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Cologne Pride 2013
CSD Köln: Eine Achterbahn der Gefühle
- 08. Juli 2013 6 Min.

Gruppenbild in Colonia Claudia Ara Agrippinensium (kurz: Köln). Schwule Gladiatoren marschieren bei der Parade mit (Bild: Kit Wong)
Aids-Gala im Maritim, Verleihung der Kompassnadel im Gürzenich, Straßenfest und Parade: Der Cologne Pride war fast so, wie immer. Fast…
Von Christian Scheuß
Patrick Lindner glitzert vom Sakko her. Das gehört sich so als Schlagerbarden-Vollprofi, der ständig auf der Bühne steht. Man glitzert und schillert und singt Liedtexte, die sich reimen. So was wie: "Gefühl ist eine Achterbahn, die man irgendwann nicht mehr halten kann." Nein, sie hören nicht die Sendung "Final Destination Schlager 3" bei WDR 4. Wir befinden uns beim Glamourauftakt des Kölner CSD-Wochenendes. Freitagabend, Festsaal im Maritim, 20. Gala der Kölner Aidshilfe.
Lindner hat als offen schwuler Künstler, der sich in einem eher konservativ geprägten Segment der Musikbranche bewegt und es dennoch gewagt hat, mit seinem Mann an die Öffentlichkeit zu treten und auch noch ein Kind zu adoptieren, nach wie vor große Vorbild-Funktion. Musikalisch fühlte es sich für die Besucher des Benefiz-Events jedoch mehr nach Achterbahn mit angezogener Bremse und aufgesetzten Gefühlen an. Aber keine Bange, es gab andere Acts und Auftritte, da brannte die Hütte. Lindner, Roman Lob, Jeanette Biedermann und Co, sie alle traten für lau auf, um der Arbeit der HIV-Selbsthilfe einen möglichst großen Topf voller Geld zukommen zu lassen.
Glitter bei der Gala, viel Harmoniesucht beim CSD-Empfang

Gala-Gast Alfred Biolek. Bekam Applaus von allen Seiten, einfach weil er da war... (Bild: CS)
Einer hat sich bei der Gala ganz besonders wohl gefühlt: Ingo Zamperoni, das bisherige Gesicht des ARD-Nachtmagazins und baldiger Tagesthemen-Anchormann, durfte endlich einmal mehr als drei Schritte tun. Das Präsentieren von Nachrichten ist nun mal eine überwiegend starre Angelegenheit. Gemeinsam mit Andreja Schneider ("Geschwister Pfister") sang er schräge Lieder, scherzte und flirtete mit dem Publikum bis zum Anschlag. Fand aber auch die richtigen kritischen Töne. So äußerte er sein Unverständnis über die Proteste, die die Öffnung der Ehe in Frankreich begleitet hatten. Und Fräulein Schneider drohte bissig ironisch mit einen Auftrittsboykott der Geschwister aus Solidarität mit den schwul-lesbischen Schwestern und Brüdern aus Russland. Überhaupt bekam Putin mehrmals sein Fett weg.
Und die Aids-Hilfe, die zur Gala geladen hatte? Die zielte in diesem Jahr auf die Stadtspitze. Geschäftsführer Michael Schumacher erklärte in seiner Rede, er hätte sich in der Auseinandersetzung des Kölner Lesben- und Schwulentages mit den Provokateuren von "Pro Köln" ein deutliches Zeichen der Solidarität gewünscht. Das habe aber wurde ebenso vermisst wie der lang versprochene Aktionsplan zum Thema "Diversity". Und auch die Sexsteuer wurde mit satirischen Film-Einspielern kritisiert.
Eine heiße Kompassnadel
War das nun eine Entschuldigung oder nicht? Und wenn ja, war es eine, die als ausreichend empfunden wurde? Wochen vor dem gemeinsamen Empfang von Aids-Hilfe NRW und Schwules Netzwerk NRW, der am Samstag im Kölner Gürzenich stattfand, hatte es gewaltig gewittert. Das Netzwerk zeichnet das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" aus. Ein Blatt, das mitverantwortlich war für das Schüren von Ängsten und Diskriminierungen auf dem Höhepunkt der Aids-Krise in den Achtzigern.
Das diskriminierende Verhalten eines Aushängeschilds des deutschen Journalismus ist bis heute nicht vom Verlag aufgearbeitet worden. Und jetzt soll das Blatt und das Onlineangebot für besonderes Engagement für die Belange der Community ausgezeichnet werden? Unvorstellbar und ein Affront für viele der Betroffenen, die diese Zeit miterlebt haben. Vorjahres-Preisträger Martin Dannecker, Aids- und Schwulenaktivist der ersten Stunde, blieb gleich daheim in Berlin.
Entsprechend gespannt waren die über 500 Gäste, wie denn nun der entsandte Vertreter Markus Verbeet, Chef der Deutschland-Redaktion reagieren wird. Zunächst begrüßte er die geäußerte Kritik. Jedes Blatt habe die Leser, die es verdient, meinte er. Der Journalist verstehe auch nach Sichtung der entsprechenden Artikel, wie die bis heute andauernde Wut über die Berichterstattung entstehen konnte. Und sagt dann diese Sätze: "Es war nicht alles gut, was wir damals geschrieben haben. Es gab Grenzüberschreitungen. Es gab nicht nur zugespitzte Darstellungen, sondern auch verletzende Worte. Manches hätten wir auch damals besser wissen müssen und ich ahne, was für Verletzungen wir hervorgerufen haben. Das bedauere ich. Das bedauere ich sehr!"
Nach dem Festakt, der vom stillen Protest der Landesarbeitsgemeinschaft "Positiv Handeln" begleitet worden war (man verteilte und trug schwarze Trauerschleifen), gingen die Diskussionen weiter. Reicht ein "Bedauern" aus, um die persönlichen Verletzungen der Menschen mit HIV und Aids hier zu heilen und die Sensibilität der Journalistinnen und Journalisten dort und schärfen? Was folgt danach? Eine wissenschaftlich begleitete Dokumentation und Aufarbeitung dieses Kapitels des Magazins oder eine andere symbolische Entschädigungs-Geste beispielsweise hatte Verbeet nicht mit im Gepäck. Die Befürchtung, dass der während der Veranstaltung mehrmals gepriesene Dialog zum Thema bereits am Samstagnachmittag in ein Koma fiel, aus dem er nicht mehr reanimiert werden wird, das nahmen einige als Gefühl mit nach Hause.
Ganz viel Liebe auf dem CSD

Spiegel-Chef Markus Verbeet (dritter von Links) und Falk Steinborn sind die Preisträger der Kompassnadel (Bild: CS)
"Na, wurdest du bereits zu Tode gelobt?" "Jaaa!" knurrt Marcel Dams und scherzt: "Zu Tode geliebt wäre mir aber viel lieber." Der junge schwule HIV-Aktivist hatte ein paar Stunden zuvor bei der Kompassnadelverleihung die Laudatio auf den Spiegel gehalten und an die Verantwortung der Medienmacher appelliert, indem er seine persönlich gefärbte Sicht auf ein Leitmedium beschrieb, das ihm und viele andere beim Coming-out mit begleitet hatte. Beim anschließenden Straßenfest sorgte permanentes anerkennendes Schulterklopfen für ein staubfreies Jacket und ein gutes Gefühl.
Dams war noch kurz vor dem CSD offen von einem Vorstandsmitglied der Aids-Hilfe NRW, für die er arbeitet, als ungeeigneter Laudator abgestempelt worden: Zu jung, zu wenig Wissen über das, was Aids mit seiner tödlichen Bedrohung in den Anfängen bedeutete. Doch Dams hatte sich natürlich eingelesen, brachte Belege für die frühere Homophobie und Aids-Panikmache des Magazins – und forderte klar und deutlich eine Aufarbeitung und eine Entschuldigung im Blatt (die Reden als PDF).
Dams ist nicht der Einzige, der an diesem Wochenende Streicheleinheiten ohne Ende bekam. Falk Steinborn vom Projekt queerblick erhielt die andere Kompassnadel für die wichtigen Impulse gegenüber LGBT-Jugendlichen.
Auch der neue Vorstand des CSD-Veranstalters, dem Kölner Lesben- und Schwulentag, wurde für seine bestandene Bewährungsprobe eifrig gelobt. Die Finte mit der CSD-Absage und sofortigen Neuanmeldung, mit der die rechtsgerichtete Organisation Pro Köln elegant aus der Teilnehmerliste der Parade gekickt werden konnte, gilt als besonders gelungen.
Dies und ein insgesamt gut organisiertes Wochenende bei gutem Wetter mit vielen gut gelaunten Gästen sorgte dafür, dass der CSD beinahe so war, wie im vergangenen Jahr: Friedlich, fröhlich, ein bisschen frivol. Gay Pride as usual. Und doch hat sich etwas verändert, mehr hinter den Kulissen. Die Drohgebärden der Randale-Rechten hat eine erschrockene Community nach längerem mal wieder zusammenrücken lassen. Das Bewusstsein wurde dafür geschärft, dass es in der Stadt viele mögliche Bündnispartner gibt, die ebenfalls gegen Diskriminierungen und Ausgrenzungen arbeiten. Erfahrene Kämpfer, mit denen es sich lohnt, künftig öfters zusammenzukommen um Erfahrungen auszutauschen.
Der CSD ist und bleibt – trotz aller Bratwurststände und Dirndlshops – ein Politikum, ein verdammt wichtiges politisches Instrument. Das wird sich auch nach dem erwarteten baldigen Schließen des Aktendeckels "Homo-Ehe" nicht so schnell ändern…










