwul-lesbische Stadtmagazine auch weiter entwickeln. Dennoch ist ein Blick auf ihre Entstehungsgeschichte sinnvoll und hilfreich. Meist hervorgegangen aus lokalen Strukturen der schwul-lesbischen Selbsthilfe, erfüllten sie vor allem das Bedürfnis nach Vernetzung innerhalb der Szene. Das Solidaritätsprinzip stand im Vordergrund. Medien als Sprachrohre und Unterstützer der lokalen Initiativen. Später auch als konstruktive Begleiter ("Queer"). Unabhängigkeit und Distanz zur Szene sind historisch betrachtet also relativ neue Entwicklungen im Markt der schwul-lesbischen Stadtmagazine. Und in dem Maße, in dem die wirtschaftliche Bedeutung der Community und Szeneläden mit den Jahren nachließ, und auch die Abhängigkeit von diesen, entstanden neue Abhängigkeiten, die Verleger und Chefredakteure natürlich gerne totschweigen oder negieren.
Es geht weiter, so lange es Journalisten gibt, die etwas bewegen wollen

Pink Power, Berliner Stadtmagazin von Marc Kersten, 1995
Heutzutage machen sich die Chefetagen der Gay-Magazine eher Sorgen darüber, einen lokalen Möbelladen zu vergrätzen, als dem LSVD vor den Kopf zu stoßen, indem Szene-Aktivisten als "Heulsusen vom Dienst" bezeichnet werden. Währenddessen bleibt die Erwartungshaltung der lokalen Akteure, dass man sie in Watte packen und mit Samthandschuhen anpacken möge. Kaum ein schwul-lesbisches Stadtmagazin darf in allen Szeneläden ausliegen. Die Keule des Hausverbots, die Drohkulisse des Nicht-mehr-Auslegens wird häufiger genutzt, als die LeserInnen das wohl vermuten. Pressefreiheit in der Szene ist ein extrem zweischneidiges Schwert, auch aus den historisch gewachsenen Gründen.
Insofern ist die Herausgabe eines Szenemagazins ein ständiger Drahtseilakt. Das Produkt stets ein Kompromiss widerstreitender Interessen. Als jemand, der seit dem 16. Lebensjahr journalistisch tätig ist und der eher zufällig zum Verleger wurde, sehe ich das selber sehr zwiespältig, würde dem Leser manchmal gerne mehr und ungefilterter informieren. Aber was ist die Alternative? Keine Magazine mehr? Oder nur noch Kauftitel für 10 Euro oder mehr? Kostenlose Gay-Magazine leisten insofern ja auch einen Beitrag zur Demokratisierung, zur Egalisierung, denn jeder kann sie sich leisten und sie erreichen viel mehr Schwule und Lesben als die Kauftitel.
Wie lange es sie noch geben wird? So lange es noch idealistische Verleger und Journalisten gibt, die etwas bewegen wollen und denen es nicht in erster Linie ums Geld geht. Solange es keine schwul-lesbischen Seiten im "Kölner Stadt-Anzeiger" gibt und die Berichte in der Lokalpresse zu Gay-Themen geschätzt nicht mal ein Zehntel dessen abdecken, was eine "Flash", eine "Fresh" oder eine "Siegessäule" leistet. Solange schwul-lesbische Stadtmagazine wirklich Stadtmagazine sind und keine Möbelmagazine. Solange es viele Situationen gibt, wo man kein iPad mit hinnehmen kann oder will. Solange es LeserInnen gibt, denen die Haptik eines gedruckten Magazins gefällt.
Mit anderen Worten: Noch sehr lange! Meine Prognose: Die "Flash" wird es auch in fünf Jahren noch geben. Und gut gemachte Titel wie die "Siegessäule" sicherlich auch…
Marc Kersten, 44, hat bereits Anfang der 90er mit dem Berliner Stadtmagazin "Pink Power" erste Erfahrungen als Herausgeber sammeln können, später auch als Gründer des Ruhrgebietsmagazins "Exit". Ausgestattet mit jahrelangen Erfahrungen als Journalist, Layouter, Anzeigenverkäufer und Verleger realisiert der Allrounder mit "Flash" seit 2009 seine Idee vom idealen Szeneblatt.

Mehr zum Thema:
» Christian Scheuß: Sind die schwul-lesbischen Medien in Gefahr? (07.12.2012)
» Christian Beese: Die Zukunft der Szene-Medien in schweren Zeiten (12.12.2012)
» Stefan Mielchen: Schwule Stadtmagazine haben sich überlebt (14.12.2012)
» Gudrun Fertig: Raus aus der Betroffenheitsnische! (21.12.2012)
Sympathisches Konzept, obwohl ich den Blick über den lokalen Tellerrand hinaus vermissen würde. Allerdings lebe ich nicht in Köln (noch nicht einmal mehr in Deutschland) und kenne "Flash" daher bisher nicht.
Viel Erfolg weiterhin!