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1. LSBTI*-Wissenschaftskongress
"Raus aus dem Elfenbeinturm"
- 30. November 2013 3 Min.

Jörg Litwinschuh, Geschäftsführender Vorstand der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, bei der Eröffnung des Kongresses (Bild: Bundesstiftung Magnus Hirschfeld/Sabine Hauf)
Nach drei Tagen ist am Samstag der 1. LSBTI*-Wissenschaftskongress der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld in Berlin zu Ende gegangen. Im Interview zieht Stiftungsvorstand Jörg Litwinschuh Bilanz.
Von Robert Niedermeier
Aktuelle Forschung in Bezug auf LGBT präsentierte der Wissenschaftskongress "Gleich-Geschlechtliche Erfahrungswelten" vom 28. bis 30. November 2013 in Berlin. Bei der Veranstaltung der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld wurde ein breites Spektrum wissenschaftlicher Projekte zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt vorgestellt, über ein gut gemachtes Live-Blog konnten auch Interessierte, die keinen der limitierten Plätze ergattern konnten, die Diskussionen verfolgen. Im Interview mit queer.de zieht Stiftungsvorstand und Projektleiter Jörg Litwinschuh eine erste Bilanz.
Drei Tage lang wurde in Berlin auf sehr intellektueller Ebene diskutiert. Warum dieser große Aufwand?
Wir haben den Wissenschaftskongress ins Leben gerufen, um einer breiteren Bevölkerungsschicht zu zeigen, was und warum in Fragen der Sexualität geforscht wird. Die LSBTI*-Wissenschaft kommt in den klassischen Medien nämlich kaum vor.

"Wissen schafft Akzeptanz": Der Leitspruch der Hirschfeld-Stiftung wurde auf Stofftaschen unters Volk gebracht (Bild: Bundesstiftung Magnus Hirschfeld / Sabine Hauf)
Interessiert sich denn die, sagen wir mal, bi- oder homosexuelle Kantinen-Köchin wirklich dafür, was hier referiert und diskutiert wird?
Wissenschaft steht in dem Geruch, im Elfenbeinturm zu sitzen, wir wollen sie da herausholen, der eigenen Community und darüber hinaus präsentieren. Die Köchin kann erst mittelfristig davon profitieren, wenn wir hier Leute aus der Politik und der Verwaltung mit Wissenschaftlern zusammenbringen. Wir hoffen, dass die Besucher und Teilnehmer ihre Erkenntnisse in ihren Arbeitsalltag hineintragen, eigene Informationslücken füllen und verstehen, dass es einen Bedarf gibt, neue Perspektiven zu beleuchten, Karrieren für Sexualforscher an Universitäten, aber auch in Verwaltungen und Unternehmen zu ermöglichen.
Das heißt was?
Ich bemühe gerne das Bild des Steines, das man in einen Teich wirft. Der Stein wirft Wellen, die etwas anstoßen und in Bewegung versetzen.
Wo liegt der Denkfehler, wenn Menschen, egal ob straight oder gay, behaupten, dass es weitaus Wichtigeres gäbe als ihre Sexualität?
Es geht dabei niemals nur um Sexualität, sondern darum, die Unterschiedlichkeit zu akzeptieren und dass niemand seine sexuelle Identität im Freundeskreis, innerhalb der Familie oder am Arbeitsplatz verschweigen muss. Das bedeutet nicht, dass man im Büro sexuelle Praktiken bis ins Detail erläutert, sondern dass jeder ohne Scheu dazu stehen kann, dass er das letzte Wochenende mit seinen lesbischen, schwulen oder Trans*-Freunden oder seinem gleichgeschlechtlichen Partner verbracht hat.
Bist du zufrieden mit dem Kongress?
Die Qualität der Beiträge war hervorragend, jetzt folgt die Übersetzungsarbeit. Das bedeutet, dass wir die gesammelten Erkenntnisse der Durchschnittsbevölkerung nahe bringen, ohne zu verfälschen. Wir haben darüber hinaus wichtige Impulse für unsere Zusammenarbeit mit dem Bundestag, der Bundesregierung und den Verwaltungen erhalten – damit wir besser auf bei der Politik bestehende Informationsdefizite über LSBTI*-Lebensweisen mit Menschenrechtsbildung reagieren können. Das Thema Gleichstellung wird allzu leicht reduziert auf beispielsweise schwule Männer und Paarbeziehungen. Doch bei LSBTI*-Lebensweisen geht es um ein viel breiteres, vielfältigeres Spektrum! Auch das hat der Kongress "Gleich-Geschlechtliche Erfahrungswelten" erneut deutlich gemacht. Und es hat mich gefreut, dass Politiker aus allen politischen Richtungen dabei waren.
Wird es eine Fortsetzung geben?
Das hängt von der Finanzierbarkeit ab, ich bin aber zuversichtlich, dass wir das hinbekommen. Jetzt geht es erst einmal an die Nachbereitung, wir werden die Ergebnisse im Internet und in einem Buch veröffentlichen.
Links zum Thema:
» Blog zum ersten LSBTI*-Wissenschaftskongress
Mehr zum Thema:
» Bericht von der Hirschfeld Lecture mit Jeffrey Weeks: Mit radikalem Humanismus zur sexuellen Gleichberechtigung














