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  • Von Norbert Blech
    23. Januar 2014 27 5 Min.

Das Bildblog und die Nachdenkseiten debattieren die Gründe für das Vorgehen der Behörden gegen einen schwulen Protestler in Russland.

Es war eine Meldung, die kurz vor den Olympischen Winterspielen in Sotschi natürlich um die Welt ging. Der LGBT-Aktivist Pawel Lebedew protestierte mit einer Regenbogenflagge während des Fackellaufes in Woronesch und wurde festgenommen.

Viele Medien wie "Spiegel Online" übernahmen dazu eine Meldung der Nachrichtenagentur AP samt einem Foto:



Die AP-Meldung beginnt mit der Einleitung:

Ein homosexueller russischer Demonstrant ist festgenommen worden, weil er beim olympischen Fackellauf eine Regenbogenfahne zeigte.

Das Bildblog schreibt dazu:

Was der Leser aber nicht erfährt: Es gibt noch mehr Fotos von dem Vorfall. Und die legen einen etwas anderen Schluss nahe. Denn der Aktivist hat die Flagge nicht etwa nur "am Rande der Strecke" gezeigt, sondern die Absperrung durchbrochen.

Es folgen Bilder, die nahelegen, dass Pawel deutlich näher von der Absperrung entfernt steht, als das am meisten verbreitete Foto schließen lässt, etwa:



Das Blog schließt daraus:

Die Regenbogenflagge war in diesem Fall also offensichtlich doch nicht der (alleinige) Grund für das Einschreiten der Sicherheitsleute — auch wenn so etwas durchaus zu Putins Umgang mit Homosexuellen passen würde.

Allerdings gibt es auch ein Video von dem Vorfall, das die Perspektive erneut verrückt, die Aktion auch zu dem zu beschützenden Flammenlauf in Verhältnis stellt:

Zu sehen ist, wie Pawel nicht wirklich weit nach vorne rennt und dann von Sicherheitsbehörden zunächst einfach zurückgeschubst und sogar ignoriert wird. Er setzt erneut zu einem Protest mit der Regenbogenflagge an, wird nun von einem anderen Sicherheitsbeamten festgehalten. In einem Moment, wo die Flamme schon in sicherer Entfernung vorbeigezogen ist, wird er anderem Sicherheitspersonal und schließlich der Polizei übergeben.

Ist die Sichtweise von AP, "ein homosexueller russischer Demonstrant ist festgenommen worden, weil er beim olympischen Fackellauf eine Regenbogenfahne zeigte", hier wirklich inakkurat, zumal die Agentur später im Text klarstellt, dass es sich natürlich um einen gezielten Protest handelt? Ein Protest nämlich, der nicht nötig wäre, könnte man in dem Land mit Freunden problemlos den Fackellauf am Rand feiern und dabei Regenbogenflaggen schwenken, wie etwa zu den Olympischen Sommerspielen in London vielfach geschehen.


Auf dem Zwischenstopp in Manchester wurde der Fackellauf zu den Sommerspielen in London gar zum Gedenken an den 100. Geburtstag des schwulen Mathegenies Alan Turing genutzt.

Macht es nicht auch einen Unterschied, dass ein Regenbogenflaggenprotest, anders als in Athen, in Russland nicht erlaubt werden würde?


LGBT-Aktivisten protestierten im letzten Herbst am Rande der Übergabe der Olympischen Flamme

Machen die Zentimeter vor und hinter der Absperrung also wirklich einen Unterschied? Vielleicht ist man beim Bildblog von der ganzen Medienanalyse, zu der wohl auch die zahlreichen Ordnungsamtsdokus des öffentlich-rechtlichen Fernsehens gehören, inzwischen derart geschädigt, dass man derart penibel und gesetzeskonform reagiert.

In Deutschland hätte der "Vorfall" um das Übertreten einer Absperrlinie allerdings höchstens zu einem kurzen Festhalten, eher unwahrscheinlich vielleicht noch zu einer Personalienfeststellung oder einem Platzverweis geführt, sicher nicht zu einem mehrstündigen Aufenthalt auf einer Polizeistation (man wird dort in der Regel nur ein paar Stunden festgehalten und mit einem Bußgeld nach Hause geschickt, was eher selten eingetrieben wird; zugleich haben Beamte aber schon LGBT-Demonstranten bei Familien oder dem Arbeitgeber geoutet, was Personen von Protesten abhält).

Wo zieht das Bildblog die Grenze? Was, wenn man einfach friedlich protestierend mit der Regenbogenflagge vor der Absperrung steht, wie zugleich viele andere Leute, so wie im letzten Oktober Natalia Tsymbalowa und Kirill Kalugin in St. Petersburg? Ist ihre erfolgte Festnahme dann auch gerechtfertigt und hat auch nur so halb etwas mit der Regenbogenflagge zu tun?





Es ist natürlich in Ordnung, auf eine akkurate Berichterstattung zu pochen – und die Berichterstattung über LGBT in Russland ist nicht selten mangelhaft.

Aber hier wird auf einer Petitesse herumgeritten, die an der eigentlichen Nachricht – Schwuler protestiert nicht grundlos gegen die homophobe Politik und Gesellschaft Russlands – nichts ändert. Hätte sich AP angestrengt, hätte die Agentur – wie übrigens viele russischen Medien – auch noch besagte Gründe gefunden, etwa den kleinen LGBT-Protest in Woronesch ziemlich genau ein Jahr zuvor, der von einem großen Nationalisten-Mob angegriffen wurde. Pawel war dabei schwer verletzt worden. Ganz zu schweigen von den Auswirkungen der Politik: Zwei Morde, Selbstjustiz durch Neonazis oder Schüsse auf Aktivisten, um nur einige zu nennen.

Auch ist die Bildblog-Kritik in ihrer Kürze missverständlich. Ein Leser schreibt auf Facebook von einem "schönen Beispiel, wie einfach man die Masse manipulieren kann".

Also alles gar nicht so schlimm mit der Homophobie in Russland? Zu dem Eindruck trägt sicher ein anderer Text bei, den das Bildblog unter Enthaltung weiterer Kommentierung verlinkt hat: Auf den Nachdenkseiten schreibt Jens Berger, Sotschi werde "einmal mehr zur Anti-Russland-Kampagne genutzt". Die Polizei in jedem Land hätte so auf einen Störer reagiert, mit der Regenbogenflagge habe dies nichts zu tun gehabt. Berger schreibt weiter:

Da ein demonstrierender russischer Homosexueller, der offenbar polizeilich vollkommen korrekt behandelt wurde, natürlich keine Schlagzeile wert ist, manipulieren die deutschen Medien durch Weglassen von Informationen und selektive Bildauswahl die Story so lange, bis sie "sexy" ist und sich in die allgegenwärtige Anti-Russland-Kampagne einfügt.

Unser Archiv ist voll mit "polizeilich vollkommen korrekten" Handlungen in Russland – all die niedergeschlagenen CSD-Demos waren ja nie erlaubt worden; die nach russischem Recht eigentlich keine Erlaubnis benötigenden Proteste von Einzelpersonen, oft übrigens mit Regenbogenflaggen und gelegentlich auch zum Thema Olympia, endeten natürlich auch nur in Festnahmen, weil sie gegen das Gesetz gegen "Homo-Propaganda" verstießen, die öffentliche Ordnung durch ihr Dasein störten oder vor dem Protest unerlaubt die Straßenseite gewechselt haben (die Begründungen der Polizei variieren, teilweise auch im Laufe der Stunden zum gleichen Fall).


Alles "polizeilich vollkommen korrekt" hier. Bitte gehen Sie weiter.

Und wurde mal eine Demo erlaubt und kam es zu Angriffen durch Gegendemonstranten, wurden natürlich vor allem die LGBT-Aktivisten verhaftet – die haben ja diese Störung zu verantworten und sind ja auch irgendwie selbst eine anti-russische Kampagne.

Kurz: Diese Aktivisten-Propaganda, die einfach so von Medien verbreitet wird, geht ja mal gar nicht. Hat nicht jemand ein Gesetz dagegen? Oder ein Absperrband?

Jörg Kalitowitsch vom ColognePride hat Pawel und seinen Freund zum CSD in Köln eingeladen und sammelt dafür Spenden. Wer sich daran beteiligen möchte, kann sich bei ihm per eMail melden.

#1 VerBLOEDungAnonym
  • 23.01.2014, 12:49h
  • Soso.

    Der Oligarchenstaat hetzt die Massen gegen Schwule und Lesben auf, will sie faktisch im öffentlichen Raum und Alltag auslöschen, aber dann sind sie die Bösen und Kriminellen, wenn sie irgendwo eine "Absperrung durchbrechen".

    In anti-verBLÖDenden Worten:

    "Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht."
  • Direktlink »
#2 StefanBroniowskiAnonym
  • 23.01.2014, 13:50h
  • "Ist ihre erfolgte Festnahme dann auch gerechtfertigt und hat auch nur so halb etwas mit der Regenbogenflagge zu tun?" Auf die polemische Frage eine nicht-polemische Antwort: Nein, die Festnahme ist, als Einschränkung des Rechtes auf friedlichen Protest, nicht gerechtfertigt. Die AktivistInnen scheinen aber sehr glücklich über Festnhame gewesen zu sein, wie die strahlenden Gesichter auf dem Foto aus der Polizeistation zeigen. Zu Recht! Denn ohne Festnahme hätte ihre Aktion weniger oder gar keine Aufmerksamkeit erhalten. Ähnliches gilt für den Absperrungsüberspringer, der seinen Fotografen mitgebracht hat. Kluge Entscheidung! Nur so kommt man in die Zeitungen und ins Netz. Zum zweiten Teil der Frage eine Gegenfrage: Hat die Polizeireaktion ausschließlich mit der Regenbogenflagge zu tun? Oder eben doch damit, dass in Russland JEDER politische Protest vom Regime ungern gesehen wird?
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