Jan Künemund ist Redakteur von "Sissy", dem "Magazin für den nicht-heterosexuellen Film", und verantwortlich für die Pressearbeit bei der Edition Salzgeber (Bild: Johann Peter Werth)
"Sissy"-Redakteur Jan Künemund fordert im Interview mit queer.de eine grundsätzliche Neuorientierung von Teddy und Berlinale.
Von Malte Göbel
Wie fandest Du den Teddy dieses Jahr?
Klaus Wowereit und Wieland Speck haben gesprochen, es war der gleiche Moderator, wieder Akrobaten dabei, es ging auch um Menschenrechtsverletzungen gegenüber nicht-heterosexuellen Bevölkerungsgruppen. Über Film wurde sehr wenig gesprochen. Insofern fand ich ihn so merkwürdig wie immer.
Zu wenig Film?
Angeblich ist der Teddy ja ein Film-Preis. Aber es war keine Feier des Films, kein Ort für die Diskussion filmischer queerer Entwürfe, des Nachdenkens über den aktuellen Zustand von Queer Cinema. All das vermisse ich beim Teddy. Ich verstehe nicht, wieso nicht einmal versucht wird, dem Publikum die Nominierten vorzustellen. Das läuft relativ normiert ab wie beim Oscar – nur weiß dort jeder etwas über die Filme, die nominiert werden, beim Teddy nicht. Der Teddy versteht sich nicht als Vermittler von Film und Publikum. Ich frage mich immer: Warum nicht?
Der Teddy Award wird seit 1987 im Rahmen der Berliner Filmfestspiele verliehen (Bild: teddyaward.tv)
Was sollte der Teddy denn vermitteln?
Der Teddy denkt inhaltistisch: Filme sind Dokumente von Unrecht und von queeren Geschichten, es sind Behältnisse – und nicht etwa Kunstwerke, die Queerness schon in ihrer Form in sich tragen, Fragen stellen. Dafür sollte sich der Teddy interessieren: wie unsere Erzählungen auf den heterosexuellen, bürgerlichen Normalfall reagieren.
Der Gewinnerfilm "The Way He Looks" ist eine eher konventionelle Boy-Meets-Boy-Geschichte. Eine schlechte Wahl?
Den haben wir im Verleih, ich find den auch ganz toll. Wir haben beide Teddy-Gewinner im Verleih… (lacht) Der Film ist natürlich eine Geschichte, die sehr klassisch funktioniert, mit sehr bekannten, greifbaren Gefühlen. Im Prinzip sind das Mainstream- und Hollywood-Narrative, die von einem nicht-queeren Kino etabliert und um schwule oder lesbische Geschichten erweitert wurden: romantische Komödie, Coming-out-Drama, Biopic. Da geht's immer um jemanden, der zu seiner Identität findet, die ist dann eben schwul oder lesbisch oder ein Geschlecht, in dem man identitär ankommt. Aber Identität ist kein queeres Konzept! Identität ist ein bürgerliches Ideal, es besagt, dass man etwas zum Ausdruck bringen soll, was in einem angelegt ist, gegen eine in der Regel feindliche Umwelt, mit Hilfe von Verbündeten usw.
Na und?
Es ist die Frage, ob queeres Leben in diese Formen gepresst werden kann. Aber diese Frage stellt weder das Publikum noch die Veranstaltung, noch gibt es eine Vermittlung. Es gibt solche Filme bei der Berlinale, etwa den Wettbwerbsbeitrag "Praia do Futuro", der sehr viel offener, sehr viel experimenteller, mit ganz vielen Lücken eine schwule Geschichte erzählt und sich dabei sehr viel traut. Ein Film, auf den auch ein Teil des queeren Publikums sehr verstört reagiert.
Wobei der Teddy ja als schwul-lesbischer Filmpreis startete…
Der Teddy sollte mal das schwule-lesbisch-transidente Leben sichtbar machen. Das war auch wichtig! Und heute sagen Leute wie Wieland Speck: "Hier ist es nicht mehr nötig, aber woanders schon!" Als könnte die Queers in Uganda in 40 Jahren mit ein bisschen Hilfe so werden wie wir jetzt, also heiraten und in Fitnessstudios rennen. Aber so funktioniert es nicht: Es gibt keine Timeline, auf der Homosexualität verortet ist. Seit fünf Jahrzehnten Kulturwissenschaft ist klar, dass Homosexualität kulturgebunden immer anders aussieht. Wenn jemand sagt "Da gibt es arme Schwule und Lesben in Uganda, die wären gern so wie wir, dürfen es aber wegen der bösen Repressionen dort nicht sein" – das sind für mich gut gemeinte, aber abgehobene und kulturchauvinistische Konzepte.
Youtube | Normiert wie beim Oscar: Teddy-Verleihung für den besten Spielfilm am vergangenen Wochenende in Berlin
Immerhin macht der Teddy so auf die Probleme dort aufmerksam…
Aber er verstärkt die Kuschelatmosphäre: Probleme gibt es da, bei uns nicht. Ich vermisse die Neugier darauf, wie Queerness in den so genannten "anderen Kulturen" erzählt wird. Meistens bleibt es bei "Dort ist Homophobie" und "Dort müssen wir das ändern". Gleichzeitig vermisse ich einen präzisen Blick auf uns selbst, also wie versprachlichen, wie visualisieren wir uns? Was ist mit den Fragen zu unserer angeblich aufgeklärten Kultur, mit Post-Gay-Fragen? Selbst wenn man sich definiert, versuchsweise als schwul, wie ist man dann schwul, wie hat man dann Sex, wo ist man wie sichtbar, wo wird man wieder unsichtbar plötzlich?
Auf der Berlinale gab es keine Filme mit Lesben..
Das wurde ja auch zu Recht sehr stark kritisiert.
"Nehmt Eure iPhones und macht einfach!", sagte der Teddy-Jury-Chef Marten Rabarts.
Ich finde es geradezu unverschämt, das so zu sagen. Der Ausschluss von Frauen geht sehr viel tiefer, es wäre die Aufgabe von Kuratoren und Kuratorinnen, sich da zu engagieren. Wie viele kontinuierlich arbeitende lesbische Filmemacherinnen gibt es in Deutschland? Vier, fünf? Da könnte man als wichtigstes deutsches Filmfestival auch mal mit denen reden: Was macht ihr gerade, wäre das was für uns?
Fehlt den Programmverantwortlichen grundsätzlich der Mut, Filme ins Programm zu heben, die nicht so mainstreamtauglich sind? Die sich nicht so leicht verkaufen lassen?
Ich verstehe das bei Festivals, die auf ihre Besucher angewiesen sind. Bei der Berlinale aber ist jede Vorstellung ausverkauft, sie kann im Prinzip zeigen, was sie will, kann Themen setzen, kann Ästhetiken setzen, kann eine Diskussion darüber führen. Der Teddy hat die große Chance zu fragen: Es gibt Queerness, es gibt Film, wie hängt das zusammen? Leider macht der Teddy das nicht. Die Berlinale macht es auch nicht.