Zwei Titelbilder vom Donnerstag
Der ehemalige Nationalspieler erhält viel Lob von deutschen Medien. Doch viele fragen: Hat sich wirklich viel verändert?
Das Coming-out des Ex-Fußballnationalspielers Thomas Hitzlsperger hat nicht nur zu viel Lob von Vereinen und Verbänden, Spielern und Politikern geführt, sondern auch zu einem gewaltigen Presseecho. Ein paar ausgewählte Stimmen:
Frankfurter Rundschau
Sein Outing ist mutig. Und überfällig. Vielleicht liefert Hitzlsperger den Anfang, um ein ignorant behandeltes Tabuthema in der Männerdomäne aufzubrechen. Die Geheimniskrämerei ist umso unverständlicher, als in Wirtschaft und Politik die sexuelle Orientierung längst kein Verschweige-Thema mehr ist.
Tagesthemen
Video: Kommentar von Esther Schapira, Hessischer Rundfunk
11 Freunde
Es existiert, Stand heute, eine merkwürdige Mischform aus existierenden und fiktiven Zuständen. Da ist einerseits eine ganz reale Schwulenfeindlichkeit, die sich immer wieder Bahn bricht.(…) Daneben gibt es aber auch noch eine lediglich angenommene Realität, die davon ausgeht, dass ein schwuler Profi nach seinem Coming-out Schlimmes zu befürchten hätte, dass er in den Stadien bepöbelt und in der Kabine geschnitten würde. So wird es wohl nicht kommen.
Bild
Bei vielen Fans und Spielern gilt schwul immer noch als weich, schwach und als verpönt. Thomas Hitzlsperger hat als erster prominenter deutscher Fußballer den Mut gehabt, das Tabu zu brechen. Respekt! (…) Werden nach dem Hitzlsperger-Bekenntnis andere, aktive Spieler folgen? Das wäre wünschenswert! Auch Fußballer sollten sich nicht länger verstecken und unter großem psychischen Druck leben müssen. Genauso wenig wie jeder Künstler oder Politiker.
Standard
Homosexualität ist gerade im Fußball immer noch ein Tabu. (…) Es gibt Grund zur Hoffnung, dass es sich zum Besseren wendet – dass dank aufgeklärter Einsicht und mutiger Vorbilder die Homosexualität von Sportlern bald keine Nachricht mehr wert ist. Noch ist es aber nicht so weit. So zu tun, als wäre ein Fußballer-Coming-Out schon heute keine große Sache, entwertet die Courage, die ein Schritt wie jener von Hitzlsperger braucht.
Siegessäule
Thomas Hitzlsperger hat nach seinem Karriereende im Profisport nichts zu verlieren (…) Alle anderen auch nicht. Fürchtet euch nicht! Denn den "Versteckspielern" entgeht etwas. Ein befreites Leben! Wer seine Sexualität leugnet, das belegen diverse Studien, ist weniger leistungsfähiger, weil körperliche wie seelische Ressourcen für die Aufrechterhaltung der (Lebens-)Lüge gebraucht werden.
Tagesspiegel
Ein Idol, eine Legende ist er nie gewesen. Und doch könnte Thomas Hitzlsperger nun eine Ikone werden. (…) Hitzlsperger, das siebte Kind des Landwirts Ludwig Hitzlsperger, geboren in München, wächst in einer kleinen bayerischen Gemeinde auf, natürlich katholisch geprägt. (…) Viele Männer brauchen Jahre, um vor sich selbst einzugestehen, dass ihre sexuelle Orientierung so ist, wie sie ist. Allerdings kann man sich vorstellen, dass diese Erkenntnis für einen Leistungssportler die Sache nicht leichter macht.
Süddeutsche Zeitung
Für einen Profi steht viel Geld auf dem Spiel: Sponsorenverträge wie auch Spielerverträge enthalten oft Klauseln, in denen Prämien und Gelder nur fällig werden, wenn der Profi spielt oder auftritt. Doch würde ein schwuler Fußballprofi in Deutschland noch spielen? Würden ihn die Fans unterstützen, dulden oder niedermachen? Das öffentliche Klima für schwule Fußballer wird sich nur ändern, wenn der Fußball selbst aufhört, Homosexualität weiter an den Rand zu drängen. Dass Thomas Hitzlsperger angefangen hat, das Tabu zu brechen, ist ein bemerkenswerter Schritt, der in Zukunft nichts Besonderes mehr sein sollte.
Weser Kurier
Mario Basler musste es ja wissen. "Es gibt keine schwulen Fußballprofis", behauptete der ehemalige Nationalspieler vor ein paar Jahren in einem Fernsehinterview. Nun ist endlich das Gegenteil bewiesen. (…) Wird somit endlich ein Umfeld geschaffen, in dem sich ein Fußballer bereits während seiner aktiven Karriere offen zu seiner Homosexualität bekennen kann? Bislang ist der Profifußball noch allzu oft in alte Verhaltensmuster zurückgefallen. Etwa nach dem Freitod von Torwart Robert Enke (2009) oder dem Suizidversuch von Schiedsrichter Babak Rafati (2011), als auf viele nachdenkliche Worte früh der Alltag folgte. Es wäre daher naiv zu glauben, dass dieses Coming-out nun zu einem kollektiven Umdenken in der Branche führen wird. Bestimmt aber ist es ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Spiegel Online
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Auch die "Bild" lobte den "Mut" des Fußballers
Nürnberger Zeitung
Obwohl seit Jahren bekennende Homosexuelle in Parlamenten und Regierungen sitzen, ist das Thema immer noch ein gesellschaftliches Tabu. Da reden sich Außenstehende leicht, die in den seltensten Fällen miterlebt haben, welche Last auf die Schultern von Lesben und Schwulen drückt, vor und nach dem Outing. (…) Nachdenken sollte auch jeder über sich und sein Umfeld: Wer nicht verbal einschreitet, wenn im Jugendjargon Anderssein gedankenlos als "schwul" beschimpft wird, konterkariert das Bemühen, Homophobie zu bekämpfen.
David Berger bei Telepolis/Heise
Ein Coming-out, das nicht aus sicherem Abstand vom Feld der sportlichen Bewährung und des damit verbundenen monetären Gewinns erfolgt, könnte zeigen: Nicht obwohl, sondern gerade weil ein solcher Sportler offen und ehrlich zu seinem Schwulsein steht, kann er ein guter Fußballer sein. Ein solches risikobehaftetes Sich-Nach-Vorne-Wagen würde echten Kampfes- und Siegeswillen sowie Leidenschaft, wahrhafte Größe und im positiven Sinne echte Männlichkeit offenbaren.
Deutsche Welle
Im gewaltigen medialen Nachhall des Hitzlsperger-Coming-outs bietet sich die Chance, die Dinge zu verändern. (…) Es gilt all jene Horror-Szenarien zu widerlegen, dass ein bekennender schwuler Bundesligaspieler innerhalb kürzester Zeit seinen Job verliere. Dies ist aber nicht die Aufgabe eines einzelnen aktiven Profikickers. Dies ist eine gesellschaftliche Aufgabe der Fußballwelt und der Medien. Das Umfeld muss nun ebenso Farbe bekennen, wie es Thomas Hitzlsperger getan hat. Die Fans auf den Stehplatztribünen sollten das Mitsingen stupider homophober Gesänge verweigern, stattdessen Zeichen setzen mit ermunternden Plakaten und Choreografien. Die Verantwortlichen sollten ermutigen statt zu warnen. Und die Journalisten sollten hysterische Reflexe vermeiden, nun wild über kommende Coming-outs zu spekulieren.
Nordkurier
Thomas Hitzlsperger ist 31 Jahre alt – und sein Leben beginnt erst jetzt. Welche Qualen, Heimlichtuereien, Spielereien, inneren Kämpfe, Gewissensbisse muss er all die Zeit durchgestanden haben, weil nicht sein kann, was nicht sein darf? Zumindest nicht in der von Testosteron und Schweiß geschwängerten, angeblich so harten Fußballwelt. Bei einigen öffentlichen Anlässen präsentierte er sich mit vermeintlichen Freundinnen. 2007 trennte er sich sogar kurz vor dem Hochzeitstermin von seiner damaligen Partnerin. Was ist das – bitteschön – für ein verlogenes Leben? Nein, es ist keins. Es ist ein Schauspiel, um den Schein zu wahren.
Wetzlarer Neue Zeitung
Wir prangern gerne andere Kulturen dafür an, dass sie Homosexualität verurteilen. (…) Ob nun die deutsche Gesellschaft respektive ein Bundesliga-Stadion rücksichtsvoll und vor allem intelligent genug sind, einen Aktiven, der sich outet, nicht anzufeinden? Es ist gut, dass "Hitz" viele Schulterklopfer aus der Riege der Funktionäre, der Politik und von einstigen Weggefährten wie Lukas Podolski oder Arne Friedrich bekommt. Doch der Kampf gegen Homophobie im Fußball ist erst gewonnen, wenn sich der erste Aktive outet und sich kein Stadionbesucher zu einer tumben Bemerkung hinreißen lässt. Wie lange dieser Weg sein kann, zeigt die Debatte um Rassismus im Fußball.
Stuttgarter Zeitung
Das Klima hat sich merklich verbessert, aber es ist wohl noch immer nicht so, dass einem aktiven Kicker zu einem Coming-out geraten wird. Thomas Hitzlsperger hat dies zumindest so empfunden, wie er sagte, und wartete sein Karriereende ab. Traurig, aber wahr. Die vielen Respektbezeugungen dürfen über eines nämlich nicht hinwegtäuschen: Homophobe Einstellungen werden heute zwar kaum mehr in den Stadien oder außerhalb öffentlich ausgelebt, aber sie sind noch immer weit verbreitet – unterschwellig und hinter vorgehaltener Hand.
Mannheimer Morgen
Weil Fußballstars die nachwachsende Generation stark beeinflussen, ist Hitzlspergers Offenheit nicht hoch genug einzuschätzen. Dennoch liegt es in erster Linie nicht an den Sportlern, ihr Innerstes nach außen zu kehren, sondern an der Gesellschaft, in dieser äußerst intimen Frage Toleranz zu zeigen. Damit Sportler nicht länger mit der schwierigen Entscheidung ringen müssen, sich beleidigenden Spottgesängen gegnerischer Fans auszusetzen oder ihr wahres Ich zu unterdrücken. Und damit Outing irgendwann einmal kein Thema mehr ist.
Westdeutsche Zeitung
Aufgabe von Trainern, Mannschaftskameraden und auch von Fußballfans ist es nun, die Realität anzuerkennen. Homosexualität ist kein Lebensentwurf, ist keine Frage von Überzeugung oder Haltung. Homosexualität ist eine Veranlagung. Sie ist bei manchen Menschen vorhanden, bei den meisten nicht. Manchen, besonders im Profifußball, fällt es schwer, damit zu leben.
Berliner Morgenpost
Damit Hitzlspergers Outing nicht verpufft, braucht es prominente Unterstützer. Schwule Fußball-Profis müssen ermutigt und nicht davor gewarnt werden, sich zu outen. Wer die Gefahren und nicht die Chancen eines Outings hervorhebt, beugt sich vor den Gestrigen. Hitzlsperger hat den ersten Schritt gewagt – nun gilt es, den zweiten zu tun.
Extra 3
Blog Spektrallinie
Das Outing an sich ist ein mutiger, bewundernswerter Akt. Aber es hat auch seine Schattenseiten. (…) Solange wir uns outen müssen, sind wir nicht frei und selbstbestimmt. Aber, und dieser Widerspruch löst sich nur langsam auf, jedes Outing hält der Gesellschaft den Spiegel vor, in dem es sie mit ihren eigenen Vorannahmen und Vorurteilen konfrontiert. Jedes Outing fordert die Annahme, homosexuelle Menschen seien anders, heraus. Denn Sichtbarkeit, und eben auch nach außen getragenes Selbstbewusstsein gibt uns ein Stück Deutungshoheit über uns zurück.
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Von einem großen Klimawandel innerhalb der Fußballszene, der es möglich machte, dass auch dort jeder so sein kann, wie er will, ist nicht viel zu spüren. Die Sorge um die eigene Karriere geht noch immer so weit, dass selbst schwule Spieler mitunter nichts voneinander wissen oder wissen wollen.
Eßlinger Zeitung
Ein aktiver Fußballprofi riskiert mit einem Coming-out seine Karriere. Dass das so ist, ist ein Skandal, aber leider der aktuelle Stand der Dinge. Darum ist es unwahrscheinlich, dass sich schon bald erstmals ein aktiver Fußballprofi zu einem Coming-out entschließt. Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis das passiert. Aber es ist angesichts der Welle der Solidarität, die Hitzlsperger nun erfährt, zumindest wahrscheinlich, dass weitere Ex-Spieler seinem Beispiel folgen werden – und das wäre wenigstens ein kleiner Durchbruch.
Allgemeine Zeitung Mainz
Ein schwuler Bundeskanzler oder eine lesbische Bundespräsidentin sind vorstellbar. Ein schwuler Kapitän der Männernationalmannschaft bislang nicht, zumindest nicht im Bewusstsein der meisten, die sich Fans nennen. "Wir leben im Großen und Ganzen im Respekt voreinander, unabhängig davon, ob der Mitmensch Männer oder Frauen liebt", sagt Regierungssprecher Seibert. Eben: "Im Großen und Ganzen". Aber es gibt Details in Deutschland – auch in anderen Ländern der Welt – da herrscht die blanke Intoleranz. Und im Männerfußball gibt es, alles in allem, Null Toleranz gegenüber Schwulen. Da bricht nicht in allen, aber in sehr vielen, für die ihre Existenz als Fußballfan ein sehr wichtiger Teil ihrer gesamten Existenz ist, zeitweise etwas Neandertalerhaftes durch.
Neue Ruhr Zeitung / Neue Rhein Zeitung
Anders als in der Politik, wo ein Klaus Wowereit viel Sympathie gewinnt, weil er locker genug ist, um mit seiner Homosexualität zu kokettieren, bleibt es für jeden aktiven Sportler ein Wagnis, sich öffentlich zu bekennen. Die Fans auf den Tribünen sind nicht zimperlich: Schmähgesänge und Beschimpfungen sind leider alltäglich, und man muss als Mensch schon hartgesotten sein, um tumbe Anfeindungen ignorieren und weiterhin Hochleistung bringen zu können. So ist nach wie vor die traurige Wirklichkeit im Fußball, weshalb es sich noch verbietet, aktiven Sportlern zu raten, dem Beispiel von Thomas Hitzlsperger zu folgen. Aber zumindest gibt es jetzt jemanden, der vorangegangen ist, der sich verdient gemacht hat.