Zur ersten Konferenz des Magazins "Compact" in Berlin kamen über 700 Besucher. Nun geht es in Leipzig hauptsächlich um und gegen die Gleichstellung homosexueller Paare
Droht Deutschland eine Manif-pour-tous-Bewegung? Ein geplanter Kongress mit Thilo Sarrazin und Eva Herman weckt Befürchtungen.
Von Norbert Blech
Bahnt sich auch in Deutschland eine größere Bewegung gegen die Gleichstellung von Lebenspartnerschaften an? Zumindest kommt es am 23. November in Leipzig zu einem Kongress, auf dem das Thema im Vordergrund steht – mit prominent-berüchtigten Rednern.
Die Konferenz steht unter der Überschrift "Werden Europas Völker abgeschafft? Familienfeindlichkeit, Geburtenabsturz, Sexuelle Umerziehung". Organisiert wird das Treffen vom Monatsmagazin "Compact", das seinen Lesern eine Mischung aus Rechtspopulismus und Verschwörungstheorien bietet.
Nach einer Einleitung durch den deutsch-französischen Journalisten Peter Scholl-Latour ("Droht der Untergang Europas?") folgt die ehemalige "Tagesschau"-Sprecherin Eva Herman mit einem Referat zu "Gender Mainstream". Die Vertreterin klassischer Familienrollen hatte zuletzt öffentlich befürchtet, eine Grundgesetzänderung zur Einbeziehung des Merkmals sexuelle Orientierung in den Diskriminierungsschutz des Grundgesetzes könne dazu führen, dass Pädophilie "legal" würde. Auch verbreitet das "christliche Informationsforum Medrum" bis heute ein Zitat der abmahnfreudigen Herman, wonach das Fehlen positiver Vaterfiguren Männer dazu bringe, Defizite in homosexuellen Beziehungen zu kompensieren.
Hauptakteurin gegen Ehe-Öffung in Frankreich kommt
Von Béatrice Bourges distanzierte sich selbst "Manif pour touts"
Nach Herman spricht Béatrice Bourges, eine der Kernfiguren des französischen Widerstands gegen die Ehe-Öffnung, unter dem Titel "Die Volksbewegung gegen die 'Ehe für alle' in Frankreich." Die Sprecherin des "Französischen Frühlings" wurde von der Regierung als gefährlichste Frau des Landes bezeichnet, Innenminister Manuel Valls hatte gar ein Verbot der Organisation angedacht, nachdem Ehe-Befürworter als "Ziele" gebrandmarkt wurden.
Es gehe nicht um Gewalt, sagte Bourges dazu dem britischen Independent. "Wir sprechen von passivem Widerstand, wie Gandhi. Wir werden zum Beispiel das Leben von Ministern zur Hölle machen, wann immer sie reisen oder in der Öffentlichkeit auftreten."
Allerdings war Bourges aus "Manif pour touts" geworfen worden, wo sie eine der vier Sprecher war, weil sie militante Gleichstellungsgegner dazu ermutigte, einen offiziellen Demonstrationsweg in Richtung Champs Elysées zu verlassen. Wer genau hinter Bourges' Organisation steckt, wurde dabei nie öffentlich – die Regierung vermutet rechtsextreme Katholiken und Nationalisten. Die strenggläubige Christin betont immer wieder, die Ehe-Öffnung werde das Fundament der Gesellschaft vernichten.
Sarrazin redet gegen "Faultiere"
Zurück in Leipzig folgt nach einer Mittagspause der notorisch homophobe CSU-Rechtsaußen Norbert Geis, der auch nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag über "Familienpolitik in Deutschland – Was droht uns? Was ist zu tun?" referiert. Zuvor darf der rechtpopulistische Zahlenverdreher Thilo Sarrazin, der dem Kongress große Aufmerksamkeit bescheren wird, über "Demographische Entwicklung und Familienpolitik: Versäumnisse und Herausforderungen" sprechen.
In der aktuellen Ausgabe von "Compact" auf den Kampf gegen die Ehe-Öffnung in Frankreich angesprochen, sagte Sarrazin: "Man muss staatliche Familienpolitik und private Lebensführung unterscheiden. Die Schwulenehe gehört zu letzterer." Es gebe "von beiden Seiten eine künstliche Aufheizung der Debatte". Homosexualität sei legal, es sei aber fraglich, ob man "legitim zugelassene" gleichgeschlechtliche Partnerschaften als "Ehe" bezeichnen müsse: "Das ist ungefähr so, als würde man ein 'Faultier' als 'Löwe' bezeichnen. Das kann man selbstverständlich machen, aber es ändert nichts daran, dass beide unterschiedliche Eigenschaften haben. Staatliche Familienpolitik muss sich darauf konzentrieren, für die Geburt und die Erziehung von Kindern möglichst gute Voraussetzungen zu schaffen."
Russische Propaganda in Leipzig?
Mitorganisatoren des Kongresses hatten die Duma-Abgeordnete Jelena Misulina nach Paris geladen. Sie ist Autorin des Gesetzes gegen Homo-"Propaganda".
Ein weiterer Redner ist der Schriftsteller Ulrich Schacht, der beim ersten "Compact"-Kongress zum Thema "Souveränität" die EU unter anderem aufgrund der "fanatisch-obskuren Idee" einer Gender-Ideologie als totalitär kritisierte (und als kapitalistisch: "Ein Mensch, der fünf Geschlechter hat, kauft sich die Woche fünf verschiedene Klamotten"). Schacht lobte auch die Rückkehr Russlands zur Orthodoxie und verglich die Menschenrechtslage dort mit der in Deutschland.
Ohnehin sind die Russland-Verbindungen auffällig. So gibt es einen russischen Block: "Aus Russland berichten Abgeordnete der Duma über die Erfolge von Wladimir Putins Familienpolitik", heißt es auf der Konferenzseite über einen Besuch von noch nicht namentlich genannten Abgeordneten. Dann folgt mit Andrej Sikojev ein Priester der russisch-orthodoxen Kirche in Berlin. Dieser hatte sich bei der Fundamental-Katholikin Gabriele Kuby für ihr unter anderem homophobes Buch "Die globale sexuelle Revolution" mit den Worten bedankt, dieses biete eine "fundamentale Gesamtanalyse des Phänomens" und "dem besorgten und wachen Leser viele kluge und gute Anregungen für den praktischen Widerstand". Kuby selbst hatte sich kürzlich einen großen Widerstand gegen die Gleichstellung der Homo-Ehe wie in Frankreich gewünscht.
Der Leipziger Kongress wird in Zusammenarbeit mit dem "Institut de la Démocratie et de la Coopération" (IDC) veranstaltet, einem Think-Tank mit Sitz in Moskau, Paris und New York, das angebliche "Doppelmoral" bei der Berichterstattung über Menschenrechte bekämpfen will und wohl insgesamt der pro-russischen Berichterstattung dient.
Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Institutes in Paris ist der britische euroskeptische Journalist John Laughland, der das Vorgehen französischer Polizisten gegen gewalttätige Manif-Demonstranten unter anderem gegenüber Russlands Staatssender RT als brutale Niederschlagung kritisierte, die sich Russland in den Augen des Westens nie hätte leisten können. Die Hollande-Regierung sei ein "verrotendes Regime", das "Propaganda" gegen friedvolle Demonstranten betreibe. In Frankreich stehe eine Revolution bevor, so Laughland euphorisch.
Das IDC unter Direktorin Natalya Narochnitskaya, einer ehemaligen Duma-Abgeordneten, hatte die Manif-Bewegung unter anderem mit einer Konferenz in Paris unterstützt, an der auch die Duma-Abgeordnete Jelena Misulina teilnahm. Sie ist Autorin des landesweiten Gesetzes gegen Homo-"Propaganda". Minderjährige bekämen "sexuelle Präferenzen aufgebürdet", bevor sie reif genug wären, sich damit auseinanderzusetzen, hatte sie ihr Gesetz begründet, das auch Jungen vor Missbrauch schütze.
Sowohl Laughland als auch Narochnitskaya werden in Leipzig sprechen, wie auch der umtriebige "Compact"-Chefredakteur Jürgen Elsässer. Es gibt Gerüchte, Misulina selbst würde anreisen. Aber auch ohne sie sollte man den November-Tag in Leipzig ernst nehmen: Zur ersten "Compact"-Konferenz im letzten Jahr an der Berliner FU waren über 700 Gäste gekommen.
Update 16.25h: Nachträge
Die Konferenz findet offenbar im Globana-Konferenzzentrum am Flughafen Leipzig/Halle statt, der etwas von Leipzig entfernt liegt. Jürgen Elsässer hat in einem Blogeintrag queer.de "Lobby-Agitation" vorgeworfen. Mehrere Organisationen und Personen haben inzwischen eine öffentliche Protestaktion gegen die Konferenz gefordert. Sollte sich da etwas entwickeln, werden wir darüber informieren.
Update 20.30h: Weiterer Artikel
Martin Niewendick vom Blog ruhrbarone.de hat noch ein paar homophobe Aussagen von Elsässer gefunden und zusammengefasst. Das reichweitenstarke und wichtige Rechtsaußen-Watchblog Publikative.org hat den Text übernommen.
Update 5.9.: Protest geplant
Die Gruppe "putinmyass" hat bei Facebook eine erste Gegenveranstaltungsseite angelegt und sucht Mitstreiter, um einen Protest auf breite Beine stellen zu können. Interessierte können sich über Facebook oder bei Katja per eMail melden.
» Folgeartikel: Empörung über Sarrazin und Geis (06.09.2013)