In einer Videobotschaft sprach Thomas Hitzlsperger über sein Schwulsein, doch von Fußballfunktionären wird Diskriminierung noch immer akzeptiert (Bild: Youtube)
Tagelang beherrschte das Coming-out von Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger die Schlagzeilen. Der erste Hype ist abgeklungen. Was bleibt?
Von Dirk Leibfried und Andreas Erb
Wie war das noch im Jahr 2011? Nachdem es auch in der Öffentlichkeit schick wurde, über die Homosexualität der deutschen Nationalspieler zu spekulieren, wollte DFB-Teammanager Oliver Bierhoff ein Zeichen setzen: "Das sehe ich immer auch als einen Angriff auf meine Familie – die Familie der Nationalmannschaft." Damit jonglierte erstmals ein ranghoher Fußballfunktionär mit der Homophobie im Fußball. Reichlich ungeschickt, denn gut zwei Jahre später rudert Bierhoff zurück: "Das verdient Anerkennung und Respekt", kommentiert er das Coming-out des früheren Nationalspielers Thomas Hitzlsperger heute.
Scheinheiligkeit hat in diesen Tagen Hochkonjunktur. Denn neben Bierhoff wirbt auch Nationaltrainer Joachim Löw plötzlich "bei uns allen für einen entspannteren Umgang mit der Thematik". Ausgerechnet Löw, der in seiner Vorbildfunktion als Bundestrainer das Thema in den vergangenen Jahren völlig ausgeblendet und tabuisiert hat. Vielleicht auch, weil ihm selbst immer mal wieder Homosexualität nachgesagt wird. So versuchte er dann im April 2011 im Interview mit der "Welt", genau diese Gerüchte ins Lächerliche zu ziehen. Auf die Frage nach seiner Homosexualität antwortete er: "Ich habe das auch schon gehört. Was soll ich dazu sagen? Es ist wie mit dem Toupet. Auch das stimmt nicht. Fragen Sie gerne meine Frau."
Der DFB scheint macht- und hilflos
Dirk A. Leibfried und Andreas Erb sind Autoren des Buches "Das Schweigen der Männer – Homosexualität im deutschen Fußball", das im August 2011 im Verlag Die Werkstatt erschienen ist.
Ungeschickt? Oder doch homophob? Sowohl Bierhoff als auch Löw haben mit ihren grotesken Aussagen die Vorstellung befeuert, Schwulsein sei ein Makel und passe nicht in die Fußballwelt. Ob sich dieser Geist innerhalb des Männerbundes nach Hitzlspergers Klarstellung wirklich nachhaltig verändert? Wohl kaum. Denn Diskriminierung wird akzeptiert, zumindest scheint der Deutsche Fußball-Bund (DFB) macht- und hilflos. Trotz Hitzlspergers Coming-out. DFB-Präsident Wolfgang Niersbach bleibt skeptisch: "Man weiß nie, wie das große Publikum in den Stadien vor allem bei Auswärtsspielen reagiert. Das ist die große Unbekannte." Der DFB knickt bereits ein, noch bevor das erste Coming-out eines aktiven Profis überhaupt in Sicht ist.
Die Angst vor dem Ungewissen ist allgegenwärtig. Für Hitzlsperger mag das Risiko kalkulierbar sein, seine aktive Fußballkarriere ist längst beendet. Er bewirbt sich nicht mehr um einen neuen Kontrakt, die Stimmung in den Stadien ist ihm egal. Die Reaktionen auf sein Coming-out zeigen aber in entwaffnender Naivität, dass der deutsche Fußball zwar das angeblich so Normale "anerkennt und respektiert", aber diese Normalität, bitteschön, doch nicht übertrieben werden sollte. Schließlich gibt es da noch den unbarmherzigen Fußballfan in der Kurve, der jedem, der "anders" ist, das Leben zur Hölle macht. Die Fans als Alibi für rückständige Fußballfunktionäre.
Wer weiß wirklich, wie die Fans auf das Coming-out eines aktiven Fußballprofis reagieren? Werden hier bewusst Ängste geschürt, um das Thema wegzuschieben und das Tabu nicht weiter aufzuweichen? Vielleicht haben die mächtigen Fußballbosse selbst ja Angst vor allzu viel Diversity und Liberalität in den Stadien. Der Fußball von heute hat längst nichts mehr mit den archaischen Gladiatorenkämpfen des vergangenen Jahrhunderts zu tun. Viele Fans denken mittlerweile progressiver, fortschrittlicher und toleranter als manch einer, der den Fußball in unserer Gesellschaft eigentlich managen sollte.
Der Sport wird verwaltet, aber nicht gesellschaftlich gestaltet
Der DFB veröffentlichte eine peinliche Hochglanzbroschüre – und glänzt sonst mit Tatenlosigkeit
Gerade beim Umgang mit Homosexualität übertreffen sich der DFB und seine Landesverbände mit Tatenlosigkeit. Die Initiativen des früheren DFB-Präsidenten Theo Zwanziger liegen längst in der Schublade. Nachfolger Niersbach setzt andere Prioritäten. Dabei wäre es so einfach, entsprechende Schritte einzuleiten, die tatsächlich an der Basis ankommen.
Noch heute wird der "schwule Pass" oder die "Schwuchtel" auf dem Spielfeld so gut wie nicht sanktioniert. Warum werden die rund 80.000 Schiedsrichter in Deutschland nicht für dieses Thema sensibilisiert? Statt einer peinlichen Hochglanzbroschüre, in der Profis allen Ernstes geraten wird, sich doch bitte erst nach dem Saisonende zu bekennen, sollte vielmehr ein Augenmerk auf die Ausbildung der Übungsleiter und Jugendtrainer gelegt werden. Vom DFB und seinen Landesverbänden gibt es – bis auf einzelne Initiativen in den Fußballverbänden Berlin und Mittelrhein – außer gut gemeinten Bekenntnissen hier keine greifbaren Maßnahmen. Der Sport wird verwaltet, aber nicht gesellschaftlich gestaltet.
Es gibt noch jede Menge zu tun. Hitzlsperger hat den Anfang gemacht. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Es ist der erste Schritt zu der Erkenntnis, dass schwule Spieler auch zur Familie gehören.
Ich hoffe, das bleibt jetzt kein Einzelfall.
Thomas Hitzlsperger hat seinen Kollegen einen Traumpass zugespielt - den müssen sie jetzt nur noch verwandeln...
Die wollen ihn, der für sie den Boden bereitet hat, doch wohl jetzt nicht alleine stehen lassen...