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Von Sexmuffelchen und Jägern
Wieso nicht mit dem Sex warten?
- 15. März 2014 5 Min.

Was passiert, wenn man das Körperliche aufs Zärtlich-Unverfängliche beschränkt und die Hüllen einfach nicht fallen lässt?
Beim ersten Date nicht gleich ins Bett zu springen, kann durchaus reizvoll sein. Der schwule Jagdinstinkt wird dann erst recht geweckt.
Von Kevin Junk
Die Katze im Sack kaufen will niemand. Man trifft sich zum ersten Date, das man online angeleiert hat, und, ach zugegeben, man schielt auf die Jeans, um herauszufinden, was sich da so abzeichnet. Oder man knutscht im Club herum und lenkt die Wahrnehmung kurz auf die Mitte des Körpers, um zu erfühlen, ob die Beule da unten mehr verspricht. Was jetzt nicht heißen soll, dass guter Sex von einem großen Schwanz abhängt. Was aber bleibt, ist die Festellung: Ja, die Neugierde ist groß und ob es unverbindlich bleibt oder wird, das kann man am Sex schwer festmachen – oder doch?
Wenn man auf jemanden trifft, der beim Kuscheln plötzlich wieder einen Gang zurückschaltet und man in einer Loop aus Rumfummeln, Rumknutschen und wieder Fummeln gefangen ist, dann verstört das. Verallgemeinerungen bei Seite: Mich verstört das. Mit dem Sex warten? Warum?
Zurückgeworfen auf die eigene Geilheit, die Gier nach Triebbefriedigung, liegt man dann da und fragt sich: Bin ich wirklich so rattig? "Ich bin halt ein Sexmuffelchen", kriegt man zu hören und kratzt sich selbst verlegen am Hinterkopf. Ich eigentlich nicht. Ficken, jetzt. Oder sonst? Nie?
Das Nachdenken über ein erstmal sexloses Kennenlernen lohnt sich
Wir sind alle erwachsen, ich kann, will hier niemanden belehren und im Dr.-Sommer-Modus Tipps verteilen. Aber das Nachdenken über ein erstmal sexloses Kennenlernen lohnt sich trotzdem. Was passiert, wenn man das Körperliche aufs Zärtlich-Unverfängliche beschränkt und die Hüllen einfach nicht fallen lässt?
Vornehmlich baut sich Druck auf, baut sich Spannung auf, kommt Neugierde. Die Gier des Jägers auf Beute wird nicht befriedigt, die ist nämlich nur halb erlegt. Sie liegt da, bereit, aber noch nicht willig, hält auf Distanz und neckt. Auch wenn der Jäger das nicht gerne zugibt: Ihm gefällt das. Das reizt seinen Jagdinstinkt. Und sind wir nicht alle kleine Jägerchen, im Rausch, wenn wir die Beute vor uns haben und erlegen, nicht wissend, wie es uns geht, wenn der Rausch abebbt?
Und darin liegt der Reiz, mit dem Sex warten zu wollen. Anstatt sich einander sofort preiszugeben (was zumindest durch Normvorstellungen nicht verboten wäre, weil wir heterosexuelle Schranken wie: "Wenn wir jetzt ficken, denkt er dann, ich sei eine Schlampe?" nicht in uns haben), spielt man das Spiel ein bisschen länger. Man schafft Raum für Erfahrungen, auf die man vielleicht keine Zeit mehr verwenden würde, weil der Jäger in uns schon längst weiterziehen will. Flirten und Verführung sind dann nicht mehr nur eine Frage von Minuten oder Stunden, sondern vielleicht von Tagen und Wochen.
Ein behutsamerer Umgang miteinander kehrt ein, weil man weiß: Ficken könnten wir, aber müssen nicht. Man tänzelt umeinander, lernt sich kennen und vielleicht führt das ja zu einem tieferen Verständnis der anderen Person, vielleicht führt das ja am Ende zu besserem Sex?
"Wenn ich jemanden ernsthaft kennenlernen will, dann warte ich lieber mit dem Sex." Das ist ein Kompliment. Da bekundet jemand Interesse. Und da wirft jemand die Frage auf: Welchen Stellenwert hat Sex im Kennenlernprozess?
Wie harmonieren wir denn sonst so, außerhalb des Betts?
Eine Romanze, Affäre, titellose Zweisamkeitsaktion ist eigentlich kein Unternehmen mit Checkliste. Aber fühlt es sich nicht insgeheim besser an, wenn man "zumindest" Sex hatte? Da ist er wieder, der Jäger. Auch wenn es nicht fürs einjährige Jubiläum reichen wird: zumindest haben wir es ins Bett geschafft. Das ist innerer Leistungsdruck, zu befriedigender Narzissmus, der erst auffällt, wenn er nicht befriedigt wird. Wenn die Bestätigung fehlt, dann ist man aufeinander zurückgeworfen und muss sich die Frage stellen: Wie harmonieren wir denn sonst so, außerhalb des Betts?
Die Beziehung zwischen zwei Menschen ist komplexer als die Worte, die wir dafür finden und gerade homosexuelle Arrangements sind freier als heterosexuelle. Wir haben weniger Normen, die uns einflüstern, was wir zu tun haben – und sind damit auf uns selbst, die Kommunikation miteinander, zurückgeworfen. Wenn wir den Sex rauslassen, zumindest mit ihm warten, dann berauben wir uns selbst einem heiß geliebten Bestätigungsmechanismus. Wir müssen uns andere Fragen stellen, wir können nicht so leicht weiter ziehen. Und wenn der Sex am Ende scheiße ist, obwohl man sich so emotional und intellektuell nah gekommen ist?
Das ist vielleicht sogar fast schon unwahrscheinlich, weil der Sex dann nicht mehr frei ist von den anderen, vielen Eindrücken, die man von seinem Gegenüber hat. Der andere ist dann nicht mehr fremd, ist dann nicht mehr so einfach aus dem Bett zu kratzen. Damit es zum Sex kommt, muss ja erstmal Zeit vergehen. Sex ist dann keine obligatorische zu erfüllende Aufgabe, er ist eine bewusste Entscheidung.
Egal wann und wie (und ob) man Sex hat, wenn man jemanden kennenlernt: Wenn mir jemand sagt, er wolle warten, fühle ich mich nicht mehr zurückgestoßen. Ich fühle mich begrüßt. Und wenn die Beule noch so sehr pocht, ich habe gelernt, dass weder Warten noch Sofort-Ficken ein Garant für irgendwas sind. Alles ist im Fluss, ist Prozess und ein Glücksversprechen gibt es nicht.
Es tut allerdings gut, den Jäger zurückzupfeifen und sich auf jemanden einzulassen, frei von egoistischen Motiven.

Viel zu viel Text, über zu viel Jäger und Beute.
Wer eine Beziehung sucht hat meist, so oder so, nichts gewonnen nichts verloren, egal ob man gleich beim ersten Treffen im Bett landet.
Wir alle wissen, es braucht immer eine längere Phase bis man zu einem Paar zusammengewachsen ist. Sex kann da schon ganz am Anfang stehen oder auch nicht. Ganz egal!
Es langsam angehen, sich auf seine Gefühle, Bedürfnisse zu konzentrieren kann einem helfen herauszufinden was man selbst eigentlich will. Es schützt einem vor dem Scheisse-Gefühl nach dem Sex, wenn man feststellt dass man nicht am richtigen Ort, nicht beim richtigen Menschen liegt. Das was mir jeweils wichtig.
Vielleicht spürt man auch, dass der andere nicht zu einem passt, ist aber so erregt und geil dass man auf der Stelle Sex haben möchte. Ist man ehrlich kannst du den meist vergessen.
Ok, gebe es zu, war da nicht immer ehrlich. Ich hab die Erfahrung gemacht dass der andere das spürt, es zwar angenehm wird aber beidseitig nicht mehr wird.
Meist ist man aber enttäuscht dass es wieder nicht der richtige ist und die Lust wandelt schnell in Frust.
Es kann eben so oder so gehen. Nicht nur der Sex ist ein Abenteuer auch die Gefühle dabei können dich in ungeahnte Höhen aber auch Tiefen bringen. Lass dich überraschen! Planen kann man es nicht, auf sich achten aber schon.
Als ich meinen Mann damals kennenlernte vergingen zwei, drei Stunden und ich lag in seinem Bett aus dem ich nie mehr raus wollte. Am nächsten Tag fühlte es sich schon so vertraut an, als kannten wir uns schon seit Jahren. Gibts auch. Dann ist man beim richtigen gelandet!
Wenn man sich die Kennenlern-Geschichten langjähriger Beziehungen anhört wird klar, überall und aus allen Situationen heraus kann Liebe entstehen.
Also Hoffnung nicht aufgeben!