2 Kommentare
- 21.05.2013, 15:04h
- bleibt die frage:
wer lässt jungs ihren körper selbstbestimmt und nichtheteronormativ entdecken?
g-punkt usw. usw.? - |
Laura Méritt hat den Klassiker "Frauenkörper neu gesehen" aktualisiert und nach über 30 Jahren wieder aufgelegt.
Von Ulrike Kümel
Auf den erste Blick könnte diese Neuauflage durch den Titel abwegig erscheinen: was soll denn nach über 30 Jahren noch "neu" sein? Dieses feministische Buch "Frauenkörper neu gesehen" hatte Anfang der 1980er Jahre als erstes die weibliche Ejakulation Publik gemacht, hatte den weiblichen Körper komplett dargestellt und Selbstuntersuchungen für jede Frau zugänglich gemacht.
Wir könnten jetzt meinen, dass es in der Schule Aufklärung gibt, dass wir in der Zeit der "Generation Porno" leben und dass uns per Internet jederzeit alle Infos zur Verfügung stehen – aber es ist nicht so. Dieses feministische Buch beweist, dass die heutige Medizin und Gesellschaft immer noch misogyn ist. Das bedeutet, dass weiterhin der weibliche Körper in Uni-Lehrbüchern nicht korrekt und nicht vollständig dargestellt wird, und dass weiterhin eine allgemeine Aufklärung Not tut.
Dies hat zum Teil andere Auswirkungen als damals: Hatte die Erstausgabe noch das Anliegen, eine positive Einstellung zur Menstruation zu vermitteln, will sie heute z.B. dem Irrglauben einiger junger Frauen entgegen wirken, die auf Grund der falschen Bezeichnung "kleiner" anstatt "innerer" Schamlippen meinen, diese kürzen lassen zu müssen – Schlagwort "Designerpussy". Auch ist es gegenwärtig notwendig klarzustellen, dass es kein Jungfernhäutchen gibt (sondern das Gewebe Vaginalkorona) und dass es mithin perfide ist, damit einen Beweis der Jungfräulichkeit zu konstruieren. – Erfreulich ist, dass gegenwärtig zu einem frauenbewegten Buch die sexuelle Orientierung und Identität dazu gehört (inklusive trans* und inter*) wie auch Safer Sex und die Thematisierung der Genitalbeschneidung.
Wie Frauen sich ihren Körper aneignen können
Dieses Werk hat wie die Ersterscheinung einen politischen Anspruch. Es will dadurch, dass es Frauen zeigt, wie sie sich ihren Körper aneignen können, Selbstermächtigung ermöglichen für das selbstbewusste Durchsetzen der politischen (Frauen)Interessen. Und wie gründlich das dieses Handbuch macht! Mit über 200 Zeichnungen wird nicht nur bis ins kleinste Detail alles, aber wirklich auch alles, was unser weiblicher Körper enthält, dargestellt. Es wird auch noch allerausführlichst Schritt für Schritt gezeigt, wie wir Selbstuntersuchungen – normale und solche, die eigentlich nur die Frauenärztin macht – durchführen können. Dies ermöglicht uns, auf unsere Gesundheit zu achten, dem Arzt eine kompetente Gegenüber bei chirurgischen Eingriffen zu sein und ggf. als Hetera eine schonende Empfängnisverhütung zu finden. Da bleiben keine Fragen offen, da bleibt keine Körperstelle unbeleuchtet.
Aber – und nun höre ich auf zu spaßen – es zeigt sich, dass dies wirklich angebracht und nötig ist. Immer wieder wird deutlich, wie durch misogyne Unkenntnis Frauen geschadet wird. So wird immer noch bei Geburten leichtfertig ein Dammschnitt gemacht, weil ignoriert wird, dass dieser Bereich keineswegs einfach nur ein Damm ist, sondern das Dammschwellgewebe, das zur Klitoris gehört. Ein Dammschnitt kann zu einer Beeinträchtigung der sexuellen Erlebnisfähigkeit führen.
Die Klitoris ist mehr als die Perle
Ausgegangen wird in diesem Werk von dem ursprünglichen Klitoris-Begriff, bevor Misogynie in der Medizin und in der Gesellschaft dafür sorgte, dass alte Kenntnisse verschwanden, sich verwirrende Begriffe einbürgerten und diese auf die Perle reduziert wurde. Dieses Werk zeigt, dass die Klitoris viel größer als angenommen ist und neben der Perle aus Schwellgewebe, Muskeln, Drüsen, Nerven und Blutgefäßen besteht und sie stets an allem beteiligt ist.
Kernstück dieser Publikation ist die "ausführliche Darstellung des weiblichen Sexualkomplexes inklusive der orgasmischen Energie und der freudvollen Ejakulation" und sie zeigt genaustens, "wie was funktioniert, wo es sich befindet und sich bei sexueller Aktivität verändert." Phänomenal ist die riesige Darstellung der nicht erigierten und der erigierten Klitoris im Vergleich – das muss frau gesehen haben!
In der Mitte des Bandes befinden sich auf jeweils einer Doppelseite dicht gedrängt fast 40 Fotos von Vulven und Gebärmuttermündern. Diese Fülle kann zunächst einschüchtern, aber ich will sie hiermit zum Pflichtprogramm für jeden Menschen über 16 Jahren erklären – egal ob stockschwul, (tatsächlich) zölibatärer Pfarrer oder nicht. Es ist der ultimative Beweis, dass alle Frauen einzigartig sind, dass es daher keine Norm geben kann und dass wir alle wunderschön sind.
Die Neuauflage ist lesbenkompatibel geschrieben
Ich finde dieses Buch lesbenkompatibel, weil es queer-feministisch geschrieben ist. Es geht nicht von einer starren Identität aus und sieht Frauen als autonome Wesen – und nicht als 'im Zusammenhang zum Mann' konstruiert. Ich denke deshalb, dass auch das Kapitel "Schwangerschafts-unterbrechung" als feministischer Dauerbrenner für uns lesenswert ist. Und vor allem gibt es in dieser Neuauflage nicht mehr das Bild "erigierter Penis mit korrektsitzendem Kondom"..
Einziger Wermutstropfen ist, dass nur über die Existenz von HPV-Impfungen für Mädchen geschrieben wurde, nicht aber, dass diese sehr umstritten sind, worauf u.a. das FFGZ Berlin, das selbst zu den Berater_innen dieses Werkes gehört, hinweist. Das soll aber laut Herausgeberin in der nächsten Auflage ergänzt werden.
Hinzuzufügen ist, dass "Frauenkörper neu gesehen" weitaus mehr ist, als der Untertitel "Ein illustriertes Handbuch" vermuten lässt – es ist ein Nachschlage-Werk mit fast 500 Stichwörtern, einem ausführlichem Glossar und mit einem reichhaltigen Bibliographie- und Literaturhinweise-Teil.
Unwiderstehliche Frauen wie du und ich
Auch will ich die Illustration erwähnen; das sind die Zeichnungen von teils bekleideten/unbekleideten Frauen vor jedem neuen Thema und ein Gruppenbild mit der Herausgeberin Laura Méritt am Ende des Bandes. Es sind reale Frauen, sie haben hängende Brüste, einen Bauch mit Rettungsringen, fusselige Haare, leuchtende Augen und sind einfach unwiderstehlich. Sie sind wie du und ich, und strahlen Selbstbewusstsein und Lebensfreude aus.
Meiner Meinung nach ist es dem Buch gelungen, seinem Anspruch gerecht zu werden, weil es eine überzeugende Mischung aus (überwiegend noch nicht bekannten) Informationen, queer-feministischer Reflektion und anrührenden Zeichnungen bietet.
Abschließend noch zwei quasi private Anmerkungen:
1. Als Psychoanalyse-Kundige hat betrübt, dass Freud dreimal als Mitverursacher für die Marginalisierung der Klitoris genannt wurde. Dies hat mit einer falschen Rezeption seiner Theorie zu tun (vgl. Juliet Mitchell: "Psychoanalyse und Feminismus. Freud, Reich, Laing und die Frauenbewegung" von 1974). Es entgeht Frauen damit die Chance, die feministische Psychoanalyse für sich zu nutzen.
2. Welche wissen will, wie die durch dieses Buch neuerworbenen (Sexual-)Kenntnisse am besten in die Praxis umgesetzt werden können, der empfehle ich das Buch Yoni Massage. Entdecke die Quellen weiblicher Liebeslust (Amazon-Affiliate-Link ) von Michaela Riedl aus dem Jahr 2006.
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Mehr queere Kultur:
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Er hat mich spontan dazu angeregt, an dieser Stelle einmal auf mein Projekt "Viva la Vulva!" zu verweisen.
Mit den auf der betreffenden Website veröffentlichten Bildmontagen versuche ich nämlich, meine ganz persönliche Sicht der Dinge aufzuzeigen und hoffe, dass ich damit einen kleinen Beitrag zu diesem so überaus wichtigen Thema leisten kann. Beim Thema "weibliche Genitalien" braucht es nämlich mehr gesunde, liebevolle und respektvolle Projekte von Menschen, die erkannt haben, was für ein Wunder die Vulva ist und sich damit auseinander setzen - jenseits von Medizin und Pornografie. Meine Bilder sollen dazu anregen, über dieses sensible Thema unbefangen zu diskutieren und/oder sich einfach nur an den Fotos zu erfreuen.
Wer sich angesprochen fühlt, ist herzlich dazu eingeladen.
Hier der direkte Link:
www.fred-lang.de/vulva2.html
Mit freundlichen Grüßen
Fred Lang