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Schwule Midlife-Crisis mit 31
Die "langweilige" Schwuppe aus Hannover
- 24. März 2013 5 Min.

In den Rossbreiten - Hochdruckgebiete mit geringer Luftbewegung im Innern - herrscht fast immer Windstille
Mal keine Exzesse, Drogen und endlose Fickpartys: Florian Naujoks literarisches Debüt "Rossbreiten" ist ein Gegenentwurf zum gängigen schwulen Großstadtroman.
Von Angelo Algieri
Rossbreiten sind windstille Zonen, die zwischen zwei Windzirkulationssystemen liegen. Sie treten jeweils zwischen 25° und 35° nördlicher sowie südlicher Breite auf. Der ungewöhnliche Name Rossbreiten kommt aus der Segelschifffahrt. Aufgrund der oft wochenlangen Windstille wurden früher mitgeführte Pferde entweder geschlachtet oder über Bord geworfen, da sie zu viel Trinkwasser verbrauchten. Nur so war das Überleben der Crew gesichert.
In solch einer Zone befindet sich metaphorisch auch Bastian, Protagonist des Romans "Rossbreiten" von Florian Naujoks. Der Debütant, Jahrgang 1977, ist in der ostfriesischen Provinz geboren, wie der Männerschwarm Verlag informiert. Er ging dann zum Studium der Erziehungswissenschaften nach Hannover, lebt nun in Hamburg.
Auch der Roman spielt in einer Lebensstation Naujoks: Hannover – die Stadt wird zwar nicht genannt, doch es gibt mehrere Hinweise. Bastian ist gerade 31 Jahre alt geworden. Als er am Abend in seiner WG-Bude die Reste seiner kleinen Feier aufräumt, beginnt er die restlichen Beck's Gold zu trinken. Dabei reflektiert er sein bisheriges Leben. Resignation und tote Punkte in verschiedenen Bereichen meint er zu sehen.
Der Vater hält Bastians Coming-out für einen Scherz

Autor Florian Neujoks studierte Erziehungswissenschaften in Hannover (Bild: Roman Rätzke)
Etwa beruflich: Nach dem Lehramtsstudium macht er sein Referendariat. In der Schule wird er zwar von den Kids zum bestaussehenden Lehrer – trotz Zahnspange – gewählt, doch sie machen ihm zu schaffen. Noch mehr deren Eltern: So ruft an jenem Geburtstagsabend mit Beck's Gold eine Mutter an, deren Sprössling Torben-Hendrik von Bastian eine drei minus bekommen hat. Die Mutter argumentiert mit Demotivierung des Jungen bei solch einer "schlechten" Note. Bastian, schon etwas angedudelt und genervt, argumentiert dennoch sehr stichhaltig und lässt die Frau nicht mehr zu Wort kommen…
Aber auch familiär scheint einiges bei Bastian ins Stocken geraten zu sein. Es gelingt ihm nach langem Zögern, dem Vater anzudeuten, dass er schwul ist, doch dieser glaubt an einen Scherz. Überhaupt sein Coming-out: Er wusste früh, dass er auf Männer steht, machte kein großes Aufheben darum. Sexuell lief jedoch wenig. Er blickt zurück, wie er nach zwei erfolglosen Versuchen auf Gayromeo doch zu seinem ersten Mal mit einem über 50-Jährigen kam. Doch Bastian möchte sich verlieben. Dazu kommt es ein paar Wochen vor seinem 31. Geburtstag, als er im Supermarkt Christoph kennen lernt. Doch dieser erwidert seine Gefühle nicht – dennoch macht Bastian sich weiterhin Hoffnungen. Resignation auch hier: Was soll bloß im Alter werden? Wird er noch jemanden finden?
Nach sieben Beck's in die "Schwule Sau"
Was Freundschaften angeht, erlebt er ebenfalls Veränderungen. Vor allem mit den besten Hetero-Freunden, die nun Kinder bekommen. Sie nabeln sich von Bastian ab. Keine Zeit mehr oder halten nicht mehr lange beim Ausgehen durch. Auch hier Stillstand. "Armer Bastian!", würde man ausrufen – doch an jenem Freitagabend entschließt sich der Protagonist, nach sieben Beck's allein auszugehen. Draußen schneit es. Er fährt dennoch mit dem Fahrrad. Er stürzt. Doch er lässt sich nicht davon abbringen und fährt in die "Schwule Sau", Hannovers alternative Disco. Erwartet ihn dort weiter die Melancholie?
Autor Naujoks hat die Atmosphäre zwischen zwei Lebensabschnitten sehr gut eingefangen. Oder in den Worten des Titels ausgedrückt: Er fängt treffend die Rossbreiten seiner Generation ein.
Sein Roman ist für 30- bis 40-jährige Leser ein besonderer Genuss. Denn die Story erwähnt in den Rückblenden sämtliche TV-Serien, Pop-Stars und Songs der Kindheit und Jugend jener Generation. Garantiert ein schmunzelnder Wiedererkennungseffekt. So kommen Hörspielkassetten von Bibi Blocksberg bis TKKG und Fünf Freunde vor. Aber auch die in Bravo & Co. erwarteten Oben-ohne-Poster von Lorenzo Lamas oder Sascha Hehn. Auch das Einschreiben von vielen Kids – wie Bastian selbst – in Tennisclubs, nachdem Boris Becker in Wimbledon gewonnen hat, kommt im Text vor. Ein wahres Nostalgie-Panoptikum!
Solide schwule Mittelmäßigkeit

"Rossebreiten" ist im Hamburger Verlag Männerschwarm erschienen
Das Besondere an diesem Text jedoch ist, dass der Autor solide homosexuelle Mittelmäßigkeit beschreibt. Und stellt damit einen Gegenentwurf zum gängigen schwulen, meist durchgeknallten Großstadtroman dar. Keine Exzesse, keine Drogen, keine endlosen Fickpartys. Bastian ist eine "langweilige" Schwuppe.
Dagegen ist Naujoks' Beschreibung einer "Midlife-Crisis" nicht neu. Und gerade bei uns Schwulen wird sie bekanntlich sehr früh gefühlt/erlebt und wurde bereits häufig literarisch verarbeitet. Allerdings tritt sie bei Naujoks im frühen Alter von 30 Jahren auf. Eine Reminiszenz an das, was früher als das "männliche Alter" benannt wurde. Und damit auch an die bekannte Erzählung "Das dreißigste Jahr" von Ingeborg Bachmann. Naujoks knüpft an die kulturhistorische und literarische Tradition an.
Andere schwule Gegenwartsautoren – wie etwa Peter Rehberg in "Boymen" (queer.de rezensierte) – haben da einen anderen Ansatz. In Rehbergs Text befindet sich sein Protagonist in der Midlife-Crisis und Sinnfindung im 40. Lebensjahr. Die Krux hier: Der "Man", der noch "Boy" bleiben möchte – und es noch einmal wissen will. Bei Rehberg ein Gehetzter seiner Zeit und des Jugendwahns. Während bei Naujoks eine notwendige, reflektierende Lebensstille auftritt, die kraftschöpfend ist, um zu neuen Ufern aufzubrechen. Die Frage hier ist: Wieviele Ballast-"Pferde" müssen abgeworfen werden, um weiter segeln zu können?
Ein Wermutstropfen bleibt: In Naujoks Roman stört der etwas dröge Humor. Etwa dass der Schüler Torben-Hendrik heißt. Vermeintliche Nomen-est-Omen-Witze – davon gibt es mehr als genug und das schon seit Jahrzehnten. Auch dass sich die engagierte Mutter bei einer drei minus beschwert: Naja. Dies wurde mittlerweile häufig karikiert. Einfältige Passagen, die ermüden! Guter Humor oder subtile Ironie sehen anders aus. Schade!
Dennoch: Naujoks ist mit seinem Debüt "Rossbreiten" ein nachdenklicher, gut-beobachtender und dennoch hoffnungsvoller Roman seiner Generation gelungen. Ob mit dem Umzug nach Hamburg ein neuer Roman entstehen wird? Wünschenswert wäre es!
Florian Naujoks: Rossbreiten. Roman. Männerschwarm Verlag, Hamburg 2013. 176 Seiten. 16 €. ISBN: 978-3-86300-133-9.
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angelo algieri klingt dagegen wie:
und wenn ein schwein nicht mehr schreit wie schwein, dann ist es nicht mehr am leben.
www.youtube.com/watch?v=iSoBZP_vUDU