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Jetzt im Kino: In Alain Guiraudies Film "Der Fremde am See" treibt ein Mörder an einem Cruising-Treffpunkt sein Unwesen.
Von Tor Iben
François Truffaut hatte als erster die Idee, einen Thriller unter gleißender Sonne spielen zu lassen. Sein "Geheimnis der falschen Braut" ist lange her. Seinerzeit ein Flop, strahlt der Filme noch weit in die Geschichte des Kinos hinein – und hin und wieder (wenn auch nicht sehr oft) wagen Filmemacher den Versuch, das Unvereinbare zu vereinbaren. Nämlich die Attribute eines Sommers – Sinnlichkeit, Leichtigkeit und vor allem das Gefühl, das nichts passiert und das das, was passiert, auch egal ist "bei dieser Hitze" – mit der Abgründigkeit und Dunkelheit von Verbrechen.
Auch Alain Guiraudies Film "Der Fremde am See" steht in dieser Tradition, erinnert aber mehr noch an Ozons "Das Sommerkleid" als an Truffauts Klassiker. Und natürlich steht auch William Friedkins "Cruising" Pate.
Kauzige Männer am schwulen Cruising-Strand
Die Story: Der junge, gutaussehende Franck (Pierre de Ladonchamps) kommt an einem Sommertag an einen See in Frankreich. Dort lernt er erst den Außenseiter Henri (Patrick Dassumçao) kennen, der seinen Platz im Abseits des schwulen Badestrands gefunden hat. Er hat schnell ersten Sex mit einem Mann, der sich als rigider Zwangscharakter herausstellt, und zuletzt trifft er auf Michel (Christophe Paou), den schönen Beau.
Die schwulen Männer, die sich an diesem See treffen, sind bis zur Kauzigkeit vereinsamt und bilden doch zusammen ein soziales Gefüge, das an eine seltene Tierart erinnert, die wohl nur an diesem "speziellen" See heimisch ist. Eine "Spezies", die nach ihren eigenen sozialen und auch asozialen Regeln lebt und in der jeder seinen festen Platz in der Hackordnung hat: Vom Alphatier, das als erstes frisst, das sich nimmt, was es will, bis hinunter zum Parasiten oder Aasgeier, der am Rande des Geschehens darauf wartet, was für ihn übrig bleibt.
Der Archetyp des schwulen Macho-Manns
Es ist eine Leistung des Films, über diese wenigen vier, fünf Figuren, die er zur Verfügung stellt, eine ziemlich genaue soziale Miniatur, ein Panorama oder noch vielmehr: ein Panoptikum des schwulen Szene-Lebens aufzustellen. Darüber hinaus sind diese Figuren – oder zumindest ist die Figur des Mörders – auch ein Hologramm in die Vergangenheit: Denn bestimmt nicht zufällig sieht Michel wie ein Archetyp des schwulen Macho-Manns der 1970er Jahre aus.
Man befürchtet eine ganze Weile, der Film bleibe in seinen Andeutungen, in seinen kaum spürbaren Hinweisen und Bezügen stecken, ja er übergebe seine Bedeutung allein den Projektionen des Zuschauers, die dann für ihn stellvertretend vom Feuilleton ausgesprochen, formuliert und deutlich gemacht werden. Erst am Ende durchbricht "Der Fremde am See" dieses mittlerweile sehr abgekartete Spiel zwischen Filmemacher, Publikum und Kritiker, das das Arthouse-Kino der letzten Jahre mit so großem Erfolg bestimmt hat. Der Film wagt es, konkret und sehr, sehr spannend zu werden!
Erst im letzten Moment wechselt er nochmal die Ebene, um eine Frage in den Raum zu stellen, um die man als Zuschauer nicht herumkommt: Warum ruft Franck am Ende nach Michel? Warum ruft das Opfer nach seinem Mörder?
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