Die zweite Ausgabe: "hello mr." erscheint im Pocket-Format mit 160 Seiten und stylishen Fotos, die keine Fleischbeschau sind
Ryan Fitzgibbon aus New York setzt dem Standard-Homomagazin mit "hello mr." eine intelligente Alternative entgegen. Es erscheint zweimal jährlich auf Englisch und wird in Berlin gedruckt.
Von Kevin Clarke
Es gibt ja bestimmte Klischees, die viele Homomagazine nur allzu gern erfüllen: Themen, die um Mode, Kosmetik und Reisen kreisen (immer gut für Werbekunden), gewürzt mit Sex, Sex und noch mehr Sex (was anderes haben Schwule angeblich eh nicht im Kopf, oder?), Berichte über Popsterne und Filmstars (Schwule sind halt klatsch- und tratschsüchtig), dazu Fotos, die viele nackte Körper zeigen. Durchtrainierte nackte Körper, versteht sich. Vorzugsweise auf Hochglanzpapier gedruckt. Um trotzdem den eigenen Anspruch auf Seriosität wenigstens halbwegs aufrecht zu erhalten – denn auf den legen manche Werbekunden wert, die nicht in Pseudo-Pornoheften annoncieren möchten – wird hier und da eine sogenannte "knallharte" politische Reportage eingestreut, die man 2013 aber besser recherchiert und meist auch besser geschrieben in jeder großen und kleinen Tageszeitung finden kann, wo sie dann auch nicht so peinliche Überschriften trägt wie "Geht das Mutti?" ("Der politische Wunschzettel für die nächsten vier Jahre"). Ach ja, alternativ gibt's natürlich noch die diversen Stadtmagazine, die neben ihrem Kalenderteil all das eben Genannte auch bieten, nur in Kurzversion und weniger prätentiös. Zudem gratis, statt wahlweise zwischen 6,50 und 7,95 Euro.
Dem deutschen lesenden Schwulen reicht das, scheinbar. Alle weiteren Infos holt er sich aus dem Netz. Ryan Fitzgibbon aus New York war das dagegen nicht genug, beziehungsweise er fühlte sich als Homo über 30 von der Szenepresse nicht wirklich repräsentiert. Und das, obwohl die Magazinlandschaft im anglo-amerikanischen Raum ja deutlich vielfältiger ist als bei uns. Immerhin gibt's da "Attitude", "Gay Times", "Out" und "The Advocate", um nur die wichtigsten zu nennen. Mit riesigen Redaktionen machen sie umfangreiche Hefte, von denen die deutschen Kleinredaktionen "Du & Ich", "Männer" und "Mate" nur träumen können. Das bestehende Angebot hinderte Fitzgibbon nicht, mit einer Kleinstredaktion ein gänzlich neues und anderes Heft an den Start zu bringen: "hello mr." heißt es und trägt den Untertitel "about men who date men". Es ist ein Heft von 160 Seiten, im Pocket-Format, mit stylishen Fotos, die keine Fleischbeschau sind und nicht mal entfernt als soft-pornografisch durchgehen könnten, vielmehr Blumen, Stadtlandschaften und Tweens in kunstvollen Schnappschüssen zeigen. Dazwischen zirka dreißig Artikel, jeweils drei bis vier Seiten lang, von Autoren, die sich in jeder Ausgabe an einem anderen übergeordneten Thema abarbeiten.
Brillant geschriebene, betont persönliche Artikel
Cover der ersten Ausgabe
In der gerade zirkulierenden zweiten Ausgabe von "hello mr." widmen sie sich dem Aspekt "Trennung" in allen möglichen Ausformungen. Beim Lesen merkt man schnell, dass die Autoren, überwiegend aus den USA und Australien, zwischen 25 und 35 sind und ihr eigenes, meist urbanes Lebensgefühl mitbringen, das sie in brillant geschriebene, betont persönliche Artikel zu verpacken wissen. Besonders großartig fand ich Max Moshers Text "Queer as Friends", der beschreibt, wie ihn die UK-Fernsehserie "Queer as Folk" und die Figur des jungen Nathan als Teenager inspiriert haben – als Rollenmodell. Bis Mosher im Laufe der Jahre lernte, dass die asexuelle Freundschaft zwischen Stuart und Vince in der UK-Serie das viel bessere Modell gewesen wäre, das er zur Vermeidung seines eigenen Beziehungschaos als Tween hätte kopieren sollen. Im Nachhinein bedankt er sich beim Serien-Schöpfer Russell T. Davies dafür, ihm versteckt diese Lebenslehre mitgegeben zu haben, auch wenn es eine Weile gedauert hat, bis Mosher sie verstanden hat.
Natürlich ist asexuelle Freundschaft als Partnerschaftsmodell etwas, was nicht unbedingt neu ist. Aber so explizit ausformuliert findet man es in den meisten "Wie komme ich am besten zum nächsten Fick"-Artikeln bei Männermagzinen nicht. ("Mit mehr Muskeln und Testosteron?", "Mit einer Reise zur richtigen Party-Location?", "Mit der richtigen Dating-App?")
Im Editorial auf der Homepage von "hello mr." schreibt Chefredakteur und Herausgeber (und Kreativdirektor) Ryan Fitzgibbon: "Wir sind ein Magazin über Männer, die Männer daten. [Man beachte: daten, nicht mit ihnen schlafen!, d. Red.] Wir erscheinen zweimal jährlich und spiegeln in jeder Ausgabe das alltägliche Leben und die Geschichten, die dieses Leben definieren: mit Essays, Interviews, Kurzgeschichten, Illustrationen und Fotos. 'hello mr.' ist mehr als nur ein Magazin, es ist eine weltweite Community von Männern, die Material suchen zu Themen, die sie interessieren und mit denen sie neue Gespräche anfangen können über ihre Wertevorstellungen, ihre Hoffnungen und ihre Ängste. Es ist eine schüchterne/zurückhaltende ('coy') Einführung für eine neue Generation, und das ist etwas, womit wir alle letztlich etwas anfangen können."
Vimeo | In einem kurzen Video stellt sich "hello mr." vor
Sexualität nicht als ausschließliches Thema
Das klingt vielleicht ein bisschen hochtrabend. Präpotent sogar, könnte man meinen. Aber das gedruckte Resultat ist durchaus ansehnlich und spannend. Zum einen, weil das Design unaufdringlich ansprechend ist. Vor allem aber, weil die Geschichten, die erzählt werden, sich tatsächlich deutlich absetzen von gängigen Homoheftinhalten: es sind hochindividuelle Reflektionen darüber, was es heißt, heute als Schwuler um die 30 zu sich selbst zu finden, Sexualität eingeschlossen, aber nicht als ausschließliches Thema ("The Men in My Life", "The Breakfast Bachelor"). Manche werden das die "neue Keuschheit" nennen, die in der Gay Community um sich greift, andere werden es erfrischend finden. Ein Leserbriefschreiber namens Daniel aus Newcastle meint: "This magazine has restored my faith in the depth, intelligence and theoretical capacity of queer media." Jordan aus New York City schreibt: "hello mr. is the only gay magazine I've come across that I really enjoy reading. Smart, real, and chic as hell. Coffee tables around the world are hungry for it."
Dieses "smart, real, and chic as hell"-Heft kostet pro Ausgabe stolze 20 Dollar bzw. 18 Euro. Wo man es kaufen kann, auch in Deutschland, erfährt man auf der Website von "hello mr". Ob man sich auf das Konzept von "endearing instead of seductive" ("liebenswert statt verführerisch") einlassen möchte, muss natürlich jeder für sich selbst entscheiden. Die völlige Abwesenheit von offensichtlichen Mode-, Kosmetik- und Reiserubriken fand ich persönlich jedenfalls sympathisch. Die Kurzgeschichten sind angenehm zu lesen und vor allem inhaltlich so, dass ich sie nicht alternativ auch in Tageszeitungen finden könnte. Sie waren etwas Eigenes. Etwas, was es lohnt, separat zu kaufen.
Während die Redaktionsanschrift von "hello mr." eine PO-Box in Brooklyn ist, wird das tatsächliche Heft ausgerechnet in Berlin bei AZ Druck und Datentechnik gedruckt. (So viel zum Thema "internationale" Medienlandschaft.) Vielleicht lässt sich der ein oder andere deutsche Kreative oder Verleger davon inspirieren, bei uns etwas Vergleichbares auf den Markt zu bringen? Eine entsprechende Ergänzung und Erweiterung der hiesigen Presselandschaft wäre sicher vorteilhaft, damit schwules Leben mal ein bisschen umfangreicher reflektiert und hinterfragt wird, als es derzeit geschieht.
Unser Autor Kevin Clarke war von März 2011 bis Januar 2013 Chefredakteur der Zeitschrift "Männer" im Bruno Gmünder Verlag.
Sex sells, wissen wir ja. Wenn es da im Schädel noch mehr gibt, als "ich bin Trieb", wird dieses Format seine Abnehmer finden.
Jetzt bin ich mal gespannt, wie sich das entwickeln wird. Sozusagen als Test, ob "wir" doch nur homogene Klischeemasse sind oder heterogen genug mit Interessenten für anspruchsvolles.