Die TeilnehmerInnen der Podiumsdiskussion (v.l.n.r.): Stefan Niggemeier, Gudrun Fertig, Jan Feddersen, Martin Munz, Ines Pohl und Lutz Tillmanns (Bild: Kendra Eckhorst)
Auf der Podiumsdiskussion "Homosexuelle Promis, schweigende Medien?" am Freitag in Hamburg sollten Grenzen und Umstände eines (Zwangs-)Bekenntnisses von Politikern ausgelotet werden. Es blieb bei zwei konträren Positionen.
Von Kendra Eckhorst
"Eigentlich gab es keinen Anlass darüber zu schreiben", resümiert Jan Feddersen, der schwule "taz"-Redakteur für besondere Aufgaben. Und doch stellte die Homestory über Peter Altmaier aus dem Juli letzten Jahres mehr Fragen als dass sie Antworten gab. Die "Bild am Sonntag" interviewte ihn zu seinem Privatleben, seinen Kochgewohnheiten und kulinarischen Vorlieben, lichtete ihn mit Bratkartoffelpfanne, Schürze und Schweißtuch am Kopf ab und hielt folgendes Statement fest: "Doch der liebe Gott hat es so gefügt, dass ich unverheiratet und allein durchs Leben gehe" (queer.de berichtete).
Für Feddersen eine mögliche Umschreibung für ein eventuelles schwules Begehren des Bundesumweltministers, das unglaublich "verschwurbelt" daher kam. Warum, fragte er sich in seinem analytischen Text, den die Chefredakteurin der "taz" wiederum am kommenden Tag von der Webseite nehmen ließ (queer.de berichtete). Auch der Presserat sah einen Verstoß gegen den Kodex, wenn über die sexuelle Vorliebe eines Ministers spekuliert wird (queer.de berichtete).
Privatheit versus Diskriminierung
Bundesumweltminister Peter Altmaier sagte seine Teilnahme an der Podiumsdiskussion nach mehrwöchiger Bedenkzeit ab (Bild: energieagentur-nrw / flickr / by 2.0)
Soweit zur Vorgeschichte eines "Outings", das ein knappes Jahr später auf der Jahreskonferenz des Netzwerks Recherche unter dem Motto "Schlechte Zeiten! Gute Zeiten! Aufbruch im Umbruch" seine Fortsetzung fand. Ein Großteil der MitspielerInnen fand sich auf Initiative des Bundes lesbischer und schwuler JournalistInnen (BLSJ) zur Podiumsdiskussion in einem überfüllten, kleinen Raum auf dem Gelände des Norddeutschen Rundfunks (NDR) in Hamburg ein und diskutierte am Freitag, unter welchen Umständen JournalistInnen PolitikerInnen outen dürfen.
Schon die Sitzordnung verdeutlichte den Bruch in den zwei dominanten Positionen. So fanden sich links die BefürworterInnen der klaren Nachfrage mit Jan Feddersen, dem freischaffenden Medienjournalisten Stefan Niggemeier und Gudrun Fertig, eine der Geschäftsführerinnen von "Siegessäule" und "L-Mag", laut ironischer Selbstbezeichnung den "schmuddeligen Homomedien". Mittendrin Martin Munz vom BLSJ, der die Moderation übernahm und gegenüber der rechten Seite vermitteln wollte – und musste. Hier saßen "taz"-Chefredakteurin Ines Pohl und Lutz Tillmanns vom deutschen Presserat, der den Artikel nach Ziffer acht des Pressekodexes, der "bloßes Sensationsinteresse" verurteilt, als unzulässig titulierte. Die Person des Anstoßes, Peter Altmaier, war übrigens auch angefragt, er sagte allerdings nach mehrwöchiger Bedenkzeit ab.
"Eine Quelle ist zerbröselt, die zweite hat sich aufgelöst", fasste Pohl einen Strang ihrer journalistischen Argumente für die Notbremse zusammen. Eine zweite Linie zog sie an dem Recht auf Privatheit auf, das jedem Menschen zugesteht, selbst zu entscheiden, mit welchen Informationen er oder sie an die Öffentlichkeit gehen möchte. Im Umkehrschluss bedeute dies auch, dass es niemanden zusteht, eine zweite, andere Person zu outen, so das Fazit der "taz"-Chefin.
Eine Position, die auf der anderen Seite sofort Unmut und Augenrollen erzeugte und Diskriminierung von Schwulen und Lesben am Werk sah. Dergestalt, dass Homosexuelle entgegen aller Schönschreiberei noch lange nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen seien, wenn Fragen nach den Beziehungen ausgeklammert werden müssen, die bei Heterosexuellen ganz normal gestellt werden würden. Und eben da wolle man hin, erklärte Feddersen, einfach festzuhalten, dass Bürgermeister "xy" mit seinem Mann zur Veranstaltung vorfuhr. Punkt. Kein weiterer Kommentar. Wo ist denn die Schande, fragte Feddersen, wenn unterstellt wird, dass Peter Altmaier schwul ist?
Jan Feddersen gegen "betreutes Wohlfühl-Rolatorschreiben"
Als Zwangsouting und Denunziation wollte die andere Seite den Text verstanden wissen, der über das Ziel hinausgeschossen sei und sich "eine Definitionshoheit über einen anderen Menschen anmaße", so Pohl, die auch unerheblich sei, wenn ein Stimmungsbild der CDU zur Frage der Gleichstellung schwul-lesbischer Paare eingeholt würde. Hier dürften Menschen nicht vorgeführt werden, unterstützte Tillmanns die Argumentation. Auf dieses "betreute Wohlfühl-Rolatorschreiben" sprang Feddersen an, der sich gegen Denunziation verwehrte und nochmals den Blick auf das angebliche Problem der Spekulation lenkte. Auch Niggemeier fragte, wie und wo die Chancen für Homosexuelle liegen, "normal" zu werden, wenn sie nicht sichtbar seien. "Hier von Denunziation zu sprechen, funktioniert nur, wenn Homosexualität als etwas Schlechtes wahrgenommen wird", fasste Niggermeier den Konflikt zusammen und spitzte die Linie Privatheit versus Diskriminierung zu.
Diesem Bild mochte Ines Pohl nicht folgen und befragte die Form des Textes auf seine Aussagekräftigkeit. Auch hier konnte die Gegenseite nur eine Form der Tabuisierung sehen, wenn eine Kolumne nachträglich gelöscht wird. Dass der Presserat diese Zensur in seine Entscheidung affirmiert hatte, saß für Gudrun Fertig tief, denn sie mochte nicht die Strahlkraft einer Entscheidung dieses Gremiums unterschätzt wissen. "Hier wurde Diskriminierung legitimiert und so die Form, wie über Sexualität spekuliert werden darf", übersetzte Fertig.
Einem Konsens oder einer Antwort auf die Frage, wann und wie geoutet werden darf, kam das Podium nicht näher. Dennoch blickten alle gespannt auf den kommenden Sonntag: Am 23. Juni wird Bundesumweltminister Peter Altmaier ein Grußwort auf der Gedenkveranstaltung für die homosexuellen Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald im Deutschen National-Theater in Weimar halten (queer.de berichtete). Gudrun Fertig stellte die Frage in den Raum, ob dies die ersten Schritte zu seinem Coming-out seien…