Johannes Kahrs ist seit 1998 Bundestagsabgeordneter, der stets direkt gewählt wurde. Der Hamburger ist Beauftragte für die Belange von Lesben und Schwulen der SPD-Fraktion und Sprecher des Seeheimer Kreises, des konservativen Flügels der Sozialdemokraten (Bild: Deutscher Bundestag / Lichtblick / Achim Melde)
Vokabeln wie "ätzend", "absurd" und "beschämend" kommen dem Homo-Beauftragten der SPD beim Blick auf den Koalitionsvertrag in den Sinn – trotzdem bringe das Gesamtpaket "Verbesserungen für viele Menschen".
Johannes Kahrs ist sichtlich unzufrieden, dass die Union beim Thema Homo-Rechte weiterhin mauert, als würde die Gleichstellung das Ende des Abendlandes einläuten. Der Beauftragte für die Belange von Lesben und Schwulen der SPD-Bundestagsfraktion wirbt im queer.de-Interview mit Dennis Klein aber auch dafür, den Koalitionsvertrag anzunehmen. Als kleiner Partner in einer Großen Koalition habe man doch relativ viel erreicht.
queer.de: Sie haben nach den Wahlen im Deutschlandfunk gesagt, dass die Öffnung der Ehe ebenso wie die doppelte Staatsbürgerschaft im Koalitionsvertrag "nicht verhandelbar" seien. Ein Punkt war jetzt doch verhandelbar. Was hat sich geändert?
Johannes Kahrs: Die CDU nicht. Wir haben ja bei der Wahl gesagt, was wir wollen. Wir haben dafür 25 Prozent gekriegt, die anderen haben 41 Prozent gekriegt. Ich bin stolz auf Manuela Schwesig und Caren Marks, dass sie in der Arbeitsgruppe durchgesetzt haben, dass es die rechtliche Gleichstellung für Lebenspartnerschaften gibt. Das, was uns allen weh tut, ist, dass es nicht Ehe heißt.
Aber die rechtliche Gleichstellung kommt politisch nicht, das Adoptionsrecht ist ja im Koalitionsvertrag ausgeklammert.
Beim Adoptionsrecht ist es so, dass nur kommt, was das Bundesverfassungsgericht gesagt hat. Das ist beschämend. Das ist wenig. Das ist schlecht. Und das ärgert uns. Aber mich freut zumindest ein bisschen, dass wir immerhin die rechtliche Gleichstellung in allen Bereichen kriegen – minus Adoption. Hier müssen noch 100 Gesetze angepasst werden. Das ist schon recht viel wert. Die Union hatte immer gesagt, dass sie dort nichts tun werde.
Sie sprechen von Mini-Anpassungen.
Die SPD hatte ja beim Thema Gleichstellung einen langen Atem. Wir haben 1998 angefangen mit dem Lebenspartnerschaftsgesetz. Wir kämpfen jetzt nach und nach für Fortschritte. Ich hätte mich gefreut, wenn wir auf einmal eine komplette Gleichstellung hingekriegt hätten. Aber das ist mit Frau Merkel und dieser Union nicht zu machen.
Schwul-lesbische Aktivisten werfen der SPD vor, ihr Wahlversprechen "100% Gleichstellung nur mit uns" gebrochen zu haben
Ist der SPD der Spruch "100 Prozent Gleichstellung nur mit uns" im Nachhinein nicht ein wenig peinlich?
Hätten wir eine Mehrheit gehabt mit den Grünen, dann hätten wir die 100 Prozent gehabt. Da wir aber keine Mehrheit haben, mussten wir gucken, dass wir so viel wie möglich davon durchsetzen. Wenn man die rechtliche Gleichstellung von Lebenspartnerschaften hinkriegt, ist das ja schon was. Die Haltung der CDU/CSU kennt jeder. Ich finde es komisch, dass jetzt einige anfangen, auf uns einzuprügeln. Aber da möge man doch mal bitte die CDU bepöbeln.
Der FDP-Politiker Michael Kauch hat vor kurzem gesagt, dass die FDP der Union in der letzten Legislaturperiode zu lange vertraut hätte. CDU und CSU hätten die Gleichstellung "so lange torpediert und hinausgezögert, bis die Wahlperiode zu Ende ist". Könnte das nicht auch der SPD passieren?
Das liegt am Ende an jeder Partei, wie man miteinander umgeht. Der Koalitionsvertrag mit der FDP war ja eher schwammig. Wir haben relativ klare Ansagen gemacht und es hat lange genug gedauert. Wir glauben, dass wir das auch umsetzen können.
Wo sind denn die klaren Ansagen?
Neben dem ganzen Kleinkram steht drin, dass es eine rechtliche Gleichstellung geben soll. Das gleiche Dilemma haben wir ja auch bei der doppelten Staatsbürgerschaft: Wir wollten die volle doppelte Staatsbürgerschaft. Wir haben jetzt durchgesetzt, dass es immerhin für die Jüngeren kommt, aber nicht für alle. Das ist auch Mist. Aber nochmal, man kann nicht von einer Partei, die 25 Prozent bekommen hat, erwarten, dass die Partei, die 41 Prozent bekommen hat, 100 Prozent des SPD-Wahlprogramms übernehmen wird. Das wäre ein bisschen seltsam.
Aber Sie haben doch vor und nach der Wahl gesagt, dass es unverhandelbare Punkte gibt…
Wir haben nun mal die CDU gekriegt. Ich hätte es besser gefunden, die Menschen hätten mehr SPD und Grüne gewählt. Dann hätten wir das 1:1 umgesetzt, wie vorher gesagt. Aber ich kann nur mit den Mehrheiten arbeiten, die auf dem Markt sind. Wenn der Wähler uns zu wenig Stimmen gibt, müssen wir damit umgehen. Wir hatten viele protestierende CDU-Leute, die gesagt haben: "Wir kriegen 41 Prozent – und jetzt reden wir nur noch über Mindestlöhne, doppelte Staatsbürgerschaft, Lesben und Schwule und Mietpreisobergrenze, Änderungen auf dem Arbeitsmarkt, Renten – und wo kommen wir vor mit unseren 41 Prozent an Tagen wie diesen?" Dafür haben wir hart verhandelt. Dass sich etwas bewegt hat, ist am Ende nur dem Einsatz von Sigmar Gabriel zu verdanken.
Eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung befürwortet die Gleichstellung. Wo ist eigentlich das Problem?
Es ist ätzend. Ich glaube, viele aus CDU/CSU sind nicht gegen Gleichstellung, aber für sie ist es ein wahltaktisches Kalkül, um ihre konservativen Wähler zu halten. Außer Ausländer und Schwule zu diskriminieren haben die doch fast nichts mehr. Das ist absurd. Wir haben hart gekämpft und etwas durchgesetzt – aber leider nicht alles. Wir müssen halt mit jemand klarkommen, der 16 Prozentpunkte mehr Stimmen erhalten hat als wir.
Die Homo-Ehe in Europa: Der Westen in Dunkelblau hat die Ehe geöffnet (Luxemburg, Schottland und Irland bahnen außerdem die Ehe-Öffnung an) – die hellblauen Länder haben nur eine Ehe-Light mit teilweise stark eingeschränkten Rechten – die roten Länder verbieten Schwulen und Lesben die Ehe-Schließung in ihrer Verfassung (Bild: Silje L. Bakke / Wiki Commons / CC-BY-SA-2.0)
Wenn man sich eine Karte von Europa anschaut, ist fast überall westlich von Deutschland die Ehe geöffnet worden oder wird gerade geöffnet…
…selbst Elisabeth II hat unterschrieben.
Unter einer konservativen Regierung.
Ja, es ist absurd, es ist peinlich, es ist unverständlich, was in Deutschland passiert. Aber es liegt einfach daran, dass die Union wahltaktische Spielchen mit Lesben und Schwulen betrieben hat.
Glauben Sie nicht, dass es für Deutschland schwer wird, sich im Ausland für Bürgerrechte einzusetzen, wenn man nicht einmal im eigenen Land die Menschen gleich behandelt werden?
Natürlich ist das peinlich. Wir waren eines der ersten Länder mit eingetragenen Partnerschaften unter Rot-Grün. Wir werden weiterhin daran arbeiten, dass es schrittweise in die richtige Richtung geht. Ganz hab ich die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sich in der CDU etwas bewegt. Wir haben nicht gekriegt, was wir wollten. Aber es ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung.
Sie würden also den SPD-Mitgliedern empfehlen, dem Koalitionsvertrag zuzustimmen?
Wenn es nur um unsere Themen geht, dann nicht. Aber am Ende ist es ein Gesamtpaket und es sind auch Punkte wie doppelte Staatsbürgerschaft und Mietobergrenzen drin oder Veränderungen bei Leiharbeit und Werkverträgen. Es gibt viele Verbesserungen für viele Menschen in diesem Land, dass man das schwer ablehnen kann, weil es das sonst alles nicht geben würde.
Wann wird denn die Ehe geöffnet werden? Wenn es erst nach der nächsten Wahl 2017 soweit wäre, wäre wohl sogar das erzkonservative Irland schneller.
Wir haben ja jetzt vier Jahre Zeit, mit der Union zu verhandeln. Man soll das Hoffen nicht aufgeben.
Sie haben also Hoffnung, dass CDU und CSU sich ändern?
Eher wenig Hoffnung. Wir werden daran arbeiten und sind uns ja mit allen Parteien im Bundestag – außer der Union – darüber einig. Hoffen kann man aber immer.
welche Verbesserungen denn?
Dass es statt der versprochenen 100% Gleichstellung 0% Gleichstellung gibt? Und wir nicht nur weiter Menschen zweiter Klasse sind, sondern damit auch die Homophobie gefördert wird, die zu Mobbing, Gewalt und Selbstmorden führt?
Oder meinen Sie dass der versprochene Mindestlohn erst 2017 kommt, also nicht mehr diese Legislaturperiode? (Und wer weiß, was bis dahin ist, vielleicht kommt er auch dann nicht.)
Vielleicht meinen Sie aber auch, dass die SPD bei Bürgerversicherung, Maut, Betreuungsgeld, etc. komplett eingeknickt ist.
Möglicherweise könnten Sie aber auch meinen, dass es nach wie vor kein gerechteres Steuersystem gibt und nach wie vor die Superreichen ihre Steuern auf Null runterechnen, während der normale Bürger immer mehr zahlt. Und für die Kommunen, Straßen, Schiene, Schulen, Unis, Bibliotheken, etc. fehlt an allen Ecken und Enden Geld...
Ja, der Koalitionsvertrag bringt "Verbesserungen für viele Menschen". Nur leider für die falschen... Und ganz sicher nicht für die Wähler der SPD!