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  • 25. August 2013 222 5 Min.

Ein Scan so schräg und verzerrt wie der Inhalt

Das Hamburger Magazin bringt das Klischee vom schwulen Kinderschänder zurück in die Missbrauchsdebatte und will offenbar auch Jugendliche vor Homosexuellen schützen.

Von Norbert Blech

Erst vor wenigen Wochen hatte der "Spiegel" die Kompassnadel des Schwulen Netzwerks NRW verliehen bekommen, mit der indirekten Forderung, die eigene Vergangenheit – speziell die diskriminierende Aids-Berichterstattung der 80er Jahre – aufzuarbeiten. Zu einer Aufbereitung oder Entschuldigung kam es in Folge nicht, eher zu einer Distanzierung von den Kritikern (queer.de berichtete).

Nun fordert der "Spiegel" allerdings Aufklärung von Schwulen – offenbar von allen, wirklich greifbare Ansprechpartner nennt ein Artikel aus der neuen Ausgabe nicht, der mit "Die Allianz" überschrieben ist und behauptet, Pädophile hätten "die Schwulenbewegung" für ihre Zwecke genutzt. "Bis heute" gebe es "keine Aufarbeitung der Vergangenheit", wird beklagt, dabei habe es eine "Allianz zwischen Schwulenverbänden und pädophilen Aktivisten" gegeben.

Obwohl es eine Zeit lang durchaus eine Annäherung dieser Gruppen gab, ein Kapitel, das nicht wirklich ein Geheimnis ist, bringt der "Spiegel" nicht viele Belege. Der Einstieg ist ein Beitrag eines Pädo-Aktivisten und "taz"-Mitarbeiters im Schwulenmagazin "Rosa Flieder" – der unter anderem die Freilassung eines ehemaligen Grünenmitglieds forderte, der wegen mehrfachen Kindesmissbrauches im Knast saß. Dieser Nebenaspekt hatte den "Spiegel" bereits vor einigen Wochen in einer Geschichte über Pädosexuelle bei den Grünen der Anfangsjahre zu der Überschrift "Rosa Flieder" veranlasst.

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"Die Schwulen" und "die Pädophilen"

Ist sie zurück, die redaktionelle Vermischung von Homo- und Pädosexualität? Der Gedanke des "schwulen Kinderschänders" also, den der "Spiegel" im selben Artikel als "Klischee" in Anführungszeichen zitiert? Genussvoll berichtet das Magazin jedenfalls, Homo-Zeitschriften seien in den 70ern und 80ern "voll mit Bildern von nackten Knaben" gewesen – in einer Zeit, in der "Konkret" und andere Magazine freilich voll waren mit Berichten über kindliche "Lolitas", ohne das jemand wie der "Spiegel" fordert, nun müsse mangels konkretem Nachfolger der Verlegerverband Abbitte leisten. Nebenbei erschien der "Spiegel" selbst 1977 mit einer völlig nackten zwölfjährigen "Lolita" in erotischer Pose auf dem Titel.

Rechtfertigen soll sich hingegen der LSVD. Der sei "schmallippig, wenn es um Aufklärung der Pädophilie-Verstrickungen geht", kritisiert der "Spiegel", ohne eine einzige "Verstrickung" zu bringen (es sei denn, man stellt anders als der Text selbst eine Verbindung zwischen den "schwulen Juristen" der 80er mit dem heutigen Verband her). Zwar habe sich der Verband 1997 unmissverständlich von Kindesmissbrauch distanziert. "In dem Text findet sich jedoch kein Wort zur ehemaligen Allianz der Schwulen mit den Pädophilen."

Jetzt sind es schon "die Schwulen", die mit "den Pädophilen" gemeinsame Sache machten. Freilich ist der LSVD kein Nachfolger "der" Schwulenbewegung und war in den Achtzigern noch nicht mal gegründet, was vom "Spiegel" verschwiegen wird. Aber anstatt nun zu berichten, ob und ggf. welche personellen Kontinuitäten es gab, arbeitet sich das Magazin als nächstes lieber an Volker Beck ab. Der wolle über die "dunkle Vergangenheit" nicht reden, heißt es, und so muss wieder ein von ihm bestrittener und seit Jahren die Runde machender Bucheintrag herhalten, um die Grundthese einer "Allianz" zwischen Schwulen- und Pädosexuellenbewegung zu untermauern.

Jugendliche gleich Kinder?

Ohnehin ordnet der "Spiegel" den "Pakt" zwischen den Bewegungen nicht ordentlich ein: Schwule kannten das "Gefühl, vom Staat diskriminiert zu werden", berichtet das Magazin – eine merkwürdige Formulierung, die nicht besagt, dass sie tatsächlich diskriminiert wurden. Dann wird von der Lockerung des "berüchtigten Schwulenparagrafen 175" 1969 berichtet, "im Klima der allgemeinen Toleranz gingen die Maßstäbe verloren" und also die Distanz zu den Pädosexuellen.

In Wirklichkeit war von Toleranz noch wenig zu spüren, vor allem war der Paragraf 175 weiter in Kraft und sah weiter ein Schutzalter von 21, später 18 Jahren für schwulen Sex vor, während es sonst (mit Einschränkungen) bei 14 Jahren lag. Während Pädo-Aktivisten die Gunst der Stunde nutzten, um ihre Anliegen in diesen Kampf mit einzubringen, wehrten sich Homo-Aktivisten zurecht gegen diese diskriminierende Ungleichbehandlung, die vom Klischee der Verführung zur Homosexualität geprägt war und schwulen Jugendlichen – nicht Kindern! – das Recht auf ihre Sexualität nahm.

Eine Ansicht, die der "Spiegel" bemerkenswerterweise nicht teilt: Zu einer fehlenden Distanz gegenüber Pädophilen sei damals bei der Schwulenbewegung "die merkwürdige Idee [gekommen], dass man minderjährigen Jungs sexuelle Erfahrungen mit erwachsenen Männern nicht vorenthalten dürfe", schreibt das Magazin. Zur Klarstellung: Das schreibt der "Spiegel" heute, im Jahr 2013, eine Woche, nachdem er sich noch über das mit dem Jugendschutz begründete "Propaganda"-Gesetz in Russland mokiert hatte. Distanziert sich das Magazin mit diesen Zeilen von der endgültigen Abschaffung des Paragrafen 175? Anders lässt sich das in diesem Kontext nicht wirklich lesen.

Alice Schwarzer mischt sich ein

Ein Ausrutscher? Interessanterweise fährt das Magazin noch Alice Scharzer auf, die sich schon damals gegen Pädophilie gestellt habe (eine Unterscheidung zwischen Pädophilie und Kindesmissbrauch bietet der Artikel übrigens nicht, vielmehr ist von "Neigung" und "sexueller Obsession" die Rede). Schwarzer berichtet zunächst, Pädophilie sei kein vorrangiges Problem von Homosexuellen gewesen. "Aber die Schwulenbewegung hätte sich klarer distanzieren müssen", so Schwarzer. "Und auch eine Problematisierung des Päderastentums, also des Sex von Erwachsenen mit Jugendlichen, steht noch aus."

Was genau Schwarzer mit diesem Satz, der vom "Spiegel" auch in einer Vorabmeldung verbreitet wurde, bezweckt, bleibt unklar. Will sie Jugendliche wieder vor sexuellen Kontakten "schützen"? Sieht sie darin ein primär schwules Problem? Sieht der "Spiegel" das so? Wollen beide den Paragrafen 175 in seiner "gelockerten" Fassung zurück? Leider muss man nach diesem oberflächlichen Artikel diese Fragen in den Raum werfen.

Bei vielen Lesern wird zudem vor allem eine Verbindung von Homo- und Pädosexualität hängen bleiben. Es hat auch nicht den Eindruck, als sei das ein Versehen: Der Tonfall über "die" Schwulen erinnert doch sehr an die diskriminierende Aids-Berichterstattung der 80er.

Dabei ist klar: Wer heute noch behauptet, es gebe einvernehmlichen Sex von Kindern mit Erwachsenen, wird von LGBT-Verbänden, -Politikern und -Medien zurecht gemieden, Beispiele dafür gibt es. Und in der Tat gibt es wohl einiges aus der Vergangenheit aufzuarbeiten. Nur müsste das umfassend wie konkret geschehen, im Rahmen einer gesamtgesellschaftlichen Ansicht. Und nicht als schnelle "Spiegel"-Nummer zwischendurch.

Nachtrag, 26. August, 11h Der LSVD hat in seinem Blog eine Stellungnahme unter dem Titel Klare Abgrenzung von Anfang an verlinkt.

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#1 alexander
  • 25.08.2013, 21:13h
  • man mag es kaum glauben???
    wer jetzt noch der meinung ist, es gäbe keinen "rollback", dem ist nicht mehr zu helfen?
    danke an norbert blech für den sehr fundierten artikel!
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#3 Sabelmann
  • 25.08.2013, 22:11h
  • Jetzt müssen wir sehr aufpassen...der Gegner sitzt nicht NUR in Russland!Und zu der Kampfdrohne Schwarzer möchte ich gar nix sagen!
  • Direktlink »

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