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- 12. Februar 2014 6 Min.

"Stop Homophobia": Vor dem ARD-Hauptstadtstudio demonstrierten gestern spontan Schwule und Lesben - mit einem Appell, der nicht gehört wurde. (Bild: Enough is Enough)
Statt Schwule und Lesben vor Diskriminierung und Hassrede in Schutz zu nehmen, stellt die Moderatorin Homo-Hasser und ihre Kritiker auf eine Stufe. Der schwule CDU-Politiker Jens Spahn kommt ihr dabei zu Hilfe.
Von Norbert Blech
Bereits im Vorfeld der Sendung hatte es Kritik gegeben, und das wohl begründet. Angesichts der Einladung von Hartmut Steeb und Birgit Kelle stand zu befürchten, dass Krawall statt benötigter Aufklärung im Vordergrund der Show stehen würden. Und dass Schwule sich, anstatt von der Moderation verteidigt zu werden, wie es bei Minderheiten üblich sein sollte, wieder einmal selbst gegen die Angriffe gegen sie wehren müssten (normalerweise würde hier mindestens "Schwule und Lesben" stehen, aber aus dem vielfältigen Regenbogenspektrum mit jeweils eigenen Fragestellungen waren nur Schwule eingeladen).
Was von der Sendung bleibt, ist jedoch viel, viel schlimmer: Wenn die Minderheit selbst dafür kämpft, nicht von Homo-Hassern in ihrer Menschenwürde herabgewürdigt zu werden, dann soll sie es bitte mit der Kritik nicht übertreiben. Ansonsten sei das "Übereifer". Nicht nur Kelle machte sich von der homophoben Hetzerin zum Opfer: Wie Maischberger zum Ende der Sendung hetzerische Kritik am Bildungsplan mit der Kritik an ihrer Sendung durch Homosexuelle gleichsetzte, lässt einen sprachlos zurück.
Im Vorfeld der Sendung hatte ein Blogger ketzerisch, aber konsequent gefragt, ob Maischberger demnächst auch Nazis einladen würde. Es ist schlimmer als das: Das Resultat einer solchen Maischberger-Sendung wäre, dass danach der Zentralrat der Juden ein Rechtfertigungsproblem hätte. Und niemand würde sich daran stören.
Steeb, Spahn und die "beiden Seiten"

Hartmut Steeb mit Olivia Jones: Der "nette Onkel" wich vielen Fragen aus und kam so gemäßigt herüber (Bild: ARD)
War die Kritik im Vorfeld wirklich "Geeifer"? Viele Medien hatten den queer.de-Kommentar in ihre Vorberichte aufgenommen. Einige kritisierten den Begriff "Homo-Hasser", berichteten aber nicht, warum man auf den Gedanken kommen könnte, die Talkshow-Gäste so zu bezeichnen. Einige Medien stürzten sich auf den von queer.de angesprochenen Waldschlösschen-Appell. Dieser verlangt nicht wie vielerorts berichtet, dass Homo-Hasser nicht in Talkshows eingeladen werden. Er verlangt aber, dass diese als solche einzuordnen sind, als solche in ihre Grenzen zu verweisen sind.
Das gelang Maischberger fast gar nicht: Bevor er am Ende doch ein wenig von seinem wahren Ich zeigte, kam Hartmut Steeb als netter Onkel rüber, der doch nur wegen ein paar Details zum Unterschreiben der Petition gegen den Bildungsplan aufruft.
Eine vorbereitete Moderation hätte nicht nur darauf verweisen können, sondern müssen, dass er und sein evangelikaler Verband sich für die "Heilung" der Homosexualität einsetzen. Dass er Schwule und Lesben als "krank" bezeichnet und selbst ein Kanzlerinnen-Grußwort für einen CSD als "Art aktiver Unterstützung von Homosexualität und Lesbentum" ablehnt. Das hätte schnell erklärt, warum etwa diese Redaktion Front gegen seine Einladung machte.
Stattdessen blieb der Vorwurf letztlich auch an queer.de, sich übertrieben zu ereifern. Stattdessen wurde die klar diskriminierende Haltung von Steeb auf eine Stufe gestellt mit der Kritik an dieser Haltung. Maischberger wie Steeb kam dabei Jens Spahn zur Hilfe. Der schwule CDU-Politiker, dem einerseits oft als einzigem gelang, die richtigen und wichtigen Worte zu finden, fiel andererseits der Bewegung in den Rücken.
Mehrfach beklagte er das "Geeifere auf beiden Seiten", einen "Kulturkampf auf beiden Seiten", böse Internet-Kommentare "auf beiden Seiten". Er sprach sich für das Recht von Steeb aus, seine Meinung zu äußern, was ihm niemand abgesprochen hatte, und kritisierte allen ernstes, der Bildungsplan sei eine Ideologisierung durch Grün-Rot. Steeb griff vieles davon auf, und er wird wie alle fundamentalistischen und extremistischen Seiten in den nächsten Wochen, wenn nicht Jahren Spahn als nützlichen Idioten zu nutzen wissen, um jegliche Kritik abzuwürgen und sich als Opfer der vermeintlichen "Homo-Lobby" darzustellen.
Ein Schelm, wer denkt, das wäre nicht beabsichtigt. So sagte Spahn, man müsse beim Adoptionsrecht langsam vorgehen, ansonsten drohten Proteste wie in Frankreich. Es sind also die Schwulen, die zu viel fordern und damit Schuld sind – und nicht etwa Spahns CDU, die nicht nur eine Gleichstellung blockiert, sondern auch keine Anstrengung unternimmt, die Bevölkerung von der Wichtigkeit einer Gleichstellung zu überzeugen. Spahns Fraktionschef Kauder etwa baut immer wieder rhetorisch einen Widerspruch zwischen christlichem Menschenbild und der Gleichstellung homosexueller Paare auf. Kauder ist selbst häufig Gast bei Steebs Veranstaltungen, die Evangelische Allianz ist alles andere als einflusslos. Die Verbrüderung zwischen Spahn und Steeb hat hier durchaus eine eigene Logik.
Plumpe Talkrunde pro und contra Homosexualität

Jens Spahn (CDU) beklagte andauernd "beide Seiten" (Bild: ARD)
Nicht, dass Maischberger das dargestellt oder hinterfragt hätte. Die Moderatorin, in der Sache durchaus wohlwollend, hatte sich nicht hintergründig vorbereitet – sie sah sich nicht einmal in der Lage, Olivia Jones ordentlich zu definieren. Die Drag Queen machte einige gute Punkte (lieber Aufklärung durch die Schule als durch Bushido etwa), redete aber leider auch häufig dazwischen, wo das Ausreden Anderer erhellender gewesen wäre.
Sie war von der Redaktion klar aus Entertainment-Gesichtspunkten eingeladen wie Steeb und Kelle für den Krawall. Als bräuchte man noch einen Beweis für die miserable Leistung der Redaktion sei noch der Grund für die Einladung von Hera Lind erwähnt: Sie hatte einst viele schwule Au-Pairs, die sich um ihre Kinder kümmerten. Und die trotzdem nicht schwul wurden. Was für eine Erkenntnis.
An ihrer Stelle fehlte ein Bildungsexperte, oder noch besser der Bildungsminister von Baden-Württemberg selbst, um nicht nur den albernen wie vorgeschobenen Ideologisierungsvorwurf zu kontern oder die Sache mit den Elektroschocks zu erklären, sondern insgesamt die Diskussion zu versachlichen und zu verdeutlichen, was an der Petition gegen den Bildungsplan alles falsch und gefährlich war. Maischberger leistete diese Aufklärung nicht. Dass die Petition vor allem von Rechts unterstützt wurde, dass sie auf der Petitionswebseite von tausenden Kommentaren flankiert wurde, die durchweg alle LGBT die Menschenwürde nehmen und teilweise in extremste Hetze abdriften – all das erfuhr man hier nicht, wie so vieles nicht.
So war "Maischberger" letztlich wieder eine plumpe Talkrunde pro und contra Homosexualität, in der ohne Einordnung oder Zurechtweisung viel Homophobie und Menschenfeindlichkeit verbreitet wurde. Noch schlimmer: Weder Maischberger noch die meisten TV-Kritiker im Anschluss haben das überhaupt bemerkt. Alle folgten sie dem Gedanken, dass quasi beide Seiten nachgeben müssten, sie setzten der Homophobie quasi "Homo-Propaganda" entgegen. Stefan Niggemeier drückte das in einem nächtlichen Blogeintrag wie immer am besten aus: "So bleibt von dieser ARD-Talkshow dank Sandra Maischberger die Botschaft, dass wir es nicht übertreiben sollten: Nicht mit der Akzeptanz von Schwulen und Lesben und nicht mit ihrer Ablehnung."
Es scheint, als würde das Dauerfeuer von evangelikaler und rechtsradikaler Seite langsam in der Mitte der Gesellschaft, in der Mitte von Redaktionen zünden. Einerseits war die TV-Debatte so, wie sie schon vor Jahrzehnten abgelaufen wäre. Andererseits hatte man die letzten Jahre den Gedanken gewonnen, man sei doch eigentlich schon viel weiter. Nicht Schwule und Lesben, sondern Steeb und Kelle stünden am Rand der Gesellschaft. Nun scheint ein Rollback zu beginnen, und die Szene scheint sich auf Medien genauso wenig verlassen zu können wie auf einige schwule Politiker.
Update 18.45h: Maischberger-Interview
Gegenüber Spiegel Online sagte die Moderatorin, man müsse auch "Extreme" wie Hartmut Steeb und Olivia Jones einladen, damit "unterschiedliche Meinungen aufeinanderprallen". Der Gegenwind "von beiden Seiten" könne sie nicht davon abhalten.

Links zum Thema:
» Die Sendung in der ARD-Mediathek
Die Aufgabe des schwulen CDU-Politikers Jens Spahn, bei offenkundigem Unfug zu jeder Minute ruhig und kontrolliert zu bleiben, erfüllte dieser so zuverlässig wie einst Westerwelle sein Dauerpositivlächeln bei jeder Kamaraeinstellung in jeder TV-Sendung zu jedem Thema.
Im Übrigen habe er jedoch nichts gegen die Diskussion über "den überdrehten Bildungsplan der grün-roten Ideologen." Soviel faktenferne Infamie muss dann doch freundlich lächelnd sein.
Die Medienunternehmerin Maischberger mochte dieser Deutung Raum geben. Wie schon zu Kelles Infamie zu didaktischen Überlegungen der GEW.
Positiv war die Sendezeit und die Quote.
meedia.de/2014/02/12/top-20-die-tv-quoten-fuer-dienstag-den-
11-februar-2014/
Negativ war die Verschwendung von Rundfunkgebühren an die Medienunternehmerin Maischberger für Infors zur ersteebenswerten Lebensform: lebenslänglich.