Beim Moskauer CSD wurden 2009 die Teilnehmer festgenommen und teilweise über Nacht festgehalten - währenddessen fand in der Stadt das Finale des Eurovision Song Contest statt (Bericht). Nun könnten die EBU-Offiziellen mehr Bedenken beim Thema haben.
In der EBU könnte es zu einem Umdenken kommen, was die Menschenrechte in Gastgeberländern des Song-Contests betrifft.
Die Reference Group des Eurovision Song Contests, die alle Entscheidungen zu der länderübergreifenden TV-Show trifft, soll laut einem Bericht des "Stern" einen "warnenden Brief" an die russischen TV-Sender Channel One und RTR geschrieben haben.
In dem Brief seien die jeweiligen Intendanten aufgefordert worden, vier Fragen zur künstlerischen Freiheit sowie zur Sicherheit von Teilnehmern und Fans zu beantworten, so stern.de. NDR-Unterhaltungschef Thomas Schreiber, der in der Reference Group sitzt, sagte dem Magazin: "Wir haben uns zu diesem Schritt entschlossen, weil einige große Delegationen massive Sicherheitsbedenken haben", sollte es der Grand Prix nach der nächsten Station in Kopenhagen 2014 wieder in Russland landen. Unter den Bedenkenträgern sei auch Deutschland.
Schreiber hatte bereits im Zuge der Diskussion um den ESC in Aserbaidschan gesagt, dass er sich den Contest in einigen Ländern nicht vorstellen könnte. Er nannte dabei Weißrussland, das anders als Aserbaidschan nicht Mitglied des Europarates ist. Allerdings hatte die EBU 2010 den Junior Eurovision Song Contest in Minsk veranstalten lassen. Bei der Show, die in diesem November in Kiew stattfindet, wird der Veranstaltungsort nicht wie beim großen Bruder durch den Sieg im Vorjahr, sondern durch EBU-Verantwortliche festgelegt.
Umdenken im Entscheidungsgremium?
Gastgeber Schweden zeigte in diesem Jahr Flagge
Gibt es also ein Umdenken in der Reference Group? In dem achtköpfigen Gremium sitzen unter anderem ein weiterer Deutscher, Frank-Dieter Freiling vom ZDF, und der Contest-Supervisor Jon Ola Sand, der wie der schwedische Vertreter Christer Björkman schwul ist.
Björkmann war der verantwortliche Produzent des schwedischen Fernsehens für den ESC in Malmö, bei dem sich das Land auch mit einer schwulen Hochzeit präsentierte. Laut "Stern" soll er in der Reference Group damit gedroht haben, dass sein Land nicht an einem Wettbewerb in Moskau teilnehmen werde, würden die Bedenken nicht ausgeräumt.
Die Reference Group wolle daher "früh ein politisches Symbol setzen", so das Magazin; das Gesetz gegen "Homo-Propaganda" werte man als Widerspruch zum Wertekatalog der Rundfunkunion. Man wird wohl auch wahrgenommen haben, dass die zahlreichen Diskussionen zu Aserbaidschan auch der EBU schadeten; zudem wirkte die TV-Show aus Baku anders als in Düsseldorf oder Malmö deutlich gehemmter, da unter anderem Sicherheitspersonal in den Publikumsreihen saß. Vor Ort war es auch zu mehreren Einschüchterungen von akkreditierten Journalisten gekommen.
Youtube | Szenen wie diese 2009 beim CSD/ESC in Moskau könnten sich wiederholen, befürchtet nun offenbar auch die EBU
Politische Brisanz des ESC erkannt?
Mit populären oder teuer-professionellen Beiträgen wollen Länder wie Russland und Aserbaidschan den Contest gern wieder gewinnen – durch die Austragung erhoffen sie sich einen Imagegewinn
Ende September hatte bereits Sietse Bakker, Projektmanager der EBU für den Contest, in einem Interview gesagt, dass die Sicherheit von Teilnehmern zunächst die Angelegenheit des ausrichtenden Senders sei. Dann fügte er hinzu: "Wenn speziell die Sicherheit unserer schwulen Freunde in Gefahr ist, werden wir unter Berücksichtigung der örtlichen Umstände eine Entscheidung treffen."
ESC-Experte Jan Feddersem hielt das im Eurovision-Blog des NDR für eine mit der EBU abgestimmte Stellungnahme, die unter Umständen ernsthaft überdenken werde, "ob ein Land einen ESC ausrichten kann oder nicht". Es habe sich ein "Bewusstsein für die politische Brisanz des ESC selbst herauskristallisiert", so Feddersen: "Einem Land, das homophobe Gesetze hat, könnte im Zweifelsfall das Recht entzogen werden, einen ESC zu veranstalten."
Wie die EBU tatsächlich auf solche Herausforderungen reagieren sollte, bleibt zunächst noch abzuwarten. Zuletzt hatte die Rundfunkunion bereits eine strengere Transparenz beim Voting-System angekündigt, auch wenn es vielen nicht weit genug geht. So werden etwa die Juroren vorab bekannt gegeben. Hintergrund sind (erneute) Gerüchte, Russland und vor allem Aserbaidschan könnte Stimmen gekauft haben. Beiden Ländern wird nachgesagt, den Contest gerne wieder auszutragen.
Nach dem ESC in Baku vor einem Jahr hatte sich die Menschenrechtslage in Aserbaidschan übrigens verschlimmert. Den Deutschen Olympischen Sportbund hatte das nicht davon abgehalten, für die erste Europa-Olympiade 2015 in Baku zu stimmen. Dabei ist der Gedanke, eine Eventvergabe an Bestimmungen zu knüpfen, zielführender als spätere Boykottaufrufe. Die EBU, zu deren Zielen Medienfreiheit und -pluralismus gehört, könnte hier ein Zeichen setzen. (nb)
de.ria.ru/society/20130521/266160137.html