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  • 16. März 2013 60 6 Min.

Ein schwules Paar mit Kufiya. Shereen El Feki glaubt daran, dass sich die arabischen Gesellschaften ändern und Sex und Homosexualität nicht mehr tabuisiert werden - auch wenn dies wohl Generationen dauern wird

Die britische Journalistin Shereen El Feki hat sich an das Tabuthema Sex im Islam herangewagt und lässt in ihrem Buch "Sex und die Zitadelle" auch Homosexuelle und Transgender zu Wort kommen.

Von Angelo Algieri

"Sex und die Zitadelle" – der Buchtitel erinnert unwillkürlich an die Kult-Serie "Sex and the City". Und das kommt nicht von ungefähr. Denn die ägyptisch-britische Journalistin und Autorin Shereen El Feki hat sich an das Tabu in der arabischen Welt herangewagt: Sex. Ein schwieriges Unterfangen, weil es sehr wenige bis gar keine Statistiken über Sexualverhalten gibt. Daran hat der Arabische Frühling kaum etwas geändert. Und doch ist es El Feki gelungen, von Marokko bis Saudi-Arabien Experten wie Männer und Frauen von nebenan zu verschiedenen Themen des Sex- und Liebeslebens zu befragen.

So traf die Autorin die zwei schwulen Männer Nasim und Munir, die in Kairo leben. Nasim gehört der Oberschicht an, Munir ist einfacher Arbeiter. Das hat Auswirkungen. So wäre Nasim bei einer Festnahme durch die Polizei in kürzester Zeit wieder frei, weil er einflussreiche Personen kennt. Munir hingegen habe bereits mehrere Monate Gefängnis, Folter als auch Vergewaltigung durch Polizisten erlebt, wie er selbst erzählt. Kurios: Homosexualität sei in Ägypten offiziell nicht verboten, erklärt El Feki, angewendet werde der Gummi-Paragraf gegen "gewohnheitsmäßige Ausschweifung". Diesen nutze die Polizei aus – auch um etwa gegen unverheiratete Frauen vorzugehen. Den Beamten gehe es nur um die Ausübung von Macht, konstatiert El Feki.

Diese willkürliche Machtausübung haben Schwule in Kairo mit dem "Queen-Boat"-Vorfall noch böse in Erinnerung. 52 Männer wurden im jahr 2001 festgenommen, widersinnigen Analuntersuchungen unterzogen, medial an den Pranger gestellt und von einem Gericht verurteilt. Darum sind bis heute Schwule aus Kairo sehr vorsichtig. Nasim schaut zu, dass er sich nicht an Orten aufhält, die "zu schwul" seien. Einzig an den Tagen während der Revolution, so schildert Munir stolz, sei es egal gewesen, ob man schwul oder hetero ist. Man war einfach Ägypter. Diese Revolutionserfahrung, Teil des Landes zu sein, taucht als Motiv im ganzen Buch immer wieder auf.

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Die Strategie der "subtilen Infiltration"


Für ihr Buch hat Shereen El Feki fünf Jahre lang Frauen und Männer in arabischen Ländern befragt, was sie über Sex denken und welche Rolle er in ihrem Leben spielt

Auch Lesben hat die Journalistin befragt, die allgemein als Frauen in der arabischen Welt schlechter gestellt sind. Darunter etwa Lamia, die von Saudi-Arabien nach Beirut zum Studieren kam. Sie habe geglaubt, im toleranten Beirut einfacher andere Frauen kennenzulernen. Doch niemand spricht sie im Hijab an. Das wäre in Saudi-Arabien einfacher, meint Lamia.

Interessant auch die Begegnung mit der Transfrau Randa. Sie siedelte von Algerien ebenfalls nach Beirut. Da eine Geschlechts­anpassung in Algerien unmöglich sei. Das Geschlecht zu wechseln, ist in der islamischen Welt umstritten. Während viele sunnitische Gelehrte dies verbieten, befürwortet die schiitische Schule anpassende Operationen – selbst im Gottesstaat Iran.

Spannend ist nun, wie Schwule und Lesben die Zukunft bewerten – vor allem nach der Arabellion. Kurzfristig werde sich nichts ändern – darin sind sich alle Interviewpartner überraschenderweise einig. Auch weil viele Homo-Gruppen – zum Leidwesen der westlichen LGBT-Verbände – eine Strategie der "subtilen Infiltration" verfolgen. Das heißt, dass sich Schwule und Lesben für andere gesellschaftliche Probleme oder Menschenrechte engagieren, um auch in diesen Aspekten auf Homo-Belange aufmerksam zu machen. Das Kalkül dabei: Erhöhte Tolerierung, Abbau von Stigmatisierung gegenüber Schwulen und Lesben und vor allem, dass sich vermehrt Heteros für LGBT-Rechte einsetzen. Kleine, mühsame Schritte von "unten".

Der mühsame Weg zur Akzeptanz im Islam

Eine Akzeptanz soll auch im Islam erreicht werden. Aufschlussreich: El Fekis Gespräch mit dem einflussreichen Scheich Ahmad, Imam einer großen Moschee in Damaskus. Er differenziert zwischen homo­sexueller Handlung, die haram (vom Islam verboten), und homo­sexueller Orientierung, die dagegen in Ordnung sei. Widersinnig? Aus westlicher Perspektive ganz bestimmt. Doch in der Auslegung von Koran und Hadithe das "Beste, was er unter den gegebenen Umständen tun kann", konstatiert El Feki. Man muss es als kleinen Fortschritt gegenüber anderen Gelehrten festhalten, die Schwule und Lesben gänzlich verurteilen und mit ihnen nicht in Kontakt kommen wollen.

Doch auch mit einfachen Imamen können Vorurteile abgebaut werden: So schilderte Munir einem Geistlichen, welche Folter und Schikane er durchmachen musste. Der Imam war daraufhin schockiert. Denn er ging davon aus, dass Schwule ständig feiern und ficken… Sensibilisierung und Empathie für Homo­sexuelle, schon dies wären für Munir, Nasim und viele anderen ein großer Erfolg. Doch sollten sich die Muslimbrüder oder andere gemäßigte Islamisten der Region die Regierungsmehrheiten beibehalten, wird das schwieriger…

Staatliche Bordelle in Tunesien und andere Schlupflöcher


Shereen El Feki wuchs als Tochter einer Waliserin und eines Ägypters in Kanada auf, heute lebt sie in London und Kairo. Sie arbeitet u.a. für "Al-Dschasira" und den "Economist"

In den weiteren Kapiteln widmet sich El Feki der Ehe, den unverheirateten und geschiedenen Frauen und Männern. Sowie der Prostitution. Hier gibt es unterschiedliche Arten des Umgangs: In Tunesien etwa existieren seit Jahrzehnten staatliche Bordelle, in denen die Sexworkerinnen alle zwei Wochen ärztlich untersucht werden. Eine große Ausnahme in der Region. Fragt sich, wie lange es sie in Tunesien noch geben wird – den gemäßigten Islamisten sind die Bordelle ein Dorn im Auge. El Feki macht außerdem darauf aufmerksam, dass 80 Prozent der 15 bis 17 Jahre alten ägyptischen Mädchen beschnitten seien. Eine Praktik, die in Ägypten verboten und seit Mitte der 1990er auch durch staatliche Werbekampagnen bekämpft wird. Leider ohne großen Erfolg.

In ihrem Buch beschreibt die Journalistin El Feki einerseits eine zutiefst heuchlerische Gesellschaft. Andererseits sensibilisiert sie den Leser, dass die arabische Region unterschiedlich tickt. Sie ist kein hermetischer Block. Denn es werden Schlupflöcher genutzt. Darin liegt El Fekis Hoffnung, dass sich die arabischen Gesellschaften ändern und Sex nicht mehr tabuisiert wird. Auch wenn es wohl Generationen dauern wird. Und sie verweist mantraähnlich in jedem ihrer Kapitel, dass der Islam im goldenen Zeitalter der Abbasiden vom 9. bis 13. Jahrhundert ein viel sinnlicheres und offeneres Verständnis zu Sex hatte. El Feki informiert zudem, dass es im Bagdad am Hofe des Sultans Harun al-Rashid selbst Drag-Queens und -Kings gegeben habe.

Die queere arabischen Welt ist vielfältiger als im Buch beschrieben

Schade, dass El Feki – vor allem im LGBT-Kapitel – niemanden interviewt hat, der der Strategie der Infiltration kritisch gegenüber steht. Oder einen anderen, radikaleren Weg einschlägt. Etwa wie der Schriftsteller Abdellah Taïa, der bereits 2006 ein öffentliches Coming-out – das erste überhaupt – in Marokko hatte und so eine breitangelegte und langjährige Debatte anstieß. Es irritiert, dass die Autorin dieses Ereignis nicht aufnahm. Die "Rezepte" für mehr Homo-Rechte sind selbst in der arabischen Welt vielfältiger als das Buch uns weismachen will!

Zudem muss man kritisch betrachten, dass El Feki zwar lobenderweise auf die Literatur der Abbasiden Bezug nimmt und so eine traditionelle Brücke baut. Allerdings hätte sie ruhig auch auf die Gegenwartsliteratur verweisen können. Etwa der schon angesprochene Autor Taïa, aber auch die ebenfalls aus Marokko stammenden Rachid O. und Saphia Azzeddine oder den Bahrainer und im deutschen Exil lebenden Ali Al-Jallawi. Davon leider keine Spur…

Dennoch: El Feki bietet mit "Sex und die Zitadelle" einen Rundumschlag über das Sexleben von Arabern an. Ein wichtiges und zugleich hoffnungsvolles Kompendium, das einem die widersprüchliche arabische Welt samt Islam näher bringt – zumal gerade der Westen nach 9/11 vergessen hat, differenziert darauf zu schauen. Eine veritable Sex-Vermittlerin zwischen den Welten, bei der das Private stets politisch ist!

Infos zum Buch

Shereen El Feki: Sex und die Zitadelle. Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt. Aus dem Englischen von Thorsten Schmidt. Hanser-Berlin, Berlin 2013. 415 Seiten. 24,90 €. ISBN: 978-3-446-24152-5.

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#1 Thorsten1
  • 16.03.2013, 16:52hBerlin
  • Aus dem sogenannten "arabischen Frühling" ist ein arabischer Winter geworden, ganz sicher für Schwule!
    Es läuft überall gleich ab: Der Westen unterstützt die "Revolutionäre" und hinterher stellt es sich -natürlich völlig unerwartet- heraus, dass man jetzt die islamischen Fundamentalisten an der Macht hat. Es begann alles mit dem weltoffenen Schah von Persien, wo Frauen ganz selbstverständlich gleichberechtigt waren und Homosexualität toleriert wurde (damals galt der Iran als Geheimtipp auch für westliche Schwule). Dann kam die "Revolution" und aus dem Iran wurde das Mullahregime unter Chomeini.
    Weiter ging es mit Tunesien, Ägypten, Libyen und jetzt ist Syrien dran. Wenn die "Revolutionäre" in Syrien das halb-liberale Assad-Regime gestürzt haben werden, werden Schiiten und Christen in einem Blutrausch umgebracht werden! Schwule werden an Baukränen baumeln und Millionen von Flüchtlinge werden nach Europa kommen.
    Ich frage mich, warum der Westen diese Regime unterstützt. Man weiss es doch, was kommen wird - islamische Fundamentalisten - nichts anderes!
    Meine persönliche Vermutung: Man will bewusst die Region destabilisieren, so dass dort Schiiten gegen Sunniten und Wahabiten kämpfen und der Westen der lachende Dritte ist und damit auf Jahrzehnte hinaus Zugang zu den Ölquellen hat.
    Anders kann ich es mir diesen Wahnsinn nicht erklären.
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#2 JensAnonym
  • 16.03.2013, 17:17h
  • Interessant, aber 2 Kritikpunkte:

    1. Sie geht anscheinend nur auf heterosexuelle Prostitution ein, dabei gibt es bekanntlich auch dort Stricher, welche aufgrund der homosexuellen Handlungen dort ein doppeltes Stigmata erleben.

    2. Sie benennt anscheind nur die Beschneidung von Mädchen?
    Ist die Beschneidung von Jungen nicht genauso eine Verletzung in das Selbstbestimmungsrecht?
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#3 calle dolfinAnonym

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