Die Krise der schwulen Printmedien macht zuvor Undenkbares möglich: In den Niederlanden fusionierte ein seichtes Lifestyle-Magazin mit einem historischen Bewegungsblatt
Die niederländischen Magazine "winq" und "Gay Krant" sind zu "winq ǀ GK" fusioniert und wollen den LGBT-Medienmarkt auch mit einer englischen Ausgabe aufmischen. Mit Vorbildcharakter für Deutschland?
Von Pieter Schnijder
Wenn den modernen Mann auf der Rückseite einer Schwulenzeitschrift George Clooney mit der Nespresso-Tasse in der Hand anlächelt und verspricht "Pure pleasure is inside", dann weiß man meist, was es geschlagen hat. Dass man nämlich ein weiteres absolut sexfreies Mode- und Reisemagazin vor sich hat, mit einer besonders guten Anzeigenabteilung, die jede Ahnung von Schwänzen, Porno und Kink verbannt hat aus den glossy Seiten des druckfrischen Hefts. Wenn man dann aber die neueste Zeitschrift im LGBT-Segment aus Holland ein bisschen zurückblättert, findet man nicht nur diverse Anzeigen für Saunen landauf landab, sondern auch – geradezu unerhört! – eine Werbung für Treasure Island Media. Ja, genau, das notorische Bareback-Label, das HIV zelebriert und so ganz und gar nicht mit dem cleanen Nespresso-Image zusammenpasst, von George C. mal ganz zu schweigen.
Man fängt also an zu staunen. Anderswo im Heft geht's weiter mit Anzeigen für Kunstbörsen in Maastricht, einer Werbung für die holländische Polizei ("Wirst du diskriminiert? Melde es bei uns") und Floris van Bommel. Sagen wir mal so: Es ist ein ungewöhnlicher Mix. Aber an dieser neuen Publikation ist eh einiges ungewöhnlich.
Das neue Heft, um das es geht, ist eine Fusion. Und zwar der alt-ehrwürdigen "Gay Krant" aus Amsterdam, der ältesten gedruckten Schwulenzeitschrift überhaupt, die jahrelang über Homopolitik weltweit für niederländische Leser berichtete, durchaus scharf und aggressiv und bewegt. Und der etwas anonymen, aber attraktiven Zeitschrift "winq", die früher mal "Squeeze" hieß und vorwiegend mit Modestrecken und Reisereportagen glänzt, die schön bebildert sind, aber meist null Tiefgang aufweisen. Zuletzt sank der redaktionelle Anspruch von "winq" auf Listen-Ausgaben à la "Die 100 bedeutendsten Homosexuellen" oder "Die 100 schönsten Männer". Mit bunten Bildern und eingekürzten Wikipedia-Einträgen.
Wem das bekannt vorkommt, der wird sich erinnern, dass "winq" auch mit der deutschen Zeitschrift "Mate" fusionierte und seit einer Weile das holländische Heft bei uns vermarktet.
Das Beste aus zwei Welten in einem Heft
"Scharfsinnig & zusammengehörend": Zum neuen Logo des Magazins gehört auch ein neuer Claim
Im Fall der Fusion von "Gay Krant" und "winq" ist das Resultat allerdings anders. Deutlich besser. Man könnte sogar sagen, zukunftsweisend, auch für deutsche Medien wie "Männer" oder "Du&Ich". Denn man(n) bekommt nun das Beste aus zwei Welten in einem Heft – und diese zwei Welten sind rein von der Papierfarbe bei "winq ǀ GK" (so der offizielle Titel) deutlich voneinander getrennt.
So teilt sich das Heft in Segmente, die die "winq"-Redaktion unter Leitung von Edwin Reinerie mit dem üblichen Fashion- und Lifestyle-Blablabla bestückt, die aber auch mit einer lesenswerten Indien-Reportage von Guus Serendip punkten, die zwar als Geschichte über den "rosa Prinzen" Manvendra Singh Gohil schon mehrfach anderswo abgedruckt wurde (u.a. in "winq" und in "Männer"), nun aber inhaltlich und optisch gründlich aktualisiert wurde und nach wie vor ein Glanzstück ist. Daneben gibt es große Teile auf gelben Seiten von den "Gay Krant"-Redakteuren, die die Bereiche Politik, Gesellschaft und Kultur abdecken.
Da "GK" gerade in Sachen Politik hohe Glaubwürdigkeit und Kompetenz besitzt, ist ihr Imput bei einem ansonsten austauschbaren Lifestyle-Heft eine echte Bereicherung. Vielleicht sind die Themen teils nur von lokalem Interesse, zum Beispiel der Meinungsartikel zur Canal-Pride-Parade in Amsterdam oder zu den Kommunalwahlen, die letzte Woche stattfanden und die politische Landschaft in den Niederlanden gehörig durcheinanderbrachten, aber sie zeugen von Kampfeslust und Einsatz. Dinge, die man mit "winq" nicht assoziiert.
Das Erfreuliche: Dieser Politik- und Kulturteil sieht in der schicken Aufmachung des Lifestyle-Blatts deutlich attraktiver aus als ehemals zu "Gay Krant"-Zeiten. Sogar Boris Dittrich von Human Rights Watch hat eine eigene, lesenswerte Kolumne auf gelbem Papier. Diese neue Zeitschrift behauptet übrigens in ihrer Eigenwerbung, jetzt "the biggest gay magazine of Europa" geworden zu sein. Und: "winq | GK" ist nicht nur am Kiosk, sondern auch auf dem iPad oder Tablet zu lesen, die App ist gratis verfügbar.
Markenartikler und Sexclubs werben im selben Heft
Aus der Fusion von sich medientechnisch widersprechenden Welten ist vermutlich auch der Anzeigen-Mischmasch in "winq | GK" hervorgegangen: einmal die Kosmetik- und Kulturwerbung (Biotherm Homme, De Nationale Opera, Cirque de Soleil etc.), dann die Sex-Clubs, Saunen und Pornofirmen. Auffallend ist, dass trotz eines großen Modeteils mit Topmarken von Hugo Boss aufwärts keine einzige Modefirma im Heft inseriert. Muchachomalo- und Jack-Adams-Unterhosen sowie Floris van Bommel sind die Ausnahmen, die die Regel bestätigen.
Übrigens ganz im Gegensatz zu den regulären "winq"-Ausgaben. Dabei ist hier – wie dort – weit und breit kein Schwanz in Sicht. Echte Kink-Reportagen gibt's bei "winq ǀ GK" auch nicht. Es sei denn, man zählt ein Interview mit dem Gründer von "Mr. B" mit. Trotzdem: Es scheint, als verstünden die Chefs der Modehäuser da keinen Spaß. Und demonstrieren mal wieder eine Null-Toleranz-Politik. Wie schon Armin Morbach mit "Horst" erleben musste, wobei es da ja wenigstens Schwänze mit Rolex-Uhren gab. Bei "Männer" gibt's inzwischen weder Schwänze noch Rolex noch nennenswerte Mode, bei "Du&Ich" im Grunde auch nicht. Und "Horst" gibt's gleich gar nicht mehr. Was doch ein bisschen schade ist, nicht wegen der Rolex, sondern der revolutionären Erektionen.
Derweil plant übrigens der deutsche Ableger von "winq", also "Mate", ebenfalls neue Wege zu beschreiten. Wir dürfen also gespannt sein…
Das nächste Ziel ist Großbritannien
Illustration des Editorials mit der Überschrift "I want your baby". Es wird an dieser Stelle auch verkündet, dass es eine britische Ausgabe des Hefts geben wird
Die Fusion von "winq" und "GK" erinnert ein bisschen an die Situation in den USA, wo das Entertainment-Blatt "Out" zusammen mit dem politischer orientierten "Advocate" verkauft wird, in einer eingeschweißten Plastikverpackung. Trotzdem sind es dort zwei einzelne Hefte geblieben, die zwar einem Herausgeber gehören, aber nebeneinander agieren. Bei "winq ǀ GK" hat man den umgekehrten Weg gewählt und wie bei Hugo von Hofmannsthals "Ariadne auf Naxos" tatsächlich die auseinanderstrebenden Kräfte vermischt.
Ob damit zukünftig die normale Ausgabe von "winq" verschwinden wird, die momentan noch zirkuliert als Frühjahrsnummer, muss sich zeigen. Immerhin gibt der "winq"-Chef im Editorial bekannt, dass ein britischer Verleger das Blatt jetzt in England an den Kiosk bringen will. Was verblüffen mag, denn in England gibt's mit "Attitude" und "Gay Times" ja bekanntlich schon zwei sehr gute Schwulenmagazine, die das, was "winq" macht, sehr viel besser können. Aber diese beiden Hefte haben keinen echten Politikteil bzw. behandeln Homopolitik eher am Rande.
Natürlich sind politische Reportagen in Monatszeitschriften – in diesem Fall sogar einer zweimonatlich erscheinenden Zeitschrift – problematisch, weil jede Form von Aktualität nahezu unmöglich ist. Trotzdem gibt es überzeitliche Grundsatzthemen, an denen man sich abarbeiten und mit denen man auch Akzente setzen kann. Ob "Gay Krant" da künftig bei einer englischsprachigen Ausgabe irgendeine Rolle spielen wird, muss sich zeigen.
Wie es dann mit George Clooney und dem Bareback-Gott Paul Morris von Treasure Island Media weitergehen wird, darf man ebenso gespannt abwarten. Denn wenn Nespresso, Clooney und TIM friedlich nebeneinander existieren können – was sie im privaten Leben vieler schwuler Kaffee- und Pornokonsumenten eh seit langem tun – dann wäre das wahrlich revolutionär.
Den Namen finde ich etwas sperrig. Aber ansonsten glaube ich fest daran, dass ein gut gemachtes, kritisches und neutrales Homo-Magazin auch im Internet-Zeitalter seine Daseins-Berechtigung hat.
Wichtig ist eine gute Themenauswahl auch mit einigen exklusiven Inhalten, ansprechende Gestaltung und gut recherchierte und gut geschriebene Inhalte.
Reine Werbeblättchen mit bezahlten PR-Inhalten braucht niemand mehr.
Ich bin gespannt, wie das neue Magazin wird.