Die Manif-pour-Tous-Bewegung mobilisierte in Frankreich die Massen, am letzten Samstag gab es nun auch einen größeren Protest der italienischen Version in Rom - gegen ein Gesetz gegen Hassverbrechen. An diesem Sonntag will man wieder auf die Straße. In Deutschland gab es bislang nur belächelte Mini-Demos der Bewegung in Düsseldorf und München. Aber was, wenn jemand zu einer Demo gegen den Bildungsplan in Stuttgart aufruft?
Die Petition gegen Aufklärung über Homosexualität in Schulen war erst der Anfang. Eine Demo in Köln, eine Petition gegen eine Werbeaktion in München und vor allem ein Kampf um europäische Richtlinien: Die Gegner der Gleichstellung Homosexueller werden lauter.
Von Norbert Blech
Eigentlich war das ein guter Jahreswechsel für Schwule und Lesben: Der erste deutsche Profi-Fußballer outete sich, inmitten regelrechter Coming-out-Wochen. Die mediale Aufbereitung war zwar nicht immer gelungen, aber letztlich doch überwiegend wohlwollend.
Doch zeitgleich wuchs eine Petition gegen einen Bildungsplan in Baden-Württemberg an, der lediglich das überfällige Ziel hat, Schüler über Homosexualität aufzuklären und Vorurteile abzubauen. In den Kommentaren zur Petition und einigen Medienberichten wurden LGBT wieder mit längst überwunden geglaubten Vorurteilen konfrontiert, in einer unerwarteten Masse und einer neuen Allianz aus Rechten und Religiösen. Kippt die Stimmung, drohen gar Massenproteste gegen Homosexuellenrechte wie in Frankreich?
Zunächst, das zeigt die bundesweit die Gesellschaft spaltende Petition, könnte inzwischen noch der kleinste politische Vorstoß eine homophobe Diskussion entflammen, die in ihrer Eigendynamik kaum aufzuhalten ist. Zwar ist diesbezüglich von der Bundesregierung nicht wirklich etwas zu erwarten, sie muss aber im Frühjahr das Urteil zur Sukzessivadoption in Lebenspartnerschaften umsetzen. Bereits da könnte es den üblichen Streit in der Koalition geben, samt schrillen Äußerungen aus der Union und Rechtsaußen-Politikern in Talkshows. Ein solcher Streit droht ansonsten, wenn Karlsruhe später im Jahr allgemein zum Adoptionsrecht urteilt oder die Opposition durch eigene Gesetzesanträge für viel Wirbel sorgt, womit vor allem in der CSD-Saison zu rechnen ist.
Außerhalb der Politik gibt es zunächst die notorisch bekannten Homo-Gegner ohne wirklichen Einfluss. Mathias von Gersdorff etwa, der mit seiner "Deutschen Vereinigung für eine christliche Kultur" und der Aktion "Kinder in Gefahr" derzeit in einer Petition eine Entlassung von SPD-Familienministerin Manuela Schwesig fordert, weil diese sich an den "abstrusen Vorstellungen der Homo-Lobby" orientiere.
Beschränkte Welten
An diesem Samstag wird in Köln demonstriert – Homophobie spielt dabei eine natürliche Rolle
Mehr Sorgen sollte man sich schon über Hedwig von Beverfoerde machen, die vom evangelikalen Medium "Idea" gerade als "politische Christin des Jahres" ausgezeichnet wurde und gerne mal ins öffentlich-rechtliche Fernsehen eingeladen wird – als Sprecherin der "Initiative Familienschutz", obwohl unklar ist, wieviele Anhänger diese überhaupt hat. Zu dem Bildungsplan in Baden-Württemberg sagte sie: "Das rot-grüne Vorhaben, zehn- und elfjährige Kinder unter Ausnutzung der Schulpflicht in alle Spielarten sexueller Betätigung einzuführen, ist ein Übergriff auf die psychische und sittliche Integrität der Kinder." Zusammen mit einer unterstellten Ignorierung von Elternrechten trage das "deutlich totalitäre Züge. Da wird Widerstand zur ersten Bürgerpflicht."
Gemeinsam mit dem verbundenen Portal "Freie Welt" hatte die Initiative bereits vor drei Jahren in Berlin gegen Schulaufklärung über Homosexualität Front gemacht (queer.de berichtete). Die Seite, auf der auch die ebenfalls gerne ins Fernsehen geladene Gleichstellungsgegnerin Birgit Kelle regelmäßig schreibt, macht derzeit in vielen Berichten Front gegen den Bildungsplan oder, in einem Kommentar zum Coming-out von Thomas Hitzlsperger, gegen die "Zulassung" von Homosexualität (auch Mord sei etwa natürlich, aber werde nicht akzeptiert). Die Redaktion selbst schrieb zum Bildungsplan: "Kretschmann akzeptiert Pädophile".
Herausgegeben wird das Online-Magazin vom Ehemann der AfD-Politikerin Beatrix von Storch, die im Wahlkampf um ein Mandat in Berlin auch mit Homophobie kämpfte (queer.de berichtete). Derzeit werben "Familienschutz"-Initiative und "Freie Welt" sowie diverse weitere Seiten für eine Demonstration, die an diesem Samstag unter dem Titel "Stoppt den Sexualerziehungszwang in Grundschulen" in Köln stattfinden soll. Der Ausrichter ist unklar; Sexualerziehung setze bereits im Kindergarten ein, wird allerdings in dem Aufruf kritisiert. Als "ideologische Stoßrichtung" wird eine Sexualaufklärung "hin zu unterschiedsloser Akzeptanz aller sexuellen Spielarten" kritisiert, die zur "Abwertung von Ehe, Treue und Lebensschutz" führe.
Emotionale Aufwiegelung
Man merkt: Mit Fakten nehmen es diese Gleichstellungsgegner nicht so genau, dafür wiegeln sie die Debatte emotional auf. Frankreich ist da ein Vorbild, wo sich die Massendemos gegen die Ehe-Öffnung vor allem gegen das damit verbundene Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare richteten (wer sich in die "Logik" einlesen möchte: nach dem Auftritt bei der "Compact"-Konferenz in Leipzig hat nun "The European" der dreisten Aktivistin Beatrice Bourges Platz für ihre Thesen eingeräumt, wie übrigens auch für Gabriele Kuby, der Mutter aller Aufklärungskritiker).
Auch die Petition in Baden-Württemberg spielt geschickt mit Vorurteilen über Homosexuelle und Kinder – dass diese Zündelei funktioniert, zeigen die tausenden Kommentare auf der Petitionsseite. Das auf nichts gründende Unbehagen, Kinder könnten durch "Propaganda" bzw. "Ideologie" schwul oder lesbisch werden, ist nicht nur in Russland vertreten.
"Ich habe nichts gegen Schwule, aber…" – diese Haltung ist nach wie vor weit verbreitet. Noch immer kennen viele Deutsche, gerade außerhalb der Großstädte, homosexuelle Männer höchstens als den Dorffrisör, als schrille DSDS-Boytunte, als einsames "Tatort"-Mordopfer und als Kinderschänder aus den Boulevardmedien. Das führt dazu, dass man Homosexuellen vielleicht die Heirat gönnt, ansonsten aber seine Distanz und Vorurteile behält. Das mag ein kurz greifendes Klischeebild über Klischeebilder sein, aber die tausenden Kommentare auf openPetition sind dafür ein erschreckender Beleg. Hier brauchte es offenbar nicht viel, um zum Unterschreiben der Petition zu ermuntern.
Die Medien und der Druck von Rechts
In Frankreich war der Protest auch Ausdruck eines allgemeineren Unzufriedenseins des konservativeren Bevölkerungsteils mit der sozialistischen Regierung. Auch in Deutschland wird der Kampf gegen Homosexuellenrechte mit diesem Unbehagen vor vermeintlich linker Politik unterfüttert: Die Petition in Baden-Württemberg hatte im Dezember klein angefangen, es gab damals nur vereinzelte Meldungen auf evangelikalen und katholischen Seiten, auch queer.de warnte früh davor. Dann aber schmiss sich "Politically Incorrect" mitsamt der gerne in allen Internetecken kommentierenden und Beschwerden an Medien schreibenden Leserschaft auf den Zug und die Petition wuchs steil an, nicht nur von Rechts, aber auch von gezielt durch Rechts verunsicherten Bürgern.
Das hatte es in Deutschland so noch nicht gegeben – mit verheerenden Folgen: Medien sind schnell verunsichert, wenn größere Teile der Bevölkerung plötzlich einen Umschwung zeigen. Was eben noch als Rassismus gebrandmarkt wurde, war zum Höhepunkt des Sarrazin-Bucherfolgs etwa eine legitime Meinung, die man in "Pro&Contra"-Talkshows oder Straßenumfragen ohne eigene Haltung präsentierte.
So nun auch hier: Medien, die eben noch das "Propaganda"-Gesetz in Russland kritisierten, fuhren die Kritik bei der gleichen Problematik vor der eigenen Haustür zurück: Der SWR entfernte Bemerkungen über den extremen Hintergrund der Petition, ZDF-Moderator Claus Kleber stellte in Frage, ob Hetero- und Homosexualität gleichwertig sind, das Magazin "Cicero" fand, Schwulen käme eine zu große Aufmerksamkeit zuteil, und urteilte, Petitionsunterzeichner seien gar nicht homophob. Derweil fanden weder die Kirchen noch die CDU zu einer überzeugenden Distanz von der Petition (man beachte das Gestammele von CDU-Fraktionschef Peter Hauk in einem immerhin kritischen SWR-Interview). Zuletzt befürwortete die AfD in Baden-Württemberg, seit Samstag auch der Bundesverband die Petition ausdrücklich, die populistische Partei könnte diese Richtung noch ausbauen.
Der Kampf in Europa
Mit der Pädophilie-Lüge geht der Kampf der Gleichstellungsgegner in die nächste Runde
Religiöse und politische Extremisten haben in Baden-Württemberg also in einer ungewohnten Allianz die Massen, die Mitte der Gesellschaft mobilisiert, und die bange Frage ist, ob das erst der erste Schritt war. "Politically Incorrect" hatte bereits im letzten Jahr mit einer Kampagne gegen die "pädophilen" Grünen viel Zuspruch unter den Anhängern erzielt und sich im Zuge zunehmend in kreuz.net-artiger Freude homophob positioniert. Die Leser, die sich in ihrer "Man wird doch wohl noch hetzen dürfen"-Stimmung gegenseitig übertreffen, weisen bereits auf einen nächsten möglichen Mobilisierungskampf hin – diesmal in der europäischen Politik.
Dort hatte es bereits im Dezember einen von der Öffentlichkeit und der Szene fast unbemerkten Rückschlag gegeben, als ein nach der portugiesischen Abgeordneten Edite Estrela benannter Bericht im Europaparlament gescheitert war (queer.de berichtete). Er hätte die Mitgliedsstaaten unverbindlich aufgefordert, sichere und legale Abtreibungsmöglichkeiten zu bieten sowie ausführliche Aufklärung über Sexualität und sexuelle Vielfalt zu betreiben.
Das Parlament stimmte stattdessen für einen auch von CDU/CSU unterstützten und verteidigten Entwurf der Europäischen Volkspartei, der die EU auffordert, sich nicht in die Kompetenzen der Mitgliedsstaaten einzumischen. "Eine Mehrheit der Europaabgeordneten stimmte gegen den umstrittenen Estrela-Bericht, der neben dem europaweiten Recht auf Abtreibung auch einen Sexualkundeunterricht bereits in der Grundschule vorsah", freuten sich etwa die Abgeordneten Christa Klaß (CDU) und Angelika Niebler (CSU) über das Scheitern – und nahmen es dabei mit der Wahrheit nicht sehr genau.
Kampf gegen Anti-Diskriminierung
Neben konservativen Parteien hatten auch Kirchen und christliche Portale gegen den Bericht Stimmung gemacht. "Freie Welt" und von Beverfoerde berichteten selbst von vor Ort und freuten sich in dieser Woche, dass ein weiterer Anlauf zum Estrela-Bericht im Parlament scheiterte.
Beverfoerde führte das auf zahlreiche Protest-Emails zurück sowie auf Petionen auf der europaweiten Plattform CitizenGO. In der deutschen Fassung bedankten sich dort auch 647 Bürger bei Kroatien für das Verbot der Homo-Ehe, über 1.500 Personen haben eine Petition unterschrieben, die eine Werbeaktion der Stadt München für den Rabatt-Familenpass kritisiert, weil sie Regenbogenfamilien zeigt. Die Stadt solle diese "Provokation" zurücknehmen, da sich heterosexuelle Eltern diskriminiert fühlten.
Doch der eigentliche Kampf steht offenbar noch bevor. Mitten im Europa-Wahlkampf wird die österreichische Grünen-Politikerin Ulrike Lunacek einen Bericht zur Abstimmung vorlegen über "den Fahrplan zur Bekämpfung von Homophobie und Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität". Empfohlen wird ein umfassender Maßnahmenkatalog in den Bereichen Arbeitsplatz und Bildungs- und Gesundheitswesen. Leitlinien für eine europaweite Anerkennung und Freizügigkeit von homosexuellen Lebenspartnerschaften und Ehen werden gefordert ebenso wie ein scharfes Vorgehen gegen Hassreden und -kriminalität, eine Durchsetzung der Versammlungs- und Meinungsfreiheit von LGBT sowie Verbesserungen in Asylfragen.
Lunacek wolle damit "Sonderwünsche einer empirisch nicht messbaren, aber lautstarken und in Politik und Medien gut vernetzten Minderheit von Schwulen und Lesben gegen die Interessen der Allgemeinheit durchzusetzen", ätzt von Beverfoerde in einer klaren Kampfansage. Lunacek wird unterstellt, auch für Pädophilie kämpfen zu wollen. Von "Privilegien" für die "Homo-Lobby" wird gesprochen, dabei würden die eigentlichen Hassverbechen von Homosexuellen ausgehen: Von Beverfoerde behauptet ernsthaft, "häufig" gebe es "verbale oder tätliche Attacken gegen Gebäude oder Amtsträger der katholischen Kirche".
Behauptungen wie diese geistern schon wie wild durch etliche rechte Foren, auch dank des Deutschlandfunks, wo der Moderator Jürgen Liminski in seiner Sendung eine Art deutsches Fox News betreibt, wenn es um Homo-Rechte geht. Wird sich hier wieder eine große Allianz zusammenfinden? Dabei blockiert Deutschland ohnehin seit Jahren Fortschritte in der europäischen Antidiskriminierungspolitik.
Wie dagegen ankämpfen?
Was heißt das nun für 2014? Wachsamer sein, Anfängen effektiver wehren. Die Empörung über die evangelikale Ecke samt ihrer Homo-"Heilungs"-Abteilung müsste zunehmen, zu Resultaten führen. Anders als kreuz.net wird man "PI", das zum gefährlichen Zusammenführer und Verstärker der homophoben Strömungen werden kann, nicht so einfach "stoppen" können.
Umso wichtiger wird es für alle demokratischen Medien und Parteien sein, diesen Ideologien energisch zu widersprechen und diese Haltung der Bevölkerung vollherzig zu erklären. Wo das unterbleibt, ist laute Kritik nötig. Und letztlich auch mehr Arbeit in eigener Sache: Warum sitzen im SRW-Rundfunkrat etwa neun Vertreter der Kirchen oder einer des Vertriebenenverbands, aber keine LGBT-Organisation? Ohnehin scheint es nötig, sich öfters nach diskriminierenden Beiträgen bei Sendern zu beschweren – die Gegenseiten machen das in Massen.
Die Europawahl ist ernst zu nehmen, das sind wir auch unseren osteuropäischen Brüdern und Schwestern schuldig. Junge Schwule und Lesben könnten sich noch stärker in Projekten engagieren, in denen sie in Schulen gehen und mit Schülern sprechen. Ohnehin ist mehr lokales Engagement abseits von CSDs gefragt, mehr Überzeugungsarbeit gerade in kleineren Städten und ländlichen Gebieten.
Vor allem aber darf der Streit um den Bildungsplan in Baden-Württemberg nicht davon ablenken, dass es in den meisten Bundesländern noch nichts entsprechendes gibt.
diepresse.com/home/politik/innenpolitik/1546299/FPOAkademike
r-zitieren-HorstWesselLied
politspiegel.at/?p=3696
"Boykott unsinnig": Auch Strache fährt nach Sotschi
diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/1544841/Boykott-uns
innig_Auch-Strache-faehrt-nach-Sotschi