Anders als bei den Katholiken wird in der evangelischen Kirche der Umgang mit Homosexuellen debattiert (Bild: Greg Ness / flickr / by 2.0)
Aus theologischer Sicht sind homosexuelle Beziehungen "gleichwertig" mit heterosexuellen Ehen, schreibt die evangelische Kirche in einer neuen Orientierungshilfe – Evangelikale sind empört.
Am Mittwoch hat der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Berlin die 160-seitige Orientierungshilfe "Zwischen Autonomie und Angewiesenheit – Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken" (PDF) herausgegeben. Darin erklärt die 23 Millionen Mitglieder zählende Glaubensgemeinschaft erstmals, dass homosexuelle Beziehungen aus theologischer Sicht nicht anders seien als heterosexuelle Ehen.
In dem Text heißt es: "Durch das biblische Zeugnis hindurch klingt als 'Grundton' vor allem der Ruf nach einem verlässlichen, liebevollen und verantwortlichen Miteinander, nach einer Treue, die der Treue Gottes entspricht. Liest man die Bibel von dieser Grundüberzeugung her, dann sind gleichgeschlechtliche Partnerschaften, in denen sich Menschen zu einem verbindlichen und verantwortlichen Miteinander verpflichten, auch in theologischer Sicht als gleichwertig anzuerkennen". Wenn sich Homosexuelle heute verpartnerten, erklärten sie wie Heterosexuelle "bei der Eheschließung öffentlich ihren Willen, sich dauerhaft aneinander zu binden und füreinander Verantwortung zu tragen".
Paare nicht auf "biologische Merkmale" reduzieren
EKD-Chef Nikolaus Schneider (Bild: Wiki Commons / Elke Wetzig / CC-BY-SA-3.0)
Viele heterosexuelle Paare entschieden sich dazu, keine Kinder zu haben und würden deshalb von der Kirche nicht als minderwertiger angesehen als Eheleute mit Kindern. Daher könne man Homosexuelle ebenfalls nicht schlechter stellen: "Es zählt zu den Stärken des evangelischen Menschenbilds, dass es Menschen nicht auf biologische Merkmale reduziert", heißt es im Text.
EKD-Chef Nikolaus Schneider berief sich bei der Vorstellung der Orientierungshilfe auf Martin Luther, der seiner Zeit die Ehe als "weltlich Ding" bezeichnet hatte und nicht als unveränderliche religiöse Einrichtung: "Aus einem evangelischen Eheverständnis kann heute eine neue Freiheit auch im Umgang mit gesellschaftlichen Veränderungen erwachsen – im Umgang mit Geschiedenen genauso wie mit Einelternfamilie oder auch mit gleichgeschlechtlichen Paaren", so Schneider. Mit dem Text versuche die Kirche, "die Wirklichkeit so zur Kenntnis zu nehmen, wie sie ist".
Evangelikale: Papier ist Abwertung der bürgerlichen Ehe
Konservative Christen kritisierten die versöhnlichen Töne der Kirche gegenüber Homosexuellen. So erklärte Michael Diener, der Chef der Evangelischen Allianz, das Papier beinhalte eine "auffällige Abwertung sogenannter bürgerlicher Ehe- und Familienverständnisse und eine Absage an jedes normative Verständnis der Ehe als göttliche Stiftung oder natürliche Schöpfungsordnung". Gegenüber dem christlichen Medienmagazin "pro" sagte Diener, bei dem Papier handele es sich lediglich um die "Anpassung an gesellschaftliche Entwicklungen", es sei aber aus theologischer Sicht inakzeptabel.
Innerhalb der 20 evangelischen Landeskirchen gibt es in Deutschland Streit darüber, ob Homosexuelle gleich behandelt werden sollen. So sind in mehr als der Hälfte der Landeskirchen Segnungen von homosexuellen Paaren möglich. Allerdings gibt es auch hier Einschränkungen: Beispielsweise hat erst vor wenigen Tagen die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau die Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren annähernd der Trauung gleichgestellt, allerdings dürfen Pfarrer und Kirchenvorstände weiterhin Segensgshandlungen aufgrund der sexuellen Orientierung ablehnen (queer.de berichtete). (dk)