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Verhaftungen bei Protesten gegen das Gesetz
Russland: Landesweites Gesetz gegen "Homo-Propaganda" beschlossen
- 11. Juni 2013 7 Min.

Die Polizei verhaftete am Morgen rund 25 LGBT-Aktivisten vor dem Parlament und führte sie in Mannschaftsbussen ab. Einige machten sich nach der Freilassung erneut auf zur Duma, wo sie erneut verhaftet wurden.
In dritter Lesung stimmte die Duma bei nur einer Enthaltung für das landesweite Verbot der "Werbung" für Homosexualität. Bei Protesten vor der Parlament wurden schwule und lesbische Aktivisten vehaftet und verprügelt – teilweise von Kindern.
Von Norbert Blech
Nun ist es endgültig beschlossen: In der russischen Staatsduma stimmten am Dienstag um 17.27 Uhr Ortszeit (15.27 Uhr in Deutschland) 442 von 443 Abgeordneten für einen Gesetzentwurf, der "Propaganda" für Homosexualität landesweit verbietet und unter Strafe stellt. Nur ein Abgeordneter enthielt sich der Stimme.
Präsident Wladimir Putin hat bereits angekündigt, das Gesetz zu unterzeichnen; es tritt mit Veröffentlichung im Gesetzesblatt sofort in Kraft. Bereits am Morgen hatten die Duma in der zweiten Lesung für das Gesetz gestimmt.
Der in den letzten Tagen veränderte Gesetzentwurf sieht Strafen für die "Werbung" für "nicht traditionelle sexuelle Verhältnisse" unter Minderjährigen vor: Rund 100 bis 120 Euro für Privatpersonen, das zehnfache für Offizielle wie etwa Lehrer und 12.000 bis 24.000 Euro für Organisationen.
Zum Vergleich: Neonazistische Propaganda oder das Tragen entsprechender Symbole wird bislang mit einer Geldstrafe bis zu rund 45 Euro bzw. 20.000 Rubel belegt. Bei "Homo-Propaganda" droht Organisationen hingegen eine Strafe in Höhe von bis zu 1 Millionen Rubel – und ein erzwungene Aussetzung ihrer Aktivitäten für 90 Tage. Das gilt auch für Medienbetriebe.
Findet die "Propaganda" unter "Nutzung von Medien" oder dem Internet statt, erhöhen sich die Geldstrafen noch einmal deutlich. Als Werbung gilt u.a. bereits ein "Aufdrängen von Informationen über nichttraditionelle sexuelle Beziehungen, die Interesse an solchen Beziehungen wecken können" – womit der Gummiparagraph schon bei Berichten über die Duma-Debatte genutzt werden könnte, um ein kritisches Medium still zu legen.
Neu zum Gesetzentwurf hinzugekommen ist, dass Ausländer bei einem Verstoß neben einer Geldstrafe mit einer Ausweisung oder einem 15-Tage-Arrest belegt werden können. Eine Haftstrafe für inländische Aktivisten, wie sie die dpa heute teilweise meldete, ist nicht vorgesehen.
Alle diese Strafen werden im neuen "Abschnitt 6.21" des Jugendschutzgesetzes untergebracht. Zudem wird an anderer Stelle des Gesetzes festgelegt, dass "Propaganda über nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen" die Gesundheit und Entwicklung von Kindern beeinträchtigen – damit können LGBT-Webseiten von der Regierung ohne Gerichtsbeschluss auf eine "Scharze Liste" gesetzt und dadurch gesperrt oder geschlossen werden.
Der Menschenrechtsbeauftragte Wladimir Lukin warnte, das Verbot könne zu "menschlichen Opfern und menschlichen Tragödien" führen. In den nächsten Tagen steht ein weiterer Gesetzentwurf an, der schwulen und lesbischen Ausländern die Adoption russischer Kinder verbieten soll. Auch er wird das gesellschaftliche Klima weiter negativ prägen.
Nach einer am Dienstag veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts VIZOM unterstützten 88 Prozent der russischen Bevölkerung das geplante Gesetz gegen "Propapanda". 86 Prozent sind gegen eine Homo-Ehe und 42 Prozent befürworten gar eine strafrechtliche Verfolgung von Homosexualität – 2005 waren das noch lediglich 23 Prozent gewesen.
Aktivisten verhaftet und verprügelt

Dieses Bild der verhafteten Aktivisten schickte Elena Kostyuchenko via Twitter aus dem Polizeibus
Bei einem Protest zur zweiten Lesung waren gegen 12 Uhr Ortszeit dutzende schwule und lesbische Aktivisten vor der russischen Staatsduma in Moskau verhaftet worden. Bis zu 200 Leute hatten vor dem Parlament demonstriert, neben dem "Kiss-In" der LGBT-Aktivisten gab es auch Gegenproteste von Befürwortern des Gesetzes. Die Polizei führte Schwule und Lesben in einen Mannschaftsbus ab. Die lesbische Journalistin Elena Kostyuchenko, die zu dem Protest aufgerufen hatte und verfaftet wurde, sprach von rund 25 Festgenommenen. Auch einige nationalistischen Gegenprotestler wurden offenbar abgeführt.
Sie hatten mit Eiern auf die schwulen und lesbischen Aktivisten gezielt und sie mit Urin aus Flaschen besprüht. Eine Galerie des Fotografen Ilya Varlamov zeigt, wie Kinder (!) und Jugendliche einen Aktivisten nach dem Protest verfolgen und in einem Park verprügeln, er wird dabei verletzt. Die Polizei sagte dem Bericht zufolge zu den Angreifern: "Kindergarten, geht nach Hause." Berichten zufolge hatten Nationalisten zuvor auf VKontakte, dem russischen Facebook, Schüler und Studenten gesucht, die gegen eine Bezahlung Stimmung gegen Lesben und Schwule machen.
Eine weitere Aktivistin, Maria Baronowa, musste mit Verletzungen ins Krankenhaus gebracht werden. Sie hatte in der Menge der Gegenprotestler einen Mann ausgemacht, der im Januar einen Aktivisten verprügelt hatte. Als sie die Polizei darauf aufmerksam machte, griff der Mann sie an und verletzte sie mit einem Schlag in den Bauch. Die Polizei nahm nicht ihn, sondern sie und weitere Aktivisten fest, die ihr zur Hilfe kamen.
Die Aktivisten wurden auf Polizeistationen gebracht, dort in einem Schnellverfahren verurteilt und gegen 14.30 Uhr deutscher Zeit wieder freigelassen. Man werde sich wieder zur Duma aufmachen, twitterte Elena Kostyuchenko danach – auch zur dritten Lesung des Gesetzes sollte es Proteste geben. Dabei wurde sie zusammen mit drei weiteren Homo-Aktivisten erneut festgenommen.
Auch in weiteren Städten kam es am Dienstag zu Protesten. In St. Petersburg lief ein Kiss-In trotz einiger Gegendemonstranten ersten Medienberichten zufolge ohne Gewalt und Festnahmen ab (Fotos). Auch das Ausland solidarisierte sich: In Kiew, wo man ein ähnliches Gesetz befürchtet, protestierten am Dienstag rund zehn Lesben und Schwule vor der Botschaft Russlands.
"Russischer Abstieg ins Mittelalter"

Ein verletzter Aktivist nach dem Protest in St. Petersburg am Montag
In einer ersten Reaktion zeigte sich die queerpolitische Sprecherin der Linken, Barbara Höll, entsetzt über die Verabschiedung des Gesetzes. Das Verbot von "Homo-Propaganda" sei ein Skandal und komme "einem faktischen Verbot der Homosexualität gleich": "Die Konsequenzen des Gesetzes sind verheerend. In den russischen Regionen, in denen das Gesetz existiert, ist de facto jede Äußerung zu Homo- oder Transsexualität untersagt. Die russische Regierung schürt gezielt den Hass auf sexuelle Minderheiten. So hat es im letzten Monat zwei Morde an Schwulen gegeben. Wir müssen und werden die Menschen in Russland unterstützen, die sich für demokratische Verhältnisse und Akzeptanz der sexuellen Vielfalt einsetzen. Die Bundesregierung steht in der Pflicht, die Menschenrechtssituation von sexuellen Minderheiten gegenüber der russischen Regierung deutlich zur Sprache zu bringen. Das Gesetz ist mittelalterlich und muss gekippt werden."
Auch der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) zeigte sich "bestürzt" über die Entscheidung der Duma. "Das Gesetz verbietet de facto jegliche Unterstützung von Lesben, Schwulen und Transgender." Diese sollen "zurück in die gesellschaftliche Isolation und politische Unsichtbarkeit verschwinden", kommentierte Axel Hochrein. "Jegliche Akzeptanzarbeit gegen die grassierende Homo- und Transphobie kann verfolgt werden. Schon die Ankündigung des Gesetzes ist vielerorts als Aufruf zu Gewalt und tödlichen Übergriffen verstanden worden."
Russland halte "sich nicht an europarechtliche Vereinbarungen und stellt sich selbst immer mehr ins demokratische Abseits", so der LSVD weiter. "Die deutsche Politik und Öffentlichkeit dürfen das Verbot nicht unwidersprochen hinnehmen und russische Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten im Stich lassen. Da alle bisherige Kritik und Proteste auf Regierungsebene und der Öffentlichkeit das russische Parlament und die Regierung unbeeindruckt gelassen haben, muss der Europarat nun die weitere Mitgliedschaft Russlands in Frage stellen. Regime, die Menschenrechte mit Füßen treten, haben in diesem Kreis nichts zu suchen."
Allein in Deutschland gebe es 91 Städte und 14 Bundesländer, die Städte- und Landespartnerschaften mit Russland haben. Der LSVD fordert, dass der kritische Verweis auf die Situation von Lesben, Schwulen und Transgender zum integralen Bestand jeglicher partnerschaftlicher Beziehungen mit Russland wird. "Russische Delegationen können in diesem Rahmen Lesben, Schwule und Transgender kennenlernen und feindliche Vorbehalte abbauen."
"Mit dem heute beschlossenen Gesetz werden homophobe Ressentiments befeuert", kritisierten auch die Grünenpolitiker Volker Beck und Marieluise Beck. "Es öffnet Tür und Tor für behördliche Willkür. Denn nun kann – angeblich zum Schutz der Kinder – praktisch jedes öffentliches Bekenntnis zu Homosexualität bestraft werden." Das Gesetz trage "zu einem Klima der Ausgrenzung und des Hasses gegenüber LGBT bei" und sei ein "weiterer Angriff auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie auf die russische Zivilgesellschaft. Nach der Verabschiedung des repressiven NGO-Gesetzes sind viele Organisationen, die sich für die Menschenrechte von LGBT einsetzen, ohnehin behördlichen Schikanen ausgesetzt. Nun wird ihnen die letzte Luft zum Atem genommen." Die Bundesregierung sei aufgerufen, "alle Möglichkeiten in den bilateralen Beziehungen, innerhalb der EU und des Europarats zu nutzen, um den Aktivistinnen und Aktivisten und ihrem Engagement zur Seite zu stehen."
Prozess gegen "Coming-out" vertagt
Derweil wurde am Dienstag eine Verhandlung gegen die St. Petersburger LGBT-Organisation "Coming Out" vertagt. Nach einer Razzia im März wirft man "Coming Out" vor, ein vom Ausland geförderter "ausländischer Agent" zu sein und sich als solcher nicht registriert zu haben.
Damit droht der Organisation eine empfindliche Geldstrafe, wie sie nach dem gleichen Vorwurf bereits dem LGBT-Filmfestival "Side by Side" auferlegt wurde: Es soll 12.000 Euro Strafe zahlen. Das Filmfestival will dagen in der nächsten Instanz klagen. Im Falle von "Coming Out" kam es zu der Vertagung, damit die Anwälte Unterlagen der Staatsanwaltschaft prüfen können. Außerdem will die Organisation nachweisen, dass sie keine politischen Tätigkeiten ausführt und damit nicht unter das Gesetz über "ausländische Agenten" fällt.
