Ministerpräsident Kretschmann (Grüne, l.) und Bildungsminister Stoch (SPD) werden auch weiter für Schulaufklärung über sexuelle Vielfalt kämpfen. Alles andere ist ungerechtfertigte Panik, meint unser Kommentar. (Bild: Landespressedienst Baden-Württemberg)
Man sollte wachsam bleiben, aber die Landesregierung von Baden-Württemberg hat die Szene durch die Änderung des Bildungsplans nicht verraten und braucht vielmehr weiter Unterstützung im Kampf gegen Homo-Hasser. Ein Kommentar von Norbert Blech.
Haben uns nicht nur die Sozialdemokraten im Bund verraten, sondern jetzt auch die Grünen in Baden-Württemberg? So denken offenbar viele, nachdem gestern Pläne der grün-roten Landesregierung bekannt wurden, den umstrittenen Bildungsplan abzuändern (queer.de berichtete).
Vor allem ein Artikel der FAZ verbreitete sich rasant in den sozialen Netzwerken, mit der Überschrift "Grün-Rot zieht Entwurf für neuen Bildungsplan zurück" und einem Foto eines zerknirschten Kretschmanns. So entstand schnell der Eindruck eines Einknickens, eine Vermutung und Angst, die sich unter LGBT in den sozialen Netzwerken rasant multiplizierte.
Inzwischen lautet die Überschrift des FAZ-Artikels "Grün-Rot regt Korrekturen für Bildungsplan an", was der Wahrheit näher kommt und wohl zu weniger Empörung geführt hätte. Es geht tatsächlich, wie die CDU kritisiert, zunächst nur um "kosmetische Korrekturen". Liest man sich die Aussagen des grünen Ministerpräsidenten und des SDP-Bildungsministers Andreas Stoch durch, so bekennen sie sich klar dazu, dass an dem Ziel einer Aufklärung über sexuelle Vielfalt festgehalten wird. Diese Kernbotschaft zieht sich durch die zahllosen Aussagen der beiden Politiker seit dem Beginn des Streits, auch wenn sie schon seit langem Änderungen an dem Bildungsplan angekündigt haben, um die hysterische Diskussion "zu versachlichen".
Klarere Formulierung des Ziels
Der Entwurf für den Bildungsplan, das muss man sich dabei klar machen, ist nicht ein fertige Arbeitsanweisung für die Schulen und eigentlich auch nicht für die öffentliche Debatte gedacht, sondern eine Arbeitsrichtlinie für Experten-Arbeitskreise, die die eigentlichen Inhalte und Ziele des Unterrichts festlegen.
Da die vorherigen schwarz-gelben Landesregierungen das Thema sexuelle Vielfalt ignorierten, musste folglich das Ziel sein, in wirklich allen Bereichen eine Einbeziehung zu prüfen. Deswegen, und nur deswegen, fand sich das Thema im Bildungsplan als Extrapunkt unter jedem der Leitprinzipien.
Eine Prüfung in allen Bereichen ist nicht das gleiche wie eine Umsetzung in allen Bereichen. Dennoch gelang es den Gegnern des Bildungsplans, den Vorwurf zu konstruieren, die Landesregierung nehme die Diskriminierung Homosexueller wichtiger als jede andere Art der Diskriminierung und wolle sie quasi zum Hauptthema des Bildungsplans machen.
Mit rationalen Argumenten kam die Landesregierung dagegen wie bei so vielen albernen Argumenten der Gegner kaum an. Nun soll die Änderung des Plans, die Umsetzung von "sexueller Vielfalt" nicht mehr als Querschnittsaufgabe, sondern als eigener Punkt im Rahmen eines eigenen, neuen Leitprinzips gegen Diskriminierung, den Wind auf den Segeln der Kritiker nehmen. Der neue Arbeitsentwurf stellt damit das Verhältnis des Themas zu anderen Themen klarer dar als bisher, ist somit näher dran am erwünschten Endergnis, ändert aber im Prinzip nichts an der Aufgabenstellung: Das Thema angemessen aufgreifen!
Eine Frage der Tatktik, nicht der Inhalte
Gegen die ganzen Anfeindungen fehlt eine erprobte Taktik
Die Änderungen am Bildungsplan sind also – zunächst – eine Frage der Taktik, nicht der Inhalte. Bislang spricht nichts dafür, dass das Thema "sexuelle Vielfalt" jetzt weniger Gewichtung oder gar keine Berücksichtung mehr in den weiter zu erstellenden Plänen bekommen sollte. Hingegen spricht vieles dafür, dass Kretschmann und Stoch weiterhin bei jeder Gelegenheit dieses Ziel verteidigen werden.
Auch wenn es angebracht ist, der Regierung genau auf die Finger zu schauen, ist es zu billig, jetzt wie ein schwuler Verlag aus Berlin auf die Grünen einzuschlagen. Und es ist auch falsch, jetzt zu resignieren, den Kampf als verloren zu betrachten. Denn der wird weitergehen – mit diesen Änderungen werden sich die meisten Gegner des Bildungsplans nicht zufrieden geben.
Zu diskutieren wäre allerdings die Frage der Taktik selbst: Ist nicht schon diese Beseitigung von Missverständnissen, wie Kretschmann die Änderungen nennt, ein unnötiges Eingehen auf die Kritiker? Für diese Haltung finden sich durchaus Argumente. Die Änderungen geben Union und FDP wie auch vielen Gegnern des Bildungsplans teilweise gefühlt Recht, wo sie nicht Recht hatten: Bei dem Gedanken, das Thema "sexuelle Vielfalt" sei bisher überbordend im Bildungsplan gewesen. Es ist zu befürchten, dass sie sich in ihrem irrationalen Kampf eher noch bestärkt fühlen.
Zugleich könnte der Schritt bei den weniger ideologischen Gegnern des Bildungsplans – man darf die zahlreichen Unterschriften im Land von "normalen" Bürgern bei der Petition gegen den Bildungsplan nicht vergessen – zu einer ersten Deeskalation führen. Man darf auf nicht vergessen, dass selbst der CSD Stuttgart ein Aufbrechen von "verengten Sichtweisen" und wie die Gewerkschaft GEW eine ändernde Klarstellung des Bildungsplans verlangt hatten.
Die Gegner des Bildungsplans haben nun zumindest ein Argument weniger in der Tasche, gegenüber ihren Anhängern und gegenüber den Medien. Es bleiben die wirreren, die homophoben, die menschenfeindlichen – und damit auch angreifbareren – "Argumente".
Die Hoffnung der Regierung ist wohl zudem, die Gegner weiter zu spalten. Ein ebenfalls umstrittenes Treffen von Kretschmann mit Evangelikalen vor wenigen Wochen, bei dem der Ministerpräsident übrigens seine Ziele deutlich verteidigte, hatte bereits Streit innerhalb der homophoben Bewegung provoziert, da er sich nur mit dieser Gruppe getroffen hatte. Die Hoffnung bleibt, dass die derzeit gut im Chor agierenden Gruppen zurückfallen in unproduktive, ungefährlichere Einzelstimmen.
Ob das Kalkül aufgeht, ist ungewiss. Für den Umgang mit der schrillen Minderheit der Verbohrten, die für sachliche Argumente nicht empfänglich sind, aber mit ihren wirren Pseudoargumenten und Vorurteilen gerade die Bevölkerung wie nie zuvor aufhetzen, gibt es wahrlich noch keinen Lehrplan. Umso wichtiger ist es, hier weiter zusammen mit der Landesregierung für das wichtige Ziel der Schulaufklärung zu kämpfen. Und nicht gegen sie.