Eine kurzweilige und abwechslungsreiche Lesung: Biggi Wanninger, Christian Schüler und Klaus Nierhoff (v.l.n.r.) am vergangenen Wochenende in Köln (Bild: Sabine Arnolds)
Im Rahmen der Hirschfeld-Tage fand in Köln eine bewegende, aber auch komische szenische Lesung zur Lebenswirklichkeit von Lesben und Schwulen nach 1945 statt.
Von Sabine Arnolds
Die Veranstalter vom Frauengeschichtsverein und dem Centrum Schwule Geschichte (CSG) versprechen dem Publikum einen bedrückenden, leidenschaftlichen und verrückten Abend. Dass die szenische Lesung im Rahmen der Hirschfeld-Tage 2014 auch komisch werden wird, erwartet wohl keiner der etwa 35 Zuhörerinnen und Zuhörer im NS-Dokumentationszentrum in Köln. Marcus Velke vom CSG, der gemeinsam mit Irene Franken vom Frauengeschichtsverein, die Texte entwickelt hat, weist darauf hin, dass viele Jüngere sich das Leben für Schwule und Lesben in den Jahren nach 1945 nicht mehr vorstellen können.
Die Zeitreise, die das Publikum erwartet, reicht bis zum Anfang der 1970er Jahre. Zwei schwule Männer und eine lesbische Frau kommen zu Wort. Die Männer bleiben namenlos, denn ihre Texte sind aus den Interviews mit 16 Zeitzeugen, die das CSG dokumentiert hat, exemplarisch zusammengeschnitten.
Für die Lesben spricht Gertraut Müller, die Begründerin der Homosexuellen Aktion Köln. Bedrückend und leidenschaftlich sind die Texte, regen aber auch zum Schmunzeln an und entwickeln eine komische, anarchische Gewalt. Lindenstraßen-Alumni Klaus Nierhoff, Stunksitzungspräsidentin Biggi Wanninger und Schauspieler Christian Schüler gelingt es, das Publikum tief in die Welt der Protagonisten einsteigen zu lassen, es mitfühlen, mitleiden und mitlachen zu lassen.
"Deutschland sollte nicht von Schwulen wiederaufgebaut werden"
Schauspieler Klaus Nierhoff ist auch Botschafter der Hirschfeld-Tage NRW (Bild: Sabine Arnolds)
Nierhoff liest den Part des ältesten Protagonisten, geboren 1913. Schon während der Pubertät entdeckt er mit anderen Jungs seine Sexualität. Als guter Katholik beichtet er jede Woche. Der Pfarrer will es ganz genau wissen, erteilt Absolution. Lange Zeit will er nur eins, endlich "von der Sünde loskommen". Während der NS-Zeit wird er denunziert, es folgen Haft und KZ. Nach dem Krieg wird er weiter ausgegrenzt und entlassen: "Deutschland sollte nicht von Schwulen wiederaufgebaut werden." Er heiratet eine Frau, weil er glaubt, eine Ehe könne ihn heilen. Nebenbei sucht er die schnelle Begegnung mit Männern in Klappen, auf Trümmergeländen, verwilderten Friedhöfen. Gefahr droht nicht nur von der Polizei. Ein Freund wird von einer Arbeitskollegin angeschwärzt. Nur weil sie als als Denunziantin stadtbekannt ist, spricht das Gericht ihn frei.
Den Part des jüngeren Schwulen, geboren 1940, übernimmt Christian Schüler. Für ihn ist vor allem die Familie, seine Mutter, ein Problem. Als sie ihn mit sieben Jahren bei Doktorspielen erwischt, umwickelt sie seine Hände mit Mullbinden und fesselt ihn wochenlang damit nachts ans Bett. In der Pubertät entdeckt er mit einem Onkel die Sexualität: "Ich habe ihn verführt, nicht er mich." Von da ab weiß er, dass er schwul ist. Auch wenn in den 1950er Jahren andere Worte dafür benutzt werden. Später schlägt die Mutter ihn, als sie entdeckt, dass zwischen ihm und seinem Freund eine Beziehung entsteht. Erst als seine Chefin ihr mit klaren Worten ins Gewissen redet, kommt sie zu Sinnen: "Du bist alt genug, um zu wissen, was du tust." Das Thema wird nie wieder angesprochen.
Gertraut Müller, wunderbar mit kölschem Dialekt vorgetragen von Biggi Wanninger, beginnt mit 16 eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester. Mehrmals muss sie die Einrichtung wechseln, weil sie mit Mitschwestern die Sexualität erforscht: "Ich ließ nichts anbrennen." Fast verhindert ein Vorfall, dass sie die Prüfung machen kann. Sie beschließt, nie mehr mit Frauen ins Bett zu gehen. Eine Ehe folgt. Es ist ihr Ehemann, der sie endgültig und liebevoll in die richtige Richtung schubst.
"In diesem Gestank verbringst du also dein ganzes Leben"
Die Erzählungen der drei Protagonisten wechseln sich ab. Besonders spannend wird es, wenn sie Kneipen, Orte oder Ereignisse unterschiedlich kommentieren. Der ältere Schwule beschreibt den Fall des Strafrechtsparagrafen 175 als Befreiung: "Wir haben rauschhaft gefeiert in den Kneipen." Der jüngere sagt hingegen: "Viele haben das gar nicht zur Kenntnis genommen und fühlten sich auch nicht befreit." Zu tief sitzen die Minderwertigkeitsgefühle. Unterschiedlich beurteilen sie auch die Kneipen und Orte, an denen Kontakte angebahnt werden. Weder die Kneipen noch die Klappen oder Cruising-Aeras sind die Sache des Jüngeren. Über die Klappen konstatiert er lakonisch: "In diesem Gestank verbringst du also dein ganzes Leben." Er ist froh, als Ende der 1960er die erste schwule Sauna aufmacht.
Kurzweilig ist der Abend und abwechslungsreich. Die drei Schauspieler passen gut zusammen in ihrer Unterschiedlichkeit. Nierhoff verleiht mit seinem sonoren Bass dem älteren Schwulen eine Stimme. Wanninger sahnt als pragmatische Kölsche zu Recht die meisten Lacher ab. Dazu kommt der eher sanftere Ton des jüngeren Schwulen, dem Schüler eine ganz eigene stillere Note verpasst.
Gern hätte das Publikum noch länger gelauscht. Eine Wiederholung findet am 30. April im Rahmen der Hirschfeld-Tage 2014 in Aachen statt. Derzeit sammeln die Veranstalter Spenden, um weitere Abende zu gestalten.
Veranstaltungstipp
Mittwoch, 30. April 2014, 19 Uhr: Lebenswirklichkeit von Lesben und Schwulen in Nordrhein-Westfalen nach 1945 – eine szenische Lesung. Ort: Mayersche Buchhandlung Aachen, Buchkremerstraße 1-7, 52062 Aachen
Alleine schon für diese Unterdrückung und die Einschränkung der persönlichen Freiheit gehören alle Opfer des § 175 rehabilitiert und entschädigt!!