Da haben Männer im Berliner Tiergarten Sex und ein Boulevardblatt echauffiert sich. Was das wirklich "ekelhafte" an dieser Geschichte ist, sagt Christian Scheuß.
Sehr geehrte Kollegen A. Grömminger, K. Marrach, S. Meissner und Th. Schröder!
Da musstet Ihr also gleich zu viert anrücken, um für das Berliner Boulevardblatt B.Z. mal was richtig Investigatives, mal was ganz Provokantes zu recherchieren. Mit einem starken Teleobjektiv habt ihr sie dann abgeschossen, die Männer, die sich da am helllichten Tag im Berliner Tiergarten treffen. Sie treffen sich dort, wie ihr es im Titel der Story knallhart benennt, für "Sexspiele mitten im Tiergarten". Da kann es nur eine Reaktion drauf geben: "Berliner empört". Und natürlich: "Politiker fordern Maßnahmen."
Genau lesen lohnt sich: Nicht die eigentlichen Taten, sondern die Bilder von den "Sexspielen" sorgen hier für Aufregung: "Die B.Z.-Fotos dieses offen zur Schau gestellten Treibens erhitzen die Gemüter", schreibt das Blatt ungeniert. Liest man weiter, wird klar: Es gibt weder Anzeigen von unfreiwilligen Augenzeugen wegen "Erregung öffentlichen Ärgernisses", noch gibt es die erwähnten empörten Berliner. Die in der Fotostrecke gezeigten vermeintlich Belästigten wurden einfach nur mit den B.Z.-Paparazzi-Bildern konfrontiert.
Die B.Z. bastelt sich ihre eigene Empörung
Persönlichkeitsrechte missachtet, nicht existente Aufregung provoziert. (Bild: Screenshot)
Männer haben Sex im Tiergarten, was für eine Neuigkeit. Kommt zwar geschätzte einhundert Jahre zu spät ins Blatt, diese Sensation, aber immerhin: Jetzt erfährt endlich auch der geneigte B.Z.-Leser, was die Schwulen da so treiben. Wie schamlos sie dabei sind: "Vor den Augen von Spaziergängern, Joggern, Fahrradfahrern". Und wie dreckig: "Neben dem Anblick von Männern, die sich öffentlich befriedigen, kritisieren Spaziergänger auch, dass benutzte Kondome und Kondomverpackungen auf den Parkwegen zurückbleiben." Immerhin, nach dem Bericht über die Sexspiele vom Mittwoch fand am Donnerstag gleich das "große Ekelaufräumen" statt.
Die B.Z. bastelt sich ihre eigene Empörung über die nach Meinung der Reporter dreckigen, rücksichtslosen Homosexuellen. Und man fragt sich: Warum? Vor allem: Warum jetzt?
Die Story befeuert bewusst das homophobe Ressentiment des neidvollen Spießbürgers, der im Schwulen eh schon immer den triebgesteuerten unkontrollierten Sexmaniac sah, dessen Treiben am Ende nur eines erzeugt: Ekel. Und so jemand fordert derzeit vehement die Öffnung der Ehe. So jemand erdreistet sich, die CDU vom CSD auszuladen. So jemand darf jetzt auch noch in Frankreich heiraten.
Mag die Story aus einem Reflex entstanden sein, mag es der gezielte Schlag unter die Gürtellinie sein, es braucht keine Fantasie noch den Hang zu Verschwörungstheorien, um hier einen Zusammenhang zu sehen. Die Geschichte erschien nicht zufällig. Das, wie auch die Veröffentlichung der Bilder, die nur notdürftig die Gesichter der Personen kaschieren, aber dennoch genug zeigen, um die Beteiligten für Bekannte und Verwandte wiedererkennbar zu machen: Das ist das eigentlich ekelhafte an der Story.