In der Online-Kolumne macht sich der Autor von "Russland Heute" auch über Homo-Gegner lustig, kritisiert aber vor allem Homosexuelle.
In einer Kolumne des vom Kreml finanzierten Magazins wird über die "Homosexuellen-Lobby" gelästert, die ihren "schrillen Lebensstil" zelebriere.
Von Norbert Blech
Das Magazin "Russland heute", das einmal monatlich auch der "Süddeutschen Zeitung" als Print-Beilage beiliegt, hat am Dienstag eine Online-Kolumne veröffentlicht, in der der Autor über eine "Homosexuellen-Lobby" herzieht.
Es sei bereits ein "propagandistischer Erfolg erster Güte", "wenn eine Minderheit der Mehrheit vorschreiben kann, was diese über jene zu denken hat", so der nach einer ehemaligen Satirezeitschrift benannte Kolumnist "Der Ulenspiegel".
Dessen Hauptthese ist, dass es wichtigere Themen als die Frage von Homosexuellenrechten – wie auch entsprechender Verbote – gibt. Der Schlusssatz, wonach "die Moskauer Elite genauso schwul wie die die in San Francisco oder Berlin" sei, ließe eine tolerante Einstellung vermuten, würde sich der Autor nicht darüber beschweren, dass wer etwas toleriere, im Auge der Lobby ja doch nur ein "Schlechtmensch" sei: "Denn wer etwas toleriert, gibt ja zu erkennen, dass da eigentlich etwas nicht in Ordnung ist, er aber großzügig darüber hinweg sieht."
Die "gesellschaftlichen Katastrophe" einer "Scheindebatte"
Die letzte Russen-Beilage der SZ erschien im Dezember und versprach eine "Eiszeit"
"Schwule und Lesben, zumindest ihre Aktivisten, wollen ihren schrillen Lebensstil so lange vor Augen aller zelebrieren, bis diese entweder klein beigeben und Beifall klatschen oder Gottes Zorn auf die Häupter der abartigen Sünder herabflehen", so der anonyme Autor. "Die Konfrontation ist das Ziel, denn sie dient der Positionierung." Daher sei es nicht "so abwegig", von "homosexueller Propaganda zu sprechen".
"Der Ulenspiegel" kritisiert zugleich die Gegenseite, die sich ereifere und wichtigere Themen vernachlässige: "Auch in Russland gibt es weiß Gott dringlicher Probleme als das Hissen der Regenbogenflagge oder öffentliche Küsse gleichgeschlechtlicher Paare." In dieser "Scheindebatte", die von wichtigeren Themen ablenke, liege eine "gesellschaftlichen Katastrophe".
Auch internationale Proteste werden aufs Korn genommen – wie die Regierung: "Die Kombination 'Russland' und 'Homophobie' bietet viele schöne Gelegenheiten für internationale Schulmeister, sich in Szene zu setzen. Und die russische Regierung kann dem Volk wieder mal sagen: 'Seht, wie sie versuchen, uns ihren verdorbenen Lebensstil aufzudrängen'." Der Autor fragt auch, ob Frankreich "keine anderen Probleme hätte" als die Ehe-Öffnung.
Propaganda im In- und Ausland
Russische Hetero-Propaganda auch bei Facebook: Am Mittwoch erklärte die Redaktion "Heiraten" zum Übersetzungs-Wort des Tages
Der Süddeutsche Verlag hat auf Fragen von queer.de, wie man denn mit den Äußerungen des Partners umgeht und ob solche auch in der Print-Beilage erscheinen könnten, bislang nicht reagiert. Texte vom "Uhlenspiegel" waren in der Beilage bereits früher veröffentlicht worden. Die Kolumne unter dem Titel "Ein Käfig voller Narren" war am Mittwoch auch über die Adresse russlandheute.sueddeutsche.de erreichbar, durch eine Facebook-Empfehlungsbox. Das Magazin hat rund 3.650 Follower in dem sozialen Netzwerk.
"Russland Heute" wird vom Kreml finanziert und erscheint in der "Russia Beyond the Headlines"-Gruppe, die die sehr eigene Mischung aus PR und Journalismus in neun Sprachen in elf Ländern betreibt.
Dazu gehört in Russland auch die Tageszeitung "Rossiyskaya gazeta". Im Dezember warnte der russische Aktivist Igor Koschetkow vom LGBT Network, die russischen Behörden hätten eine "anti-homosexuelle Medienkampagne" gestartet, um das Gesetzesvorhaben gegen "Homo-Propaganda" zu unterstützen. Als Beleg diente ihm ein Kommentar aus der Kreml-Zeitung, wonach Russlands Stärke in seinen Familienwerten liege.
Die "Ulenspiegel"-Kolumne zur "Homo-Propaganda" findet sich nicht in der internationalen Version und scheint in, zumindest für Deutschland entstanden zu sein. Die deutsche Ausgabe hatte im letzten August zugleich Aktivisten aus Russland vorgestellt.
Der "Süddeutschen" liegt die Print-Version seit Dezember 2010 einmal monatlich anbei, nach Aussage von Auslandschef Stefan Kornelius gegenüber dem "Spiegel" sieht die Redaktion darin eine Anzeigenbeilage. Eine Januar-Ausgabe ist bislang nicht erschienen. Die SZ selbst hatte das "Homo-Propaganda-Gesetz" am Montag zum Anlass für einem umfassenden, informierten und engagierten Print-Kommentar zum Stand der Gleichstellung in Europa genommen. Das Magazin der Zeitung stellte vor wenigen Wochen Kinder aus Regenbogenfamilien vor (queer.de berichtete).
Nachtrag, 21.20h: Via Twitter schrieb Stefan Plöchinger, der Chefredakteur von sueddeutsche.de soeben: "Weil Anfragen kommen: Als aufgeklärter Mensch und sog. Betroffener distanziere ich mich ausdrücklich von dem Text". Klar sei, "dass derlei unserer liberalen Ausrichtung widerspricht".