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Volker Schlöndorffs "Baal" nach 45 Jahren ausgegraben
Fassbinder spielt Fassbinder
- 24. März 2014 3 Min.

Baal (Rainer Werner Fassbinder, li.) und sein Freund und Lover Ekart (Sigi Graue): Nach über 40 Jahren in den Archiven ist es der Rainer Werner Fassbinder Foundation gelungen, das Aufführungsverbot des Films "Baal" aufzuheben (Bild: Sammlung Volker Schlöndorff)
Volker Schlöndorffs Brecht-Bearbeitung "Baal" durfte seit 1970 nicht mehr gezeigt werden. Jetzt ist der Film mit einem sehr präsenten Rainer Werner Fassbinder in der Titelrolle wieder im Kino und auf DVD zu sehen.
Helene Weigel was not amused über den Film, der gerade im Westfernsehen lief: "Es genügt nicht, eine Lederjacke anzuziehen und sich eine Kippe in den Mund zu stecken, um sich einzubilden, man sei ein Brecht". Mit diesen Worten fertigte die Witwe des Dichters der Überlieferung nach den Hauptdarsteller Rainer Werner Fassbinder ab.
Anderntags sorgte sie dafür, dass Volker Schlöndorffs Bearbeitung des Frühwerks "Baal" schon nach der Erstausstrahlung in der ARD 1970 im Giftschrank verschwand. Erst zur letzten Berlinale feierte die Low-Budget-Produktion erneute Premiere, ist gerade wieder in ausgewählten Kinos zu sehen und erscheint parallel dazu auf DVD.
War Brechts Baal ein früher 68er?

Schlöndorffs "Baal" war einer der ersten Auftritte Rainer Werner Fassbinders, hier mit Hanna Schygulla (Bild: Sammlung Volker Schlöndorff)
"Baal" ist Bertolt Brechts erstes Stück, die erste Fassung schrieb er 1919 als 20-Jähriger. Am 8. Dezember 1923 wurde es in Leipzig uraufgeführt. Nach Ende von Erstem Weltkrieg und Kaiserreich steckte die Gesellschaft im tiefen Umbruch.
Die Titelfigur schert sich wenig um alte Moralvorstellungen. Der aufstrebende Dichter säuft wie ein Loch. Und er zeigt nicht viel Respekt für all die vielen Frauen, die ihm eine nach der anderen verfallen – die Gattin des schwerreichen Mäzens, die noch jungfräuliche Freundin eines Bewunderers, die sich aus lauter Kummer ertränkt, die Kellnerin, die er schwanger zurücklässt, und auch nicht die Freundin seines engen Weggefährten Ekart. Mit seinem Komponisten-Kumpel verbindet Baal weit mehr als nur Freundschaft. Was ihn nicht davon abhält, seinen Lover im Streit zu erstechen. Erschöpft vom aufwühlenden Lebenswandel stirbt Baal schließlich selbst einsam im Wald.
Das Jahr 1968 setzte im Ansatz vergleichbare Umwälzungen in Gang wie 1918. Politisch wie gesellschaftlich befreite sich die westdeutsche Gesellschaft vom Muff der Adenauer-Jahre. Grund genug für Volker Schlöndorff, Brechts Stoff in die damalige Jetztzeit zu versetzen. Erst sollte Studentenführer Daniel Cohn-Bendit den Baal verkörpern, so erzählt der Regisseur in einem Interview, das zu den Extras der DVD gehört. Dann sah er den 24-jährigen Rainer Werner Fassbinder auf der Bühne.
Ein Zeitdokument, kein Meisterwerk

Die restaurierte Fassung des Fernsehfilms ist in der Zweitausendeins Edition auf DVD erschienen
Bei der Besetzung entschied sich Schlöndorff für einen Mix aus Amateuren und erfahrenen Schauspielern, darunter Margarethe von Trotta und Walter Sedlmayr. Sein Hauptdarsteller steuerte viele Akteure seines "antiteater"-Ensembles bei, die später zum Stammpersonal seiner eigenen Filme werden sollten, darunter Hanna Schygulla, Peer Raben, Irm Hermann und Günther Kaufmann. Das sollte sich beim Dreh schon als Bumerang herausstellen, denn der von Schlöndorff gecastete Schauspielanfänger Sigi Graue konnte als Ekart dem Fassbinder-Baal nicht das Wasser reichen, geschweige denn einen glaubhaften Liebhaber abgeben. Da funkte nichts, muss auch der Regisseur rückblickend einräumen.
Fassbinder dagegen machte sich die Rolle ganz zu eigen, konnte er doch aus seinem eigenen Leben schöpfen. "So wie Baal vor der Kamera trieb es Rainer dahinter mit den Leuten seiner Truppe", schreibt Volker Schlöndorff in seiner Autobiografie "Licht, Schatten und Bewegung". Überhaupt sei "Baal" trotz Texttreue weniger eine Brecht-Adaption, denn "ein wunderbares Bild dieses Münchner Frühjahrs 1969".
Und als solches hat die noch dem damaligen "Neuen Deutschen Film" verpflichtete Produktion spürbar Patina angesetzt. "Bei weitem ist der 'Baal' kein Meisterwerk", sagt auch der Regisseur mit 45 Jahren Abstand im Interview. "Aber außer seinen eigenen Filmen ist es wirklich das beste Dokument über Rainer Werner Fassbinder, was es aus dieser Zeit gibt." (to)
Baal. Drama. Deutschland 1969. Regie: Volker Schlöndorff. Darsteller: Rainer Werner Fassbinder, Sigi Graue, Margaretha von Trotta, Hanna Schygulla u.a. Laufzeit: 88 Minuten. Sprachen: Deutsch. Untertitel: Englisch (optional). FSK 12. Weltkino Zweitausendeins Edition.

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Ich reagiere grundsätzlich sehr allergisch, wenn es um die Zensur von Kunst und Kultur geht. (Was nicht heißen soll, dass es das gar nicht geben sollte. Bei Hass-Sängern, die zum Mord an Schwulen aufrufen, muss man zensieren, das hat nichts mehr mit künstlerischer Freiheit zu tun, sondern missbraucht Freiheitsrechte um die Freiheit anderer einzuschränken.)