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Analyse zum Richterspruch des Bundesverfassungsgerichts
Vorsichtiges Urteil, klare Konsequenz
- 19. Februar 2013 4 Min.

Das Bundesverfassungsgericht hat erneut ein historisches Urteil gesprochen.
De facto gibt es ab sofort ein gemeinschaftliches Adoptionsrecht für Homo-Paare. Karlsruhe hat den Weg zu einer rechtlichen Umsetzung geöffnet, nun muss darauf der Gesetzgeber geschubst werden.
Ein Kommentar von Norbert Blech
Regenbogenfamilien haben es seit Dienstag schriftlich: Sie sind rechtlich eine Familie. Und viel wichtiger: Ihre Kinder haben es nun schwarz auf weiß, dass sie vor dem Gesetz genauso viel wert sind wie die Kinder aus einer heterosexuellen Ehe.
Diese deutliche rechtliche Anerkennung und Würdigung, einstimmig ergangen, ist der eine Grund, warum das heutige Urteil aus Karlsruhe zur Sukzessivadoption für gleichgeschlechtliche Paare ein Meilenstein ist. Der andere umfasst die Konsequenzen: Ein allgemeines Adoptionsrecht für schwule und lesbische Paare lässt sich nicht mehr aufhalten.
Zwar haben die Richter im Bestreben um ein einstimmiges Urteil und um die Einhaltung der Gewaltenteilung viel Aufwand darauf verwendet, keine zitierbaren Aussagen dazu zu machen. Doch die Begründung des Gerichts lässt auf Dauer keinen anderen Verlauf zu.
Keine Gründe gegen die Adoption
Gründe gegen eine Adoption durch Homo-Paare fand das Gericht ohnehin nicht: Die "behüteten Verhältnisse einer eingetragenen Lebenspartnerschaft" können das Aufwachsen von Kindern ebenso fördern wie die Ehe, urteilten die Richter. Das hätten auch alle (seriösen) Stellungnahmen der Sachverständigen ergeben.
Andere Argumente der Gleichstellungsgegner, etwa eine angeblich nötige Besserstellung der Ehe, wies das Gericht ebenfalls zurück. Die Argumentation mit dem Kindeswohl ist die gesellschaftspolitisch entscheidende. Sie wird womöglich von der Union weiterhin ignoriert werden, doch rechtlich ist sie nun gesetzt.
Die Richter erkannten Regenbogenfamilien zugleich rechtlich an: "Die sozial-familiäre Gemeinschaft aus eingetragenen Lebenspartnern und dem leiblichen oder angenommenen Kind eines Lebenspartners bildet eine durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Familie." Allerdings führe dieser grundgesetzliche Schutz nicht zu dem Zwang für den Gesetzgeber, die Sukzessivadoption zu ermöglichen. Der habe in diesen familienrechtlichen Fragen zunächst einen Spielraum.
Da diese Ungleichbehandlung von Ehe und Lebenspartnerschaft allerdings sowohl die Kinder benachteilige wie auch den bisher rechtlosen Lebenspartner, sei das Verbot der Adoption nach dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes gleich mehrfach verfassungswidrig.
Daraus könne man folgern, dass auch ein gemeinschaftliches Adoptionsrecht bei der jetzigen Rechtslage geboten wäre, da Homo-Paare gegenüber Eheleuten benachteiligt würden. Mit dieser Argumentation und vielen weiteren Rosinen aus dem heutigen Urteil ließe es sich wahrscheinlich auch auf dem langen Rechtsweg einklagen.
Praktisch gibt es nun die gemeinschaftliche Adoption
Das gemeinschaftliche Adoptionsrecht existiert seit heute in der Praxis: Wie die zahlreichen TV-Beiträge am Dienstag zeigten, geben Ämter und Familiengerichte gerne Adoptivkinder an einen Partner eines homosexuellen Paares. Es ist davon auszugehen, dass dann in einem Folgeschritt auch der Sukzessivadoption zugestimmt wird, die dem Kind eine bessere rechtliche Absicherung bringt.
Dieser Folge war sich auch das Bundesverfassungsgericht in dem heutigen Urteil sehr bewusst. Ein gemeinschaftliches Adoptionsrecht würde diesen Prozess nur noch vereinfachen und vor allem dem Kind von Anfang an mehr Absicherung bieten.
Diesen Schritt überlässt Karlsruhe dennoch – zunächst – dem Gesetzgeber. Theoretisch könnte eine unionsgeführte Regierung sogar die Sukzessivadoption für schwule und lesbische Paare wieder abschaffen, indem sie auch Ehepaaren diese Möglichkeit nimmt. Das hätte aber derart viele praktische Rechtsfragen zur Folge, dass die Karlsruher Richter tatsächlich den Anfall bekommen würden, den sich einige schon für heute erhofft hatten.
Notfalls muss der Wähler entscheiden
So wird die Sukzessivadoption bleiben. Und das gemeinschaftliche Adoptionsrecht wird auf Dauer kommen. Die Union wird sich vermutlich noch zieren. Bei aller berechtigten Aufregung über die Rückständigkeit der konservativen Parteien – das Urteil ist eine eindeutige wie erneute Klatsche für Merkel und ihre Mitstreiter – sollte die Opposition aber nicht zu laut schreien: Es ist schließlich das rot-grüne Lebenspartnerschaftsgesetz, das heute als verfassungswidrig eingestuft wurde.
Auch bei der heutigen Opposition gab es damals, vor allem in der SPD, Bedenken und Sorgen – obwohl Regenbogenfamilien längst gelebte Realität waren und einige davon so bewusst weiter benachteiligt wurden. Dahinter steckte die Angst, so viel Gerechtigkeit muss sein, vor einem ablehnenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dessen wohlwollende Rechtsprechung noch nicht erahnbar war. Aber auch die Angst vor den eigenen Mitgliedern, den eigenen Wählern.
So sind letztlich auch die Bürger aufgefordert: Wenn ihr die Gleichstellung wollt, dann wählt auch entsprechend. Wie zuletzt das Beispiel Frankreich zeigte, ist das ein ein einfacher, schneller Weg. Und ein demokratischer.
Gerichte sind hingegen nur der Trampelpfad und Notbehelf, um gesellschaftspolitische Fragen voranzubringen. So muss man auch das heutige Urteil des Menschengerichtshofes verstehen, dessen Urteile die unterschiedlichsten Länder des Europarates (nicht der EU) betrifft: Der Weg zur Gleichstellung steht offen und nach den ersten Schritten können wir euch helfen – wie jetzt in Österreich.
Doch den Grundstein müsst ihr euch selbst legen. Das klingt mühsam, in Ländern wie Russland schon fast unmöglich. Aber so hatte auch der Kampf in Deutschland begonnen: 1992, als Karlsruhe urteilte, dass die Einführung einer Homo-Ehe nicht einklagbar ist.
Weit sind wir seitdem gekommen, mit kräftiger Unterstützung des Gerichts. Und bald am Ziel.














