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Thatcher und die Homos
Für Maggie: "No Clause 28!"
- 09. April 2013 5 Min.

Boy George ließ Blumen sprechen und Homos tanzen in seinem Videoclip "No Clause 28" (Bild: Screenshot)
Wie die Eiserne Lady 1988 die Schwulen in Essen völlig aus dem Takt brachte, und wie sich der Widerstand gegen ihre Politik in Deutschland und Europa formierte.
Von Christian Scheuß
Tief im Westen, in der Revierstadt Essen, Mitte des Jahres 1988 an einem Samstagabend. Im soziokulturellen Zentrum "Zeche Carl" tanzen mehrere hundert Schwule und Lesben in der Kaue der ehemaligen Zeche zur wummernden House-Musik auf der beliebten Mandance-Party. Doch dann verstummt – völlig überraschend – die Musik, gehen die bunten Scheinwerfer aus. Stromausfall? Von wegen: "Mandancebreaks" ist angesagt. Eine Handvoll Aktivisten der Ruhrgebietsgruppe "Pottschwul" strömt mit Transparenten und Flyern in die Kaue und ruft laut "Stoppt Klausel 28!"
Maggie Thatcher und ihr antischwules Gesetz gegen die "Promotion für Homosexualität" hat mal eben Knall auf Fall die Party gesprengt. Zumindest für fünf Minuten. Dann waren die Appelle und Aufrufe zur Solidarität mit der britischen Gay Community, und vor allem mit der vom britischen Schwulenaktivisten Peter Tatchell mitgetragenen Gruppe "Outrage" verklungen. Die Musik setzte mit dem passenden Stück wieder ein. Boy George singt fröhlich seinen Politprotest-Hit: "No Clause 28!"
Die "Aktionsgemeinschaft Pottschwul" stellt etwas später ernüchtert in einem Sitzungsprotokoll fest: "Ein Großteil der 'Mandancebreaks' ist beim Publikum nicht angekommen." Logisch, wer will sich schon zwangsweise mit Homophobie in England konfrontieren lassen, wenn ihm gerade nach Tanzen ist. Die politische Schwulenbewegung jener Zeit wusste aber auch: Nur Abtanzen zu naiven Protestsongs wie dem von Boy George, das kann es auch nicht sein. Tatsächlich hat das von Thatcher und ihrer Partei initiierte antihomosexuelle Sondergesetz – das erste in Großbritannien nach einhundert Jahren juristischer Ruhe, für eine beispiellose Mobilisierung in Europa gesorgt. Die "Iron Lady", die ihr "Programm zur Überwindung der nationalen Dekadenz" umsetzen wollte und dafür von deutschen Politikern wie dem CSU-Hardliner Peter Gauweiler gelobt wurde, wurde zum neuen Feindbild der hiesigen Community.
"Clause 28": Die reaktionäre Antwort auf die Bedrohung durch Aids

Kein Hit: Der Song landete 1988 in UK nur auf Platz 57 der Charts
"Section 28" (Genauer Wortlaut und Übersetzung bei Wikipedia) war Abschnitt eines größeren Reformwerks, das die Arbeit örtlicher Behörden und staatlicher Anlaufstellen neu regeln sollte. Darin wurde den Einrichtungen untersagt "Homosexualität zu promoten". Die positive Darstellung der gleichgeschlechtlichen Liebe oder gar die Förderung schwul-lesbischer Selbsthilfestrukturen sollte damit unterbunden werden. Die vitale Szene des Königsreichs fürchtete eine komplette Zerschlagung ihrer Infrastruktur und neue Diskriminierungen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Die Ängste waren nicht ganz unberechtigt, schließlich wütete gerade die "schwule Plage" Aids. "Clause 28" war die reaktionäre Antwort auf die Immunschwächekrankheit, die Homos mit ihrem Lebensstil wurden zu "Schuldigen" abgestempelt. Für die Konservativen bot sich zudem ein weiterer Hebel zur Demontage der Labour-Partei, die sich Mitte der Achtziger Jahre eher homofreundlich zeigte.
Der damalige Parteivorsitzende der Konservativen Norman Tebbit formulierte seine Abscheu deutlich: "Die Toleranz sexueller Abweichungen hat inzwischen dazu geführt, dass es Forderungen gibt, die Abartigkeiten als normal zu betrachten." Auf der Parteikonferenz der Konservativen im Oktober 1987 attackierte die Premierministerin in ihrer Eröffnungsrede direkt liberale Haltungen gegenüber schwul-lesbischem Leben: "Kindern wird beigebracht, dass sie ein unveräußerliches Recht haben, homosexuell sein zu dürfen…"
Solche Aussagen inmitten der Aidskrise zeigten Wirkung. Repräsentative Meinungsumfragen belegten eine steigende homophobe Haltung bei der Bevölkerung. 1987 erklärten 74 Prozent, sie fänden homosexuelle Handlungen als komplett oder überwiegend "verkehrt". Bei einer anderen Umfrage 1988 stimmten nur 48 Prozent für die Legalisierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen. 1985 waren es noch 61 Prozent.
Die Dekadenten warfen sich ins Zeug – und ins Fernsehstudio

Die eiserne Lady, die ein "intolerantes, rassistisches Rattenloch" (Hanif Kureishi) führt (Bild: Screenshot aus Boy George Video)
Die britische Schwulenbewegung in Großbritannien formierte sich, versuchte mit allen Mitteln und bis zuletzt, "Section 28" zu verhindern. Schauspieler Ian McKellen, der wegen des Gesetzes aus dem Schrank kam, versammelte namhafte Intellektuelle und Künstler hinter sich, veranstaltete Kulturevents, hielt flammende Reden, trat als offen schwuler Mann vor die Medien. Noch am Abend vor Inkrafttreten des Gesetzes zum 24.Mai 1988 gelangten zwei aufgebrachte Lesben ins BBC-Fernsehstudio und störte die gerade laufenden Abendnachrichten.
Und in Deutschland? Mit Peter Gauweiler und seinem 1987 durchgeboxten restriktiven bayerischen Maßnahmenkatalog zur Bekämpfung von Aids hatte die Community bereits ordentlich einstecken müssen. Der schwule Journalist Felix Rexhausen konstatierte im Magazin "DU & ICH" zur britischen Dekadenz-Agenda: "Dies begeistert in Deutschland nicht nur einen Herr Gauweiler und in England nicht nur eine Frau Thatcher. Die armseligen beschränkten Köpfe, die wissen, was 'dekadent' ist und was dagegen "moralisch gesund und wertvoll" ist, die sitzen auf vielen Hälsen."
Während in den Münchner Schwulensaunen die Kabinentüren ausgehängt wurden, erreichte der Ruf aus England nach solidarischer Unterstützung die europäischen Nachbarn. Und wurde gehört. Nicht nur im Ruhrgebiet, auch in Köln, Berlin, Bremen, Hamburg und Neukirchen gab es eigene Proteste und Mahnwachen oder war es Thema bei den sommerlichen CSD-Paraden.
Die bis dato größte Lesben- und Schwulendemo Europas hatte Thatcher ausgelöst
Höhepunkt: Am 30. April 1988 fand in London die bis dato größte Lesben- und Schwulendemo Europas statt. Man zählte, je nach Quelle, 50.000 bis 100.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Selbst aus Kanada, den USA, Australien und Neuseeland gab es Anreisen. Die Kölner Gay Liberation Front hatte zur Teilnahme aufgerufen, das Bremer Rat und Tat-Zentrum heuerte einen Bus an, der 50 Aktivisten und Sympathisanten des Homozentrums, sowie Vertreter der Grünen und des Bundesverbandes Homosexualität (BVH) über den Kanal zur Kundgebung kutschierte. Die Grünenpolitikerin Jutta Oesterle Schwerin und BVH-Sprecher Christoph Behrens verlasen Solidaritätsadressen.
Im Hamburger Magazin DornRosa (dem Hausblatt der Demokratischen Lesben- und Schwuleninitiative "DeLSI") berichtete Teilnehmer Peter Norman anschließend euphorisch von dem Treffen, das nicht nur aus Reden bestanden habe: "Die Begeisterung der Menge kannte keine Grenzen, als der bekannte schwule Sänger Tom Robinson eine auf den neuesten Stand gebrachte und verlängerte Version seines Klassikers 'Glad to be Gay' sang. Und Boy George sang sein neues Lied 'No Clause 28' gleich zweimal."
Der Idee einer vernetzten europäischen Homobewegung hatte dies alles neue Impulse gegeben. Ende 1988 tourte beispielsweise wochenlang ein von niederländischen Gruppen initiierter "Clause 28-Aktionsbus" durch Deutschland, um über die Folgen des Gesetzes aufzuklären. Den Schwulen und Lesben auf der Insel hatte es dagegen wenig geholfen.
England war, wie Autor Hanif Kureishi (Mein wunderbarer Waschsalon) derbe schimpfte, zu einem "armseligen, ungemütlichen hässlichen Ort" geworden. "Ein intolerantes, rassistisches, homophobes, engstirniges und autoritäres Rattenloch, geführt von bösartigen Bauerntölpeln und materialistischen Philistern."















Das waren noch Zeiten!
Kreativer Protest und echte Aktionen auf der Strasse!
Zugegebenermassen hat sich unsere Situation seither verbessert, aber es wird wieder Zeit nun auch die letzten grossen Brocken der Diskriminierung aus dem Weg zu raeumen!
Vielleicht mit britischer Solidaritaet.