Die Teilnehmer an der Debatte: Thomas Bauer, Walter Homolka, Jan Feddersen, Berthold Höcker und Klaus Mertes (Bild: dk)
Bei der 3. Hirschfeld-Lecture versuchten sich Vertreter des Islam, des Judentums sowie der evangelischen und katholischen Kirche an der Frage, wie es die Religion mit Homosexualität hält.
Von Dennis Klein
"Die Sache ist komplizierter, als man gemeinhin denkt", eröffnete der Islamwissenschaftler Thomas Bauer von der Uni Münster die Debatte um "Religion und Homosexualität". Rund 80 Menschen sind am Donnerstagabend in den Hörsaal der Uni Köln gekommen, um bei der rund drei Stunden langen Hirschfeld-Lecture im Rahmen des Cologne Pride dabei zu sein. Neben Bauer diskutierten der Berliner Rabbiner und nebenberufliche Professor Walter Homolka, der evangelische Superintendent Berthold Höcker sowie der Jesuit Klaus Mertes, der Leiter eines katholischen Internats im Schwarzwald. Moderiert wurde die Veranstaltung vom Journalisten Jan Feddersen.
Um es vorweg zu nehmen: Alle fanden, dass es die Aufgabe der monotheistischen Religionen sein muss, auch Homosexuelle in ihren Reihen zu begrüßen, was besonders in Zusammenhang mit der katholischen Kirche zu Unruhe unter den Zuhörern führte. Die Vertreter der drei bislang erfolgreichsten monotheistischen Religionen fanden vor allem Übereinstimmung in der Geschichte: Homosexualität sei erst seit dem späten 19. Jahrhundert problematisiert worden, davor sei zumindest die männliche Homoerotik bei den Gläubigen in der Regel kein Problem gewesen.
Thomas Bauer erklärte, dass im Islam bis vor 100 bis 200 Jahren homoerotische Geschichten an der Tagesordnung waren. Männer freuten sich, dass im Paradies nicht nur Jungfrauen, sondern auch Jünglinge zu Diensten waren, ohne sich selbst als schwul zu definieren. Im Koran selbst komme keine Verurteilung von männlicher Homosexualität vor (und weibliche Sexualität war in allen männerfixierten monotheistischen Religionen ohnehin kein Thema). "Bis ins 20. Jahrhundert ist keine islamische Anklage wegen Homosexualität bekannt", so Bauer. "Problematisch" sei lediglich die Geschichte von Sodom, die ähnlich wie in der Bibel auch im Koran erzählt wird. Hier sei es aber eher um sexuelle Gewalt gegangen.
Wirtschaftswachstum gegen Homophobie
Die gegenwärtige Schwulenfeindlichkeit in vielen islamisch geprägten Ländern hänge dagegen mit anderen Faktoren zusammen: Zunächst sei Homosexualität ein Konzept aus dem 19. Jahrhundert – und sei mit den westlichen Kolonialherren in islamische Länder eingeführt worden. Später wollten sich die Gesellschaften mit "moralischer Aufrüstung" vom Westen absetzen. Dieser Entwicklung könne nur mit wirtschaftlichen Wachstum in den islamischen Ländern entgegengewirkt werden, damit die selben Prozesse geschehen, die der Westen in den letzten Jahrzehnten durchlaufen hat.
Im Judentum sei die Entwicklung ähnlich gewesen, so Rabbi Walter Homolka. Biblische Texte, wie die Sodom-Geschichte, kritisierten Vergewaltigungen, nicht Liebesbeziehungen. Er verwies auf Israel, wo die gesamte Bandbreite des Judentums zu sehen sei: Vom "Halligalli" in Tel Aviv zu den Orthodoxen in Jerusalem. Einzig die jüdisch-christliche Aufforderung "seid fruchtbar" könne als Verurteilung von Homosexualität verstanden werden. Heute schätzten jedoch 85 Prozent des Judentums "Homosexualität als unproblematisch" ein und das schließe schwule Rabbiner oder lesbische Rabbinerinnen ein.
Sehr entspannt zeigte sich auch der Protestant Bertold Höcker. Er verwies stolz wie Oskar auf die vor zwei Wochen veröffentlichte Orientierungshilfe der EKD, die homosexuelle Beziehungen als "gleichwertig" einstuft (queer.de berichtete). Erst am Tag zuvor habe ihm der EKD-Ratsvorsitzende zugesichert, dass von dieser Schrift "nichts zurückgenommen" werde, so Höcker. In der Vergangenheit hätten die Protestanten zwar durch innige Verbindungen mit dem Staat auch Homosexuelle verurteilt, aber das sei vorbei.
Auch theologisch glaubt sich Höcker an der richtigen Seite: In der Mitte des evangelischen Glaubens stehe Jesus Christus – und der habe sich bekanntlich eher über Reiche aufgeregt als über Menschen, die Sex haben. Jetzt gehe es nur noch darum, ob man die lesbische oder schwule Verbindung auch als Trauung bezeichnen solle oder einen neuen Begriff verwenden wolle. Die evangelikalen Homo-Hasser redete er klein: Diese machten nur zehn bis 15 Prozent der Protestanten aus und könnten nur Aufmerksamkeit erheischen, "weil sie viele böse Briefe schreiben."
Homophobe bei Katholiken "lautstarke Minderheit"
Die dritte Hirschfeld-Lecture fand im Rahmen des CSD Köln statt
Bei der katholischen Kirche ist das Thema problematischer: Sie ist die einzige Glaubensgemeinschaft, die sich vollkommen hierarchisch organisiert hat – und es sind ja genug homophobe Sprüche vom Papst und den Regionalchefs bekannt. Der äußerst sympathische Jesuit Klaus Mertes erklärte aber, er halte die Homophoben lediglich für eine "lautstarke Minderheit", die nicht die Basis repräsentiere. Er bedauerte, dass sich Papst Franziskus mit seiner Kritik an der "Homo-Lobby" einer "homophoben Kampfsprache" bediene. Im männerbündischen Vatikan sei es eben schwierig, über Sexualität zu sprechen.
Mertes verbreitete die Botschaft, dass es besser wird: "Distanzierungsversuche der Hierarchie sind da", sagte er. Als Beispiel nannte er Kardinal Schönborn, der im vergangenen Jahr einem schwulen Pfarrgemeinderat den Rücken gestärkt hat (queer.de berichtete). Mertes verschwieg freilich, dass der selbe Kardinal regelmäßig gegen die Homo-Ehe hetzt (queer.de berichtete).
Jetzt sei wichtig, dass sich möglichst viele katholische Homosexuelle outen, da es ja eine "signifikant hohe Zahl" an Schwulen im Klerus gebe. Die müssten in "der ersten Person Singular" sprechen. Die Kirche sei ohnehin gerade auf einem guten Weg, weil der Missbrauchsskandal die Gläubigen zum Nachdenken über Sexualität gezwungen habe.
In einer emotionalen Fragerunde hielten viele der Zuhörer lange Monologe über Gott und die Welt, so dass Moderator Jan Feddersen immer wieder darauf verweisen musste, dass Fragerunden für Fragen da sind. Die Redner waren sich am Ende einig, dass Homosexualität und Religion sehr wohl zusammengehen. Gomolka erklärte sogar, dass jüdische LGBT-Partys die "Sinnfreudigsten" seien. Daraufhin musste der Katholik Mertes zugeben: "So einfach ist das bei uns nicht."
Gläubigen Homosexuellen wird insbesondere der historische Diskurs Mut machen – denn die Religionsführer hatten offenbar nicht immer ihr Heil darin gesucht, gleichgeschlechtliche Liebe zu verdammen. Wer aber die Geschichten im Koran, Torah oder Bibel nicht für bare Münze nimmt, wird nach dieser Diskussion sicherlich immer noch nicht verstehen, warum man als Schwuler oder Lesbe in die Kirche, Synode oder Moschee gehen sollte – nur um dort seine eigene Identität verteidigen zu müssen.
Buch zur Lecture
Im Oktober wollen Thomas Bauer, Berthold Höcker, Walter Homolka, Klaus Mertes und Jan Feddersen das Buch "Homosexualität und Religion" herausbringen, das die Perspektiven der verschiedenen Religionsgemeinschaften zusammenfasst. Das Werk wird im Wallstein Verlag erscheinen (ISBN: 978-3-8353-1325-5, 9,90€).