Joachim Gauck hatte bereits mehrfach die Menschenrechtslage in Europa kritisiert (Bild: Energie Agentur NRW / by 2.0)
Der Bundespräsident verzichtet auf einen Besuch der Winterspiele. Während eine Sprecherin darin "keinen Boykott" sieht, bringt der "Spiegel" die Absage in einen Zusammenhang zum "Propaganda"-Gesetz.
Bundespräsident Joachim Gauck wird nicht zu den Olympischen Winterspielen nach Sotschi reisen. Ein entsprechender Bericht des Magazins "Der Spiegel" wurde am Sonntag von einer Sprecherin Gaucks bestätigt. Gauck werde stattdessen die Sportler in München empfangen.
Dem Magazin zufolge habe Gauck der russischen Regierung bereits in der letzten Woche mitgeteilt, dass er nicht anreisen werde. Als Grund habe der 73-Jährige Kritik an den "Menschenrechtsverletzungen und der Drangsalierung der Opposition" in Russland genannt.
Das wurde vom Bundespräsidialamt allerdings offiziell nicht bestätigt: Laut Agenturen wies eine Sprecherin Gaucks am Sonntag darauf hin, dass es keine feste Regel gebe, dass Bundespräsidenten zu Winterspielen reisten. So habe auch Horst Köhler 2010 nicht an den Spielen im kanadischen Vancouver teilgenommen. Die Absage sei "kein Boykott", sagte die Sprecherin dem ZDF.
Gauck und die Homo-Rechte
Der "Spiegel" erläuterte in seinem Bericht die Menschenrechtslage in Russland einzig am Gesetz gegen Homo-"Propaganda", allerdings ohne ein entsprechendes Zitat Gaucks. Andere Medien verwiesen darauf, dass Gauck schon mehrfach allgemein die Menschenrechtslage sowie die mangelnde Pressefreiheit in Russland kritisiert hatte. Der Bundespräsident hat Russland bislang nicht besucht, ein Treffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin ließ er 2012 angeblich aus Termingründen platzen.
Gauck hatte sich in der Vergangenheit mehrfach – vorsichtig – für LGBT-Rechte eingesetzt. So sagte er im Februar vor dem UN-Menschenrechtsrat: "Mut machen mir die gesellschaftlichen Debatten, die die Rechte der Frau erweitern, die derzeit in Indien und Ägypten und anderen Staaten geführt werden, oder die Debatten über die Gleichberechtigung Homosexueller in immer mehr Ländern weltweit" (queer.de berichtete).
Nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts im Frühjahr zu weiteren Gleichstellungen von homosexuellen Paaren hatte Gauck das öffentlich begrüßt (queer.de berichtete). Zugleich hatte er betont: "Die Gesellschaft muss sich über die nächsten Schritte der Gleichstellung wirklich austauschen. Und das bedeutet, es zählt das Wort derer, die mehr Gleichstellung wollen, und derer, die das nicht möchten".
Vor den Olympischen Winterspielen vom 7. bis 23. Februar 2014 in Sotschi hatte es viele Boykott-Aufrufe gerade auch wegen der Situation von Schwulen und Lesben in Russland gegeben. Russische LGBT-Gruppen schlagen hingegen vor, vor Ort Zeichen des Protests und der Solidarität zu zeigen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich ebenfalls gegen einen Boykott ausgesprochen, der vor allem die Sportler bestrafe. (nb)
Update 15.15h: Reaktionen
Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) freute sich in einer Presseerklärung über den angekündigten Empfang der Sportler durch Gauck. "Ein Besuch des Bundespräsidenten in Sotschi selbst war unseres Wissens bislang nicht geplant."
Trotzdem hat die Meldung des "Spiegel" zu einem angeblichen Boykott zu weiteren Reaktionen geführt. "Das ist eine starke Haltung des Bundespräsidenten und ein ermutigendes Signal", sagte die Grünenpolitikerin Claudia Roth. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning (FDP), nannte die Absage gegenüber der dpa eine "wunderbare Geste der Unterstützung für alle russischen Bürger, die sich für Meinungsfreiheit, Demokratie und Bürgerrechte einsetzen."
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Schockenhoff, der Koordinator für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit, sagte der "Welt", der angebliche Boykott entspreche der konsequenten Haltung des Bundespräsidenten zu Menschenrechtsfragen. "Gaucks Entscheidung ist zu akzeptieren, allerdings hätte ein Besuch der Olympischen Spiele auch eine gute Möglichkeit geboten, um Gespräche mit Reformkräften in Russland zu führen und ihren Anliegen in der politischen Debatte mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen", sagte der Vizevorsitzende der Parlamentariergruppe, der SPD-Politiker Lars Klingbeil.
Auch aus Moskau liegt eine erste Reaktion vor: Der Chef des Auswärtigen Ausschusses im russischen Parlament, Alexej Puschkow, schrieb auf Twitter: "Der deutsche Präsident Gauck kritisierte kein einziges Mal die Tötung von Kindern und Frauen in Pakistan und Afghanistan. Aber er verurteilt Russland so stark, dass er nicht einmal nach Sotschi reisen will".
Update 16.30h: Weitere Reaktionen
Die An- oder Abwesenheit politischer Vertreter bei sportlichen Großveranstaltungen dürfe nicht mit der Frage verwechselt werden, ob man mit anderen Ländern außenpolitisch zusammenarbeitet, äußerte sich der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich gegenüber der "Berliner Zeitung" zurückhaltend zur Gauck-Absage. "Die russische Innenpolitik missachtet zweifellos allgemeine Menschenrechtsstandards", so der Kölner Bundestagsabgeordnete. "Darauf hinzuweisen ist berechtigt und notwendig. Dass wir Russland bei der Bewältigung internationaler Herausforderungen dagegen brauchen, hat sich in den vergangenen Monaten erneut bestätigt."
Der menschenrechtspolitische Sprecher der Grünen, Volker Beck, nannte Gaucks Absage ein "starkes Signal für Demokratie und Menschenrechte". Dies heiße aber nicht, dass alle Politiker ihren Protest nur auf diese Art und Weise kundtun sollten, so der schwule Politiker der "Berliner Zeitung": "Man kann auch nach Sotschi fahren und dort durch eine Geste seinen Dissens zeigen".
Ähnliche äußerte sich der Linke-Politiker Carsten Schatz. "Wieder 'ne Chance verschenkt", schrieb das Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses auf seiner Facebook-Page. "Gauck im Regenbogenmäntelchen bei der Eröffnung wäre viel cooler gewesen."
Wenn es um Grundrechtsverletzungen und Menschenrechtsverletzungen in Deutschland geht, dann ist es verdammt nochmal die Aufgabe des Bundespräsidenten das scharf zu kritisieren. Schade, dass wir keinen unbequemen Bundespräsidenten haben, der den Finger dorthin legt wo es Merkels Union weh tut. Offenbar will er Merkels Union in Ruhe und ohne ein Wörtchen dazu zu sagen weiterhin Schwule und Lesben diskriminieren lassen.