Michael Kauch sprach von "vier guten Jahren für Schwule und Lesben"
Union und FDP folgen dem Druck aus Karlsruhe und geben Homo-Paaren das Ehegattensplitting. Weitere Benachteiligungen bleiben, trotz Anträgen der Opposition.
Der Deutsche Bundestag hat am Donnerstag mit den Stimmen aller Fraktionen in dritter Lesung einen Gesetzentwurf von CDU/CSU und FDP beschlossen, der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften das Ehegattensplitting bringt. Die neue Regelung (PDF) war nach einem entsprechenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Juni notwendig geworden (queer.de berichtete) und sieht eine Rückwirkung für Fälle vor, bei denen das Steuerverfahren noch nicht abgeschlossen ist.
Auch mit diesem Gesetzentwurf beendet die Regierung nicht alle Ungleichbehandlungen: Ergänzungsanträge von SPD, Grünen und Linken enthielten deshalb noch Gleichstellungen unter anderem beim Kindergeld und der Altersvorsorge sowie eine generelle Rückwirkung des Ehegattensplittings. Sie erhielten keine Mehrheit, ebenso wie zwei weitere Anträge der Grünen: Einer zum Adoptionsrecht und einer zur Gleichstellung in vielen kleineren Bereichen, wie sie das von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) angekündigte, aber nie umgesetzte "Gesetz zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner (LPartBerG)" vorsah. Zu den meisten Ergänzungsanträgen gab es namentliche Abstimmungen.
Bei der nicht namentlichen Abstimmung über den Regierungsantrag gab es eine Enthaltung und mehrere Gegenstimmen aus der CDU/CSU-Fraktion, darunter von Erika Steinbach. Der Gesetzentwurf muss noch vom Bundesrat bestätigt werden.
Die Debatte geriet zu einer Generalbrechnung über die Homo-Politik der Regierung: Während Vertreter von CDU/CSU und FDP sich lobten, gab es scharfe Kritik der Opposition.
Festhalten an der "Keimzelle" Familie
Olav Gutting (CDU) ist gegen ein gemeinschaftliches Adoptionsrecht für Schwule und Lesben
Der CDU-Abgeordnete Olav Gutting sprach sich selbst von dem Vorwurf der Homophobie frei und sagte, es sei beschämend, Schwule und Lesben zu diskriminieren. Dann sprach er sich gegen ein Adoptionsrecht für Homo-Paare aus. Es sei "beschämend", wenn statt der Bekämpfung von Diskriminierung die Ehe abgeschafft werden solle. Diese sei "Keimzelle der Familie", wichtig für die Generationenfolge und sichere den "Fortbestand des Gemeinwesens".
In "den nächsten Wochen" werde man weitere Punkte der Ungleichbehandlung im Steuerrecht besprechen, man brauche dafür eine "notwendige Zeit", so Gutting. Auch der CSU-Abgeordnete Hans Michelbach betonte: "Wir diskriminieren niemanden." Auch lasse man sich keine Homophobie vorwerfen. Forderungen nach einem Adoptionsrecht seien aber eine "verfrühte Diskussion": Kinder seien das "höchste Gut" und es gebe "Vorbehalte in der Bevölkerung".
Wie Michelbach griff der FDP-Abgeordnete Dr. Daniel Volk Rot-Grün an: Die hätten das Ehegattensplitting auch nicht umgesetzt. Dass Schwule und Lesben bis heute benachteiligt seien, sei "Ihr Problem", so Michelbach in Richtung Opposition. Er kritisierte auch, dass diese das Ehegattensplitting wieder abschaffen wollten – und verlor keine Worte zu eigenen Versäumnissen oder zur Homophobie der Union.
Dazu kam, von einem Satz zur Adoption in Richtung Gutting abgesehen, auch nicht der FDP-Abgeordnete Michael Kauch, der wegen der Gleichstellung beim Ehegattensplitting von einem "guten Tag für Schwule und Lesben redete": "Daran haben wir lange gearbeitet." Auch habe man "vier gute Jahre hinter sich". Regierungsarbeit bestehe nicht nur in Gesetzen, sondern auch im "Schaffen von Toleranz und Akzeptanz", wofür etwa die Hirschfeld-Stiftung oder die Arbeit der Außen- und Entwicklungsminister stünden. Die Öffnung der Ehe "werden wir in der nächsten Legislaturperiode schaffen", so Kauch.
"Fremdschämen" über Regierung
Barbara Höll hielt erneut eine engagierte Rede – dank eines schlechten Listenplatzes könnte es ihre letzte gewesen sein
Die Opposition war nicht in Feierstimmung: Johannes Kahrs (SPD) erinnerte die Kollegen an die zahllosen Debatten im Bundestag: "Immer wieder geht es eigentlich nur um eine Frage: Diskriminiert man oder tut man es nicht?" Für die fortgesetzte Ablehnung der völligen Gleichstellung "sollten Sie sich was schämen", so Kahrs zur CDU. Mit dem vorsichtigen Vorgehen wolle Merkel nur ihre konservativen Wähler beruhigen, was "unanständig" sei. Den Abgeordneten Geis und Steinbach glaube er eine Homophobie, aber "Merkel nicht: Die diskriminiert bewusst". Man sei "gesellschaftspolitisch wieder bei Adenauer angekommen".
Auch die Linken-Abgeordete Barbara Höll kritisierte in Richtung Regierung, mit der Schritt-für-Schritt-Gleichstellung "schüren Sie Feindlichkeit gegenüber Homosexuellen und verstoßen gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes". Seit elf Jahren müssten Paare nun für ihre Rechte klagen – und das finde weiter kein Ende. Über den neuen Entwurf müsse man sich "fremdschämen".
Der Grünenpolitiker Volker Beck rief in Erinnerung, wie Barack Obama nach dem gestrigen Urteil des Supreme Courts in den USA die Kläger anrief. In Deutschland hingegen hole sich die Regierung eine Klatsche nach der anderen und verhalte sich "wie geprügelte Hunde". Auch der neue Gesetzentwurf sei "wieder unvollständig". Vorwürfe, Rot-Grün habe nicht gehandelt, wiesen mehrere Politiker zurück, und erinnerten an den schwarz-gelb dominierten Bundesrat, der immer gegen eine Gleichstellung gewesen sei. Auch wolle man nicht die Ehe abschaffen, sondern diese einfach für Schwule und Lesben öffnen.
Weitere Anträge gescheitert
Ursprünglich war für den Donnerstag auch eine Debatte und dritte Lesung über Gesetzentwürfe von Grünen (PDF) und Linken (PDF) zur Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern des Paragrafen 175 vorgesehen. Nachdem der Rechtsaussschuss allerdings am Mittwoch mit schwarz-gelber Mehrheit erneut eine Befassung mit dem Thema ablehnte (queer.de berichtete), gibt es in der Nacht nur zu diesem Vorgang an sich eine Debatte – und das zu Protokoll.
Der Gesetzentwurf selbst fällt damit voraussichtlich der Diskontinuität zum Opfer, wie auch Oppositionsanträge zur Öffnung der Ehe für Schwule und Lesben. Eine für den Donnerstag dazu vorgesehene Debatte wurde ebenfalls abgesetzt. Zu Protokoll geht in der Nacht noch eine Debatte über einen Antrag der Linken zu einem "wirksamen Schutz für Flüchtlinge, die wegen ihrer sexuellen Identität verfolgt werden" (PDF). Der Rechtsausschuss empfiehlt dazu mit der schwarz-gelben Mehrheit der Stimmen gegen Linke und Grüne eine Ablehnung. Die SPD enthielt sich. (nb)
Update 28.6., 9.20h: Regierung ohne eigene Mehrheit?
Nach Angaben von Volker Beck haben rund 20 Abgeordnete der Union gegen das eigene Gesetz gestimmt, was im Web-Stream des Bundestages nicht zu erkennen war. Der CDU-Abgeordnete Stefan Kaufmann sprach gegenüber der "Süddeutschen" von rund 15 Abgeordneten, sein Kollege Jens Spahn via Twitter von einem "guten Dutzend". Ob die Regierung damit das Gesetz ohne Hilfe der Opposition nicht verabschiedet hätte, wie Volker Beck angibt, ist derzeit unklar. Bei der Abstimmung zum Änderungsantrag der Grünen wenige Minuten zuvor gab es etwa 312 Nein-Stimmen aus dem Regierungslager und 260 Ja-Stimmen bei einer Enthaltung. (nb)
Update 12.00h: Reaktion des LSVD
Der Lesben- und Schwulenverband hat es in einer Pressemitteilung begrüßt, dass eine "weitere Diskriminierung beseitigt wird". "Aber der Beschluss ist halbherzig", so LSVD-Sprecher Axel Hochrein. "Wieder einmal wird nur ein Stück Diskriminierung abgeschafft. Diese Stückchen-Politik ist peinlich. Union und FDP haben es nicht einmal geschafft, die Lebenspartnerschaften im gesamten Steuerrecht gleichzusetzen. Die weiterbestehenden Ungleichbehandlungen sind genauso verfassungswidrig wie der bisherige Ausschluss vom Steuersplitting. Auch das Adoptionsrecht wurde gezielt ausgespart. Die Union setzt ihren Diskriminierungskurs fort." Enttäuschend sei auch die Haltung der FDP, "die wieder eine Vertröstungsstrategie eingeschlagen hat. Wann gibt es endlich eine Regierung, die den Mut zu voller Gleichstellung hat?"