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Die CDU und die Fundamentalisten
Merkel würdigt evangelikale Homo-Heiler
- 24. Januar 2013 6 Min.

Michael Diener ist Vorsitzender des Gnadauer Gemeinschaftsverbands und der Evangelischen Allianz. Beide werden von der CDU ernst genommen. (Bild: Christliches Medienmagazin pro / flickr / by 2.0)
Die Bundeskanzlerin hat dem Gnadauer Gemeinschaftsverband zu seinem 125-jährigen Bestehen gratuliert. Der Verband glaubt weiter an eine Heilung von Homosexualität – und wird von Merkel und ihrer Partei nicht zum ersten Mal hofiert.
Von Norbert Blech
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in einem Schreiben dem evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverband zu seinem 125-jährigen Bestehen gratuliert. Sein Engagement stärke Zuversicht, Vertrauen und Hoffnung in der Gesellschaft, so die CDU-Vorsitzende laut der evangelischen Nachrichtenagentur idea. "Mit großem Respekt sehe ich, dass der Gnadauer Gemeinschaftsverband sich seit 125 Jahren darin bewährt, den Einzelgemeinschaften für Mission und Diakonie eine gemeinsame Stimme und damit mehr Gewicht in Kirche und Öffentlichkeit zu verleihen."
Nun darf man die Frage stellen, ob der Dachverband von rund 200.000 Christen wirklich mehr Gewicht bekommen sollte. So ist er in der Frage der Homosexualität fundamentalistischer als die Evangelische Kirche, lehnt etwa die Segnung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften oder die Öffnung von Pfarrhäusern für Homo-Paare strikt ab.
In einem Zustandsbericht des Vorsitzenden Michael Diener aus dem letzten Jahr (Titel: "Lasst uns Gottes Liebe leben") heißt es, entsprechende Schritte einiger Landeskirchen führten zu einer "Gewissensnot der Mitglieder in ihren Reihen" und einer "Minderheitenposition" innerhalb der weltweiten Kirche. Es sei ein "Irrweg", das "eindeutige biblische Zeugnis zur Homosexualität" zu entkräften. Man könne "zu praktizierter Homosexualität kein Ja finden. Sie ist Sünde und steht unter dem Gericht Gottes."
Diener schlägt zwar vor, sich weniger als in der Vergangenheit auf das Thema Homosexualität zu fokussieren, da "uns neutral oder ablehnend gegenüberstehende Menschen den Vorwurf des 'Pharisäertums' oder auch der 'Homophobie' durchaus zu Recht erheben könnten". Doch das ist scheinheilig: Denn wenn Diener fragt, ob hinter der Fokussierung auf Homosexualität nicht "Ekel vor einer für viele abstoßenden Sexualpraxis und der Fremdartigkeit eines Lebensentwurfs" stehe, und Nächstenliebe auch für Schwule und Lesben einfordert, dann kommt als nächste Forderung, diesen Menschen "Hilfe, Korrektur und liebevolle Begleitung" anzubieten.
Dankbar für Homo-"Heilung"

Merkel 2010 mit Vertretern der Evangelischen Allianz im Kanzleramt. Der frühere Vorsitzende Jürgen Werth (2.v.l.) nannte Homosexualität einst eine "Zielverfehlung". Wer Homo-Heiler diffamiere, nehme "Menschen, die sich verändern möchten, das Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung".
Man müsse unterscheiden zwischen "homosexuellen Empfindungen oder Neigungen, denen Menschen mit Gottes Hilfe und Vergebung widerstehen können, und homosexueller Praxis", so Diener. Vieles spreche dafür, dass "Homosexualität insgesamt nicht veranlagungsbedingt, sondern auf (frühkindliche) biographische Ursachen zurück zu führen ist". Das bedeute, "dass ein therapeutischer und seelsorgerlicher Veränderungsprozess grundsätzlich möglich ist und dass es auch an uns liegt, diese in der Öffentlichkeit aggressiv verneinte Option um der Liebe zu den betroffenen Menschen willen auch weiterhin offen zu halten und zu vertreten."
Heißt im Klartext: Merkels beglückwunschter Verband spricht sich für "Heilungs"-Angebote für Homosexuelle aus. Das wird auch an einer anderen Stelle des Textes deutlich: In der Gemeinde gehöre "der Umgang mit homosexuell empfindenden Menschen, die nicht propagandistisch ideologisch auftreten, in den Bereich der Seelsorge", so Diener weiter. "Wir sind ausgesprochen dankbar für die Arbeit, die das Weiße Kreuz auch auf diesem Gebiet leistet."
Das Weiße Kreuz ist ein Fachverband des Diakonischen Werkes zur Sexualberatung, der unter Beobachtung der "Mission Aufklärung des LSVD steht, weil er etwa zu einem Fortbildungsseminar zu "sexuellen Identitätsstörungen in der Beratung" Markus Hoffmann von der Homo-"Heiler"-Organisation Wüstenstrom eingeladen hatte. Ein Programmpunkt: "Menschen mit sex. Identitätsstörungen (Homosexualität, Pädophilie, Transsexualität) verstehen". Der nächste Punkt: "Sexuelle Identitätsstörungen und ihre Behandlungsmöglichkeiten".
Das Weiße Kreuz hat auch eine Handreichung zum Thema erarbeitet (PDF), in der Homosexuelle zunächst typologisert werden ("viele lieben wechselnde Kontakte", "einige lieben Kinder, Jugendliche oder Gleichaltrige"). Man sollte das Dokument mit all seinen Aussagen gelesen haben, vor allem die vermuteten Gründe einer Homosexualität wären fast erheiternd, hätten sie nicht so einen traurigen Hintergrund. Denn das Dokument hält fest: "Homosexuelle mit Änderungswunsch und -willen können ihre sexuelle Orientierung durch Therapie, Seelsorge oder Selbsthilfegruppen ändern."
"Es ist an der Zeit, dass wir ganz bewusst eine Atmosphäre schaffen, die es den homosexuell empfindenden Menschen unter uns ermöglicht, angstfrei und angenommen mit uns zu glauben, zu hoffen und zu lieben", schreibt Michael Diener für den Gnadauer Gemeinschaftsverband. Das Annehmen hat aber seine Grenzen: "Die Mitarbeit in unseren Gemeinschaften steht allen offen, die aus Gottes Vergebung und Heiligung leben. Wo Menschen aus eindeutig sündhaften Verhaltensweisen dauerhaft keinen Ausweg finden, ist von verantwortlicher Mitarbeit abzusehen."
Evangelikale Netzwerke
Diener ist zugleich im Vorstand der Massenevangelisationsveranstaltung "Pro Christ", die, in Kurzfassung, ebenfalls Homophobie eine Bühne bietet (was immerhin auf eine Anfrage der Bundeskonferenz der LGBT-Hochschulgruppen hin zu einer bemerkenswerten Stellungnahme des damaligen Bundespräsidenten und "Pro-Christ"-Kuratoriumsmitglied Christian Wulff führte, wonach er es für richtig halte, dass Homosexualität nicht mehr gegen das Sittengesetz verstößt). Und Diener ist Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz, die als Mitveranstalter des "Christivals" vor einigen Jahren für Schlagzeilen sorgte, weil Seminare zur Homo-"Heilung" angeboten werden sollten.
An der hält man im Prinzip fest. Auch ansonsten stehen die Evangelikalen Deutschlands denen aus anderen Ländern in Nichts nach. Die steuerliche Gleichstellung von Homo-Paaren sei eine "Diskriminierung der besonderen Leistungen von Ehe und Familie für die Gesellschaft", äußerte etwa Allianz-Generalsekretär Hartmut Steeb. An einer Akzeptzanzkampagne des Landes NRW kritisierte er, man solle nicht den "Irrweg einer ideologisch programmierten sexuellen Vielfalt" bewerben, sondern Ehe und Familie.
Immerhin ließ Michael Diener für die Allianz im letzten Monat klarstellen, dass man eine Todesstrafe für Homosexuelle ablehne. Grund war eine öffentliche Aufforderung von Volker Beck, man solle sich von den evangelikalen Hasspredigern in Uganda distanzieren.
Die CDU und die fröhlichen Christen

Volker Kauder (CDU) 2012 in fröhlicher Runde mit Hartmut Steeb, der lieber von Veränderung als von Heilung von sexuellen Irrwegen spricht
Nun könnte man annehmen, Politiker würden möglichst weiten Abstand zu solchen Organisationen und Personen halten. Aber weit gefehlt: Die evangelische Pfarrerstochter Merkel hatte in den letzten Jahren sogar mehrfach Vertreter der Evangelischen Allianz ins Bundeskanzleramt eingeladen, darunter den Generalsekretär der Allianz, Hartmut Steeb, und frühere Vorsitzende des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes.
Die Verbindung zur Politik beschränkt sich nicht darauf: Das Christival erhielt die Schirmherrschaft durch die damalige Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) und rund 250.000 Euro Steuergelder. Die Bundesregierung äußerte sich nach Protesten kritisch über eine Homo-"Heilung", ließ später aber auch verlauten, man habe keine Zweifel an der Seriösität des Weißen Kreuzes. Und die Bundeszentrale für politische Bildung beugte sich dem Druck der Evangelikalen und distanzierte sich von einem Artikel in der eigenen Schülerzeitschrift "Q-Rage", in der das Christival kritisiert worden war.
Allianz-Generalsekretär Steeb hatte 2006 ein Grußwort Merkels an den CSD in Stuttgart kritisert. Während in den Jahren danach ein Grußwort für den Stuttgarter CSD Folgen für CDU-Politiker haben konnte, schrieb auch Merkel nach der Kritik kein Grußwort mehr. CSD-Veranstalter aus der ganzen Republik erhielten stattdessen aus dem Büro Merkel jährlich ein Schreiben, wonach die Kanzlerin "so viele Bitten um Grußworte oder Textbeiträge" erhalte, "dass sie diesen aus Gründen der Gleichberechtigung nicht regelmäßig nachkommen kann."
Zum letzten Jahrestreffen der Evangelischen Allianz hatte Merkel hingegen eine Grußbotschaft verfasst und vom Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, persönlich überbringen lassen, der die Mitglieder als "fröhliche engagierte Christen" bezeichnete. Immerhin kommt Merkel nicht zum Jubiläumskongress des Gnadauer Gemeinschaftsverbands, der ab heute unter dem Titel "Neues wagen!" in Erfurt stattfindet.
Ranghöchste Besucherin ist stattdessen Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU).















Der latente Analphabetismus in religiösen Fragen
nimmt, auch bei den Gliedern unserer Kirche, erst recht aber im säkularen Raum, weiter
zu.
Ihn zu überwinden, ist nicht nur eine Aufgabe des Religionsunterrichts. Dieser Bildungsauftrag gilt ebenso für Kirchengemeinden und letztlich für jeden einzelnen Christen, jede einzelne Christin.
Da ist es wichtig, selbst auskunftsfähig über den Glauben zu sein.
Religiöse Bildung gehört elementar zum Glauben dazu, sie ist Auftrag und Herausforderung
für uns alle.
Katrin Göring-Eckardt
Präses der Synode der
Evangelischen Kirche in Deutschland