Martin Lohmann im letzten Dezember bei "Hart aber fair". Nach seinen Äußerungen war er einen Job bei der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation (MHMK) los, während der Redakteur der Sendung Kritik an einer Einladung zurückweist
Mit drei Forderungen wollen schwule und lesbische Journalisten erreichen, dass diffamierende Äußerungen nur dann verbreitet werden, wenn sich Redaktionen von ihnen klar distanzieren.
Von Norbert Blech
Die Wut wirkte lange nach. Am 3. Dezember strahlte die ARD eine unterirdische "hart aber fair"-Sendung zur Homo-Ehe aus (Video). Angesichts eines drohenden CDU-Parteitagsbeschlusses gegen ein Ehegattensplitting für Lebenspartnerschaften wäre eine Sendung angemessen gewesen, in der sich CDU-Politiker für die fortgesetzte Diskriminierung von Schwulen und Lesben hätten rechtfertigen müssten.
Stattdessen trug die Sendung den reißerischen wie ins negative driftenden Titel "Papa, Papa, Kind: Homo-Ehe ohne Grenzen?" und fuhr anstatt seriöser Experten zur Gleichstellung Prominente zur Unterhaltung auf: Ralph Morgenstern sowie eine lesbische Sängerin der No Angels. Dann verschwendete sie sehr viel Sendezeit auf eine absurde Empörung über einen schwulen Weihnachtsmarkt.
Vor allem aber war für die Gegenseite der katholische Publizist Martin Lohmann eingeladen, der von einem "Homosexuellen-Hype" sprach und vom Moderator unwidersprochen erzählen durfte, dass Homosexuelle "im Irrtum leben", nicht der Schöpfungsordnung entsprechen, Morgenstern "falsche heterosexuelle Erfahrungen" gemacht habe und nur heterosexueller Sex ein verantwortliches Handeln sei.
Nicht mehr für die eigene Sexualität rechtfertigen müssen
Das Waldschlössen ist Namensgeber des Appells (Bild: Norbert Blech)
Als sich Anfang März schwule und lesbische Journalisten und Bloggern zu einem Seminar im Tagungshaus Waldschlösschen bei Göttingen trafen, war die Empörung darüber immer noch zu spüren. Die Teilnehmer, darunter Journalisten von queer.de, debattierten auf Anregung von Johannes Kram vom Nollendorfblog, ob dieser redaktionelle Umgang mit Hohmann, in anderen Sendung auch mit Gabriele Kuby oder Katherina Reiche angemessen ist. Das klare Urteil: Nein!
So entstand ein Appell, der nach ein paar redaktionellen Überarbeitungen nun mit einer großen Anzahl von Erstunterzeichnern veröffentlicht wurde. Redaktionen werden darin aufgefordert, diskriminierende Äußerungen klar zu benennen und den Personen dahinter keine Plattform zu bieten. Schwule und Lesben sollten sich nicht mehr für ihre Sexualität rechtfertigen müssen.
Das ganze erinnert ein wenig an David Bergers Standpunkt gegen Homo-Hasser in den Talkshows, steht aber unter anderem als Mit-Initiative des "Bundes schwuler und lesbischer JournalistInnen" (BLSJ) auf einem breiteren Standbein – und benennt deutlicher, welche Äußerungen nicht mehr unkommentiert verbreitet werden sollten.
Es geht nicht, wie auf Bergers Text zahlreich geantwortet wurde, darum, jemanden das Recht auf Meinungsäußerung zu verbieten. Jeder darf diese äußern, solange er sich im Rahmen der Gesetze bewegt (und jeder darf dafür entsprechend kritisiert werden). Vielmehr geht es darum, ob er dies in Talkshows als gleichberechtigte Meinung als eingeladener "Experte" kuntun darf, ohne jegliche journalistische Einordnung.
Ein Priester kann durchaus die Meinung vertreten, dass er Homosexualität für eine Sünde hält. Wenn er aber sagt, dass man Homosexuelle heilen kann, ist ein Einschreiten des Moderators mit den eindeutigen Fakten dagegen erforderlich – und die Frage, ob dieser Mann wirklich als Experte taugt, den man noch einmal einlädt. Was hat Gabriele Kuby, die nicht die katholische Kirche vertritt sondern nur ihre eigenen irren bis volksverhetzenden Thesen, andauernd als "Expertin" im ZDF verloren? Dass Katherina Reiche mit ihren Thesen über die mangelnde Zukunftsfähigkeit eines Landes wegen der Homo-Ehe durch die Talkshows tingelt und dort nur von anderen Gästen, nicht aber von den Moderatoren kritisch hinterfragt wird, wirft im übrigen auch ein trauriges Licht auf den politischen Journalismus überhaupt.
Letztlich geht es mit dem Appell darum, Homophobie und ihre Folgen redaktionell genau so ernst zu nehmen wie etwa Rassismus und seine Folgen. Der Appell kann auf der Webseite der-appell.de mitunterzeichnet werden. Unterzeichnet haben ihn u.a. viele Journalisten inklusive der Redaktion von queer.de, der LSVD, das Berliner Anti-Gewalt-Projekt Maneo, die Geschwister Pfister, die Sängerin Marianne Rosenberg und der Regisseur Marco Kreuzpaintner ("Sommersturm").
Dokumentation: Der "Waldschlösschen-Appell" gegen die Verharmlosung homosexualitätsfeindlicher Diffamierungen
Der Appell hat eine eigene Webseite und wird am Montag auch in einigen Zeitungen thematisiert
Lesben und Schwule stehen aufgrund der Diskussion um die rechtliche Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften im Fokus der Medienöffentlichkeit. Wir begrüßen eine breite Diskussion um die politische und juristische Ausgestaltung der Rechte Homosexueller.
Wir wehren uns jedoch dagegen, dass Argumentationsmuster, die der Diffamierung der Identität Homosexueller dienen, weiterhin als "Debattenbeiträge" oder "Meinungsäußerungen" verharmlost werden.
Wir warnen vor verstärkten Homosexualität herabwürdigenden Anfeindungen, wenn viele Medien weiterhin Angriffe auf die Würde und die Menschenrechte Homosexueller als Teil des legitimen Meinungsspektrums bagatellisieren.
Hierzu gehören Aussagen wie:
- Homosexualität sei widernatürlich
- Homosexualität sei eine Entscheidung
- Homosexualität sei heilbar
- Heterosexuelle Jugendliche könnten zur Homosexualität verführt werden
- Homosexualität sei eine Begünstigung für sexuellen Missbrauch
- Die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften sei eine Gefahr für die Gesellschaft (etwa, weil durch sie die weniger Kinder geboren werden würden)
Wir fordern Journalistinnen und Journalisten dazu auf,
1. solche Aussagen deutlich als diskriminierende Anfeindungen zu kennzeichnen und zu verurteilen (so wie es auch etwa bei rassistischen, sexistischen oder antisemitischen Anfeindungen geschieht)
2. Vertretern solcher Aussagen keine Plattformen zu bieten, so lange sie sich nicht klar von ihnen distanzieren
3. Homosexuelle in Beiträgen und Diskussionen nicht länger in die Situation zu bringen, sich für ihre sexuelle Orientierung rechtfertigen zu müssen.
(Begründet durch ein Treffen der teilnehmenden Journalisten und Medienleute im Rahmen eines Seminars der Akademie Waldschlösschen, Gleichen bei Göttingen und eine Initiative des Bundes Lesbischer und Schwuler JournalistInnen (BLSJ) in Kooperation mit dem Nollendorfblog im Frühjahr 2013)
Nachtrag, 10.6., 13.30h: In einer Presseerklärung schreibt Nicole Koenecke, Vorstandsmitglied des BLSJ: "Es geht nicht darum, andere Meinungen zu bekämpfen. Wir begrüßen eine kontroverse Diskussion um die politische und juristische Ausgestaltung der Rechte Homosexueller. Wir müssen aber klarstellen, wann eine Aussage keine Meinung mehr ist, sondern eine Diffamierung." Es reiche nicht mehr, "Klischees zu bekämpfen, mit denen Homosexuelle in den Medien immer wieder herabgewürdigt werden. Wir müssen eine rote Linie definieren, die unserer Meinung nach nicht überschritten werden darf."
Johannes Kram vom Nollendorfblog ergänzt: "Keine Redaktion lädt einen Rassisten in eine Talkshow ein und bringt ein Rassismus-Opfer in die Situation, sich für seine Hautfarbe rechtfertigen zu müssen. Schwulen und Lesben passiert aber Vergleichbares immer wieder." Viele Medien täten, "als ob die rechtliche Gleichstellung von Lesben und Schwulen eine Frage der Ästhetik und des Zeitgeistes und nicht eine Frage von Bürgerrechten sei."
Inzwischen haben mehrere hundert Leute den Appell unzerzeichnet. Mit einem Blogeintrag des "rosaroten Maulwurfs" gibt es auch eine erste Gegenmeinung.
Dass Transsexuelle ebenfalls unter falschen und diffamierenden Äussserungen in den Medien oder die durch missbräuchliche Verwendung von Begriffen und die damit entstellende Vermittlung ihrer Situation leiden, gehört endlich nachdrücklich kommuniziert!