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Umstrittener TV-Talk in der ARD

Homo-Hasser bei Maischberger – Der Beipackzettel

  • 11. Februar 2014 51 8 Min.

Hartmut Steeb kam in einer früheren Talkshow des SWR zum Bildungsplan gemäßigt herüber - dabei ist er alles andere als das (Bild: Gemeinde-Ferien-Festival SPRING / flickr / by 2.0)

Am Dienstag wird in der ARD über den Bildungsplan in Baden-Württemberg getalkt. Hintergründe zur umstrittenen Sendung und ihren Gästen sowie zu den Plänen der Landesregierung.

Von Norbert Blech

Die Talkshow "Menschen bei Maischberger" (23.10 Uhr, ARD) befasst sich am Dienstagabend mit dem Streit um den Bildungsplan in Baden-Württemberg. Die Ankündigung hatte vorab zu Kritik unter anderem von queer.de geführt, speziell am Titel der Sendung ( "Homosexualität auf dem Lehrplan – droht die moralische Umerziehung?") und den Gästen Hartmut Steeb und Birgit Kelle, was in einigen Medien in der Debatte resultierte, ob man Homo-Hassern die Meinung verbieten wolle. Daher Hintergründe zum Bildungsplan, zu den umstrittenen Gästen der Sendung und zur Kritik von queer.de.

Was ist der Bildungsplan?

Die neue grün-rote Landesregierung will die Richtlinien für Schulen überarbeiten lassen. In dem Zusammenhang ist in einem Arbeitspapier(!) für Experten-Arbeitsgruppen(!) vorgesehen, in allen Bereichen eine Inklusion des Themas sexuelle Vielfalt zu prüfen. Es taucht allein deshalb als Zusatz zu allen Leitprinzipien auf, weil der Punkt bisher von den Vorgängerregierungen vernachlässigt wurde und erheblicher Nachholbedarf besteht.
Künftig soll die Schule angemessen über Homo- und Transsexualität aufklären und ein Klima schaffen, in der sich etwa schwule Jugendliche selbstbewusst entwickeln können und Vorurteile abgebaut werden.

» Das Arbeitspapier als PDF

Warum gibt es Streit um den Bildungsplan?

Der homophob motivierte Widerstand gegen diese Pläne hatte im Dezember mit einer damals kleinen Online-Petition eines Realschullehrers begonnen. Durch Verbreitung in erzkatholischen und evangelikalen Blogs wuchs die Unterstützerzahl der Petition an, durch die Einschaltung des rechten Blogs "Politically Incorrect" explodierte sie dann regelrecht. Zuletzt hatten sie fast 192.500 Bürger unterschrieben, darunter auch viele verunsicherte Eltern, garniert mit vielen homophoben bis menschenfeindlichen Kommentaren.

Das Thema führte dann auch im Landtag zu einer Debatte, in der Union und FDP die homophobe Stimmung gegen die Landesregierung ausnutzten. Es kam zu einer Demo und einer medialen Debatte, in der Fakten nicht immer die größte Rolle spielten. In der Petition, mit der alles begann, wurde geschickt mit Fehlinformationen und Vorurteilen gearbeitet: Die "Thematisierung verschiedener Sexualpraktiken" werde zur "neuen Normalität" hieß es etwa. Es fehle die "ethische Reflexion der negativen Begleiterscheinungen eines LSBTTIQ-Lebensstils", die "heterosexuellen Geschlechter von Mann und Frau" würden in Frage gestellt, das Coming-out "pädagogisch propagiert". Es wird klar mit der Angst gespielt, die Aufklärung könne Jugendliche homosexuell machen.


Birgit Kelle war trotz – oder gerade wegen – ihrer Thesen schon Gast in vielen Talkshows. Trotzdem beklagt sie immer wieder, dass man ihre Meinungsfreiheit beschränke.

Wer ist Hartmut Steeb?

Hartmut Steeb ist Generalsekretär der Evangelischen Allianz, der zahlreiche evangelikale Gruppen angeschlossen sind. Einige davon bieten Seminare zur Homo-"Heilung" an. Der Vorsitzende der Allianz, Michael Diener, sagte in einer Rede, man könne "zu praktizierter Homosexualität kein Ja finden. Sie ist Sünde und steht unter dem Gericht Gottes." Bei Homosexualität sei "ein therapeutischer und seelsorgerlicher Veränderungsprozess grundsätzlich möglich". Es liege an der Allianz, "diese in der Öffentlichkeit aggressiv verneinte Option um der Liebe zu den betroffenen Menschen willen auch weiterhin offen zu halten und zu vertreten".

Zum Bildungsplan kritisierte Steeb, der Landesregierung "gehe es nicht nur um Toleranz. Vielmehr wird eine gleichwertige Darstellung von Homosexualität mit Ehe und Familie angestrebt". Bereits das NRW-Projekt "Schule ohne Homophobie" hatte er kritisiert; junge Menschen sollten besser darin bestärkt werden, "sich an der geschlechtlichen Dualität von Mann und Frau und ihrer Einswerdung in der Ehe zu orientieren. Ich wäre sehr dafür, an den Schulen genau dafür, nicht aber für den Irrweg einer ideologisch programmierten sexuellen Vielfalt, zu werben."

"Man kann [Homosexualität] meinetwegen als Krankheit bezeichnen (…) Ich finde, es ist nicht der Normalweg für die Entwicklung eines Menschen", hatte Steeb 2008 gesagt. "Es gibt Menschen, die von ihrer homo­sexuellen Neigung freigekommen sind, heute heterosexuell leben, und ich halte es nicht nur für legitim, sondern auch für schöpfungsgemäß." 2006 hatte er ein Grußwort von Bundeskanzlerin Angela Merkal an den Stuttgarter CSD kritisiert, weil "diese Art aktiver Unterstützung von Homosexualität und Lesbentum weder für die Zukunft unseres Landes gut ist, noch das Vertrauen in die Politik stärkt". Steeb damals weiter: "Es wäre fatal, wenn Sie sich der Ideologie dieser Bewegung ergeben würden." Danach schrieb Merkel nie wieder ein CSD-Grußwort.

Wer ist Birgit Kelle?

Wird von der Maischberger-Redaktion als "Kolumnistin (u. a. 'Focus')" und vierfache Mutter vorgestellt, schreibt aber unter anderem auch für die "Junge Freiheit"; von der rechten Zeitung nahm sie im letzten November einen Journalistenpreis entgegen. Im letzten Jahr erzielte sie mit dem antifeministischen Buch "Dann mach doch die Bluse zu" einigen Erfolg, ansonsten ist unklar, warum sie recht häufig in Talkshows eingeladen wird – ihr Verein "Frau 2000plus" scheint so gut wie niemanden hinter sich zu haben.

Im Verbund mit der "Initiative Familienschutz" von Hedwig Freifrau von Beverfoerde und dem verbundenen Portal "Freie Welt" kämpft Kelle allerdings lautstark gegen Homo-Rechte. Die Politik ziehe gleich­geschlechtliche Paare "normalen Paaren" vor, sagte sie wahrheitswidrig im "Presseclub"; in "Hart aber fair" sprach sie sich gegen ein Adoptionsrecht für gleich­geschlechtliche Paare aus.

Im "Focus" kritisierte sie zum Bildungsplan, "dass der Schüler einen Trans­sexuellen jetzt ganz normal finden soll, obwohl dieser doch laut WHO auf der Liste der psychisch Kranken mit Geschlechts­identitätsstörung steht". Der Bildungsplan sei Beispiel der Ideologie des "Gender Mainstreaming", "die jetzt nach unseren Kindern greift" und "an der Verwirrung", der 'Entnaturalisierung' der Geschlechter arbeitet".

Wer ist Gero Winkelmann?

Der homöopathische Arzt ist Vorsitzender des Bundes katholischer Ärzte, der angeblich auch in die Sendung eingeladen wurde (ob das der Fall war, ob er wieder ausgeladen wurde oder noch als zusätzlicher Gast auftaucht, ist unklar). Wie sein Verband ist er der Meinung, dass es "einen seriösen Therapieansatz für die Homo­sexuellen gibt, die unter ihrer krankhaften, psychiatrisch auffälligen Neigung leiden".

Der Bund verweist auf seiner Homepage auf den "großen Bereich der gesundheitlichen Belastungen, denen sich homo­sexuell empfindende Menschen aussetzen" ("Beim 'Homosex' wird der Widerstand des 2-fachen Analringes, der uns alle befähigt, Stuhl zu halten, durchbrochen und es werden Friktionsbewegungen im Mastdarm eines 'passiven Partners' durchgeführt."). Auch rät man zur Enthaltung: "Wir empfehlen dringend, den besonderen Neigungen nicht nach zu geben, keine gleich­geschlechtlichen sexuellen Kontakte zu haben (Infektion!) und den sexuellen Versuchungen zu widerstehen."

- w -


So fasste der "Tagesspiegel" die Debatte um die Sendung zusammen

Warum hat queer.de die Sendung kritisiert und steht selbst in Kritik?

Allein der Titel, "Homosexualität auf dem Lehrplan – droht die moralische Umerziehung?", fand queer.de-Redakteur Micha Schulze in einem Kommentar eine "doppelte Unverschämtheit", weil er die Pläne zur Schulaufklärung diffamiere. Auch lasse die Gästeliste "künstliche Empörung, reißerische Zuspitzung und homophobe Provokation" erwarten, wo eine sachliche Aufklärung nötig wäre. An dem inzwischen veränderten Titel der Sendung und ihrer Ausrichtung hatte auch der Medienjournalist Stefan Niggemeier etwas auszusetzen.

Schulze hatte in seinem Kommentar auch auf den Waldschlösschen-Appell verwiesen, der unter anderem unter bestimmten Bedingungen fordert, Homo-Hassern etwa in Talkshows "keine Plattformen zu bieten, so lange sie [die Redaktionen] sich nicht klar von ihnen distanzieren" – woraus der Tagesspiegel unzulässigerweise die Schlagzeile machte: "Magazin will Maischberger 'Homo-Hasser' als Gäste verbieten". Das führte dazu, dass sowohl Steeb als auch Kelle sich am Dienstag als Opfer einer Homo-Lobby präsentierten, die gegen die Meinungsfreiheit kämpfe.

Maischberger antwortete am Montag per dpa, man biete niemandem ein Podium, sondern bitte "Menschen mit ganz unterschiedlichen Meinungen in unsere Runde, damit sie ihre Argumente miteinander austauschen". Die Debatte müsse "offensichtlich geführt werden. Das zeigen nicht nur die vielfältigen und verständlicherweise auch emotionalen Reaktionen beider Seiten". Das Nollendorfblog schreibt dazu: "Darum geht es also: Zwei Seiten. Duell. Der Aggressor steht auf dem gleichen Fundament wie der Angegriffene. Der Stärkere möge gewinnen." Genau das sollte der Waldschlösschen-Appell, bei dem der Nollendorf-Blogger Johannes Kram antreibende Kraft war, verhindern.

Was ist der Waldschlösschen-Appell?

Einmal im Jahr treffen sich schwule und Journalisten im Tagungshaus Waldschlösschen bei Göttingen, im letzten Jahr noch unter dem Eindruck einer grottenschlechten Talkshow der ARD unter dem Titel "Papa, Papa, Kind: Homo-Ehe ohne Grenzen?" In Folge gab es eine Diskussion, ob es weiter akzeptabel sein könne, dass sich Menschen weiterhin für ihre sexuelle Orientierung rechtfertigen müssen und diskriminierende Äußerungen keinen redaktionellen Widerspruch finden.

Daraus entstand der Appell "gegen die Verharmlosung homosexualitätsfeindlicher Diffamierungen". Von Medien wird gefordert, bestimmte "Angriffe auf die Würde und die Menschenrechte Homo­sexueller" nicht mehr "als Teil des legitimen Meinungsspektrums [zu] bagatellisieren". Wer etwa faktenwidrig behauptet, Jugendliche könnten zur Homosexualität verführt werden, müsse in einer Talkshow vom Moderator zurechtgewiesen werden. Der Appell ist die konsequente Umsetzung, bestimmte homophobe Aussagen als ebenso menschenfeindlich anzusehen wie rassistische oder antisemitische.

» Der Waldschlösschen-Appell im Wortlaut

Ist das nicht ein "Angriff auf die Meinungsfreiheit"?

Das ist ein ablenkendes Totschlagargument, Intolerante sehen sich gerne als Opfer. Der Appell befasst sich nicht mit dem, was Menschen sagen dürfen, sondern mit redaktioneller Verantwortung und Einordnung.

Meinungsfreiheit bedeutet, seine Meinung (im Rahmen von Einschränkungen wie dem Volks­verhetzungsparagrafen) öffentlich kundtun zu dürfen; es ist ein Recht, das etwa von Kelle und Steeb auf zahlreichen Webseiten und in zahlreichen Medien wahrgenommen wird. Meinungsfreiheit bedeutet allerdings nicht die Pflicht, mit den wirrsten oder menschenfeindlichsten Thesen in eine Sendung eingeladen werden zu müssen, und ebenfalls nicht, für seine Meinung nicht kritisiert werden zu können.

Am Mittwoch folgt eine Besprechung zur Sendung. User-Kommentare schalten wir am Abend hier frei.

-w-

#1 Dont_talk_about
  • 11.02.2014, 22:34hFrankfurt
  • Sollte man sich die Sendung nicht erstmal anschauen, bevor man sich über sie beschwert ?
  • Direktlink »
#2 MiroAnonym
  • 11.02.2014, 22:37h
  • Es sollte einen journalistischen Codex geben, dass man (außer in bestimmten Textsorten, zu denen es gehört) auf reißerische Skansalisierungen und hetzerische Zuspitzung verzichtet.

    Das findet man leider in viel zu vielen Medien statt Sachlichkeit, nämlich immer dann, wo die Medienmacher selbst eine extreme Position zu einem Thema vertreten.
  • Direktlink »
#3 anome
  • 11.02.2014, 22:45hKassel
  • Bei aller Verachtung für Menschen wie Kelle, aber ein bisschen müssen wir uns auch an unsere eigene Nase fassen! Mit Dingen wie dem CSD vermitteln wir kein besonders gutes Bild von uns in der Außenwelt und das kann dazu führen, dass gewisse Ängste, die vorher vllt. schon im Ansatz vorhanden waren, weiter geschürt werden. Und dieser komische Appell war sicher gut gemeint und die Unterzeichner sind auch teilweise renommierte Personen, aber er könnte den Eindruck vermitteln, dass wir tatsächlich die Meinungsfreiheit einschränken wollen, auch wenn das nicht der Fall ist, und damit schneiden wir uns ins eigene Fleisch.
  • Direktlink »

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