Endlich mal ein schön bunter Hintergrund bei Maybrit Illner (Bild: Screenshot ZDF)
In Abwesenheit von Thomas Hitzlsperger fragte die ZDF-Talkshow am Donnerstag, warum sich eigentlich nicht mehr schwule Fußballer outen.
Von Dennis Klein
Eigentlich wollte Maybrit Illner in ihrer ersten Sendung des Jahres über Armutszuwanderung mit dem bayerischen Innenminister und dem grünen Parteichef diskutieren. Das Coming-out des Ex-Nationalspielers Thomas Hitzlsperger schmiss die Planung durcheinander. Schließlich änderte die Redaktion keine 24 Stunden vor der Ausstrahlung das Thema. Die Debatte stand unter der Headline: "Hitzlsperger bricht ein Tabu – wie tolerant ist der Fußball?".
Beim Thema Zuwanderung wären wohl weit mehr Fetzen geflogen. Es gab dieses Mal – wie bei vorherigen Homo-Themen in deutschen Talkshows – auch keinen homofeindlichen Teilnehmer à la Erika Steinbach, die bei "Anne Will" vor einem halben Jahr noch ihr Unbehagen über Schwulitäten zum Maßstab aller Dinge erheben durfte (queer.de berichtete). Stattdessen beklagten sich fünf Männer meist im Einklang darüber, dass homosexuelle Sportler im Jahr 2014 immer noch etwas Außergewöhnliches sind.
Mit Klaus Wowereit hatte Illner den Politiker mit dem Meister-Coming-out eingeladen, außerdem durfte der frühere DDR-Jugendnationalspieler Marcus Urban beschreiben, warum er seine Karriere aus Angst vor Homophobie beendet hatte. Außerdem debattierten Michael Vesper, der Generalsekretär des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Willy Lemke, der Aufsichtsratschef von Werder Bremen, und der frühere Fußball-Kommentator Manni Breuckmann.
Schwindelgefühle bei Urban
Marcus Urban freut sich darüber, dass sich im Sport etwas tut (Bild: Screenshot ZDF)
Die Aussagen Hitzlpergers wurden von den Gästen einstimmig begrüßt. Geradezu ekstatisch reagierte Marcus Urban in der Sendung auf das Coming-out. Er habe sich erst einmal hinsetzen müssen, als er davon erfahren habe. Erst in ein paar Jahren hätte er mit einem solchen Schritt gerechnet.
Für das lange Warten machte Manni Breuckmann ein "hochneurotisches Verhältnis zur Homosexualität" innerhalb der Gesellschaft verantwortlich. Wie sei es sonst zu erklären, dass der deutsche Regierungssprecher die sexuelle Orientierung eines Ex-Nationalspielers kommentiert? Der Journalist empfiehlt deshalb ein Massen-Coming-out in der Sommerpause. Mehrere Spieler sollten eine Pressekonferenz geben, zwei Wochen durch alle Talkshows tingeln und dann sei das Problem schon halb erledigt. Willy Lemke hoffte, dass Hitzlsperger als "Eisbrecher" diene.
Doch worin liegt das Problem am fehlendem Mut zum Coming-out? Breuckmann ist sich sicher, dass der Druck der Fans die Lage für Schwule im Profifußball noch "eine Spur aggressiver" mache als in der Durchschnittsgesellschaft. "Das ist die Gruppe von Fans, die beispielsweise ein rosa Shirt des Bremer Torhüters Tim Wiese zum Anlass für wüsteste Beschimpfungen genommen hat". Bei einem schwulen Fußballer könne das noch schlimmere Ausmaße annehmen, insbesondere wenn dieser einen schlechten Tag habe. Urban schränkte allerdings ein, dass es ähnliche traditionelle Männerbünde auch in anderen Bereichen gebe, in denen Homophobie ebenfalls weit verbreitet ist. Als Beispiel nannte er die Kirche, das Militär, die Polizei und das Handwerk.
Homo-Aufklärung muss bei Kindern anfangen
Michael Vesper war für die Grünen der stellvertretende Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, bevor er 2006 zum Generaldirektor des DOSB ernannt wurde (Bild: Screenshot ZDF)
Wiederholt betonten die Teilnehmer, dass die Aufklärung über Homosexualität bereits im frühen Alter anfangen müsse – interessanterweise zur gleichen Zeit, in der zehntausende Menschen eine Petition unterschreiben, die vor Homo-"Propaganda" in baden-württembergischen Schulen warnt (queer.de berichtete). Lemke beklagte etwa: "Ich hab nie in der Schule oder im Konfirmandenunterricht etwas über Schwule oder Homosexuelle erfahren."
Auch Bürgermeister Wowereit sprach von einer "unglaublichen Homophobie" an deutschen Schulen – und zitierte Studien, nach denen homophobe Schimpfwörter unter Jugendlichen zum Alltag gehören. Urban brachte außerdem Beispiele für die unterschwellige Homophobie von Mitspielern: So sei die erste Frage eines ehemaligen Fußballerkollegen an Urban nach dessen Coming-out gewesen, ob er unter der Dusche seine Mitspieler begafft habe – als ob der gemeine Schwule Tag und Nacht nur an Sex denkt.
Urban wehrte sich auch gegen die typischen Abwehrreflexe in der Mehrheitsgesellschaft, die nach zwei Tagen Hitzlsperger-Berichterstattung bereits auf Blogs beklagen, dass inzwischen nur noch über Homosexualität in den deutschen Medien geschrieben werde. Das Problem liege vielmehr darin, dass viele Heterosexuelle nach wie vor Schwule und Lesben als andersartig ansehen würden. So sagte Urban rhetorisch zur Moderatorin: "Wenn Sie mir erzählen, dass Sie mit Ihrem Mann morgen ins Kino gehen, dann sag ich auch nicht: Jetzt sagen Sie mir nicht, dass Sie heterosexuell sind."
Am Ende der Talkshow wurde noch kurz über einen Boykott der Olympischen Winterspiele in Sotschi diskutiert, den DOSB-Vertreter Michael Vesper mit (einem ernstgemeinten) Verweis auf Willy Brandt ablehnt: "Die ganze Ostpolitik hätte nach dem Prinzip gar nicht stattfinden können", argumentierte der frühere NRW-Vizeministerpräsident. Er bezeichnete sich als "Hingeher", nicht als "Abgrenzer". Vereinsfunktionär Willy Lemke pflichtete ihm bei: "Was ist mit Veranstaltungen in den Vereinigten Staaten, solange Häftlinge in Guatanamo gefoltert werden?", fragte er und gab gleich die Antwort: Natürlich müsse man hin. Breuckmann gab hier so etwas wie einen soften Gegenpart: Er erklärte, man solle das repressive Regime Putins nicht mit seiner Gegenwart adeln. Immerhin – und hier waren sich alle einig – ist es gut, dass man jetzt über alles spreche.
www.faz.net/aktuell/politik/inland/baden-wuerttemberg-kirche
n-gegen-homosexualitaet-als-unterrichtsthema-12745678.html