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- 17. Mai 2014 4 Min.

Der Deutsche Bundestag will das Kapital der Hirschfeld-Stiftung aufstocken - im Vergleich mit anderen Bundesstiftungen ist ihre finanzielle Ausstattung aber noch immer bescheiden (Bild: Maik Meid / flickr / by-sa 2.0)
Schwarz-Rot stockt das Vermögen der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld auf. Die Opposition nennt den Betrag "mickrig" und fürchtet einen "Ablasshandel für Defizite bei der Gleichstellung".
Von Micha Schulze
Kurz vor Beginn der CSD-Saison 2014 öffnet die schwarz-rote Bundesregierung ihr Portmonee und löst ein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag ein: Um 1,75 Millionen Euro soll das Kapital der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld aufgestockt werden.
Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz hat sich bereits am 7. Mai für die so genannte Zustiftung ausgesprochen, auch im federführenden Haushaltsausschuss gab es am 8. Mai fraktionsübergreifend Zustimmung für den "Einzelplan 07". Damit dürfte es auch bei der abschließenden Abstimmung im Bundestag keine Überraschungen mehr geben: Die zweite und dritte Lesung des Haushalts stehen in der Woche vom 24. bis 27. Juni an.
Zahlenähnlichkeit mit dem § 175 "nicht beabsichtigt"

Zweimal Hirschfeld in der Berliner Mohrenstraße: Jörg Litwinschuh, Vorstand der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (li.), und Büronachbar Ralf Dose von der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft (Bild: Klaus Born)
Beim Betrag von ausgerechnet 1,75 Millionen Euro dachten selbst Abgeordnete zunächst an einen schlechten Scherz – schließlich stellt sich die Bundesregierung parallel bei der Frage der Rehabilitierung und Entschädigung der schwulen Nachkriegsopfer des Paragrafen 175 taub. Doch Volker Abt, Büroleiter des CDU-Abgeordneten Stefan Kaufmann, versichert: "Die von Ihnen angesprochene Zahlenähnlichkeit der Höhe der Zustiftung mit dem ehemaligen § 175 StGB ist nicht beabsichtigt."
Die Hauptkritik der Opposition innerhalb und außerhalb des Parlaments setzt an einem anderen Punkt an: Insgesamt sei der Betrag viel zu niedrig, monieren Linke, Grüne und FDP gleichermaßen. Denn nicht 1,75 Millionen Euro werden der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld für ihre Arbeit zur Verfügung stehen, sondern nur die Erträge aus dem fest angelegten Kapital.
Für den ehemaligen FDP-Abgeordneten Michael Kauch, der als Vater der 2011 gegründeten Stiftung gilt, wäre eine Verdoppelung des Vermögens gerechtfertigt gewesen: "In der letzten Wahlperiode gab es über 10 Millionen Euro – jetzt mickrige 1,75 Millionen. Das ist völlig unzureichend, gerade angesichts der niedrigen Zinsen, die das Stiftungskapital derzeit erwirtschaften kann", so der Vorsitzende der Liberalen Lesben und Schwulen (LiSL) gegenüber queer.de. "Auch hier ein schwacher Start für die große Koalition."
Die Magnus-Hirschfeld-Stiftung sei "jämmerlich schlecht finanziell und personell ausgestattet", kritisiert auch der queerpolitische Sprecher der Linksfraktion Harald Petzold: "Es gibt Bundesstiftungen, die erhalten institutionelle Förderung, anderen wird wenigstens die derzeit schlechte Zins-Einnahme-Situation ausgeglichen." Mindestens fünf Vollzeitstellen hält Petzold für angemessen: "Neben dem Geschäftsführer, dessen Arbeit ich sehr schätze, also mindestens noch eine Stellvertretung sowie wissenschaftliche Fachkräfte für die Themenschwerpunkte der Stiftung und die Öffentlichkeitsarbeit. Diese Ausstattung ist mit der jetzigen Finanzierung durch Zinseinnahmen aus dem Stiftungsvermögen – selbst mit der geplanten Zustiftung – nicht machbar."
Volker Beck: Geld auch da ausgeben, "wo es weh tut"

Der schwule CDU-Abgeordnete Stefan Kaufmann setzte in seiner Fraktion die Aufstockung durch: "Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld leistet eine ganz hervorragende und wertvolle Arbeit"
Auch Jörg Litwinschuh, der rührige geschäftsführende Vorstand der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, hätte sich wohl mehr erhofft, will die geplante Zustiftung gegenüber queer.de aber nicht kommentieren. Bereits bei der schwarz-gelben Bundesregierung und während der schwarz-roten Koalitionsverhandlungen hatte der Saarländer in zahlreichen Hintergrundgesprächen für eine Aufstockung des Vermögens geworben.
Während die Regierungsparteien die zusätzlichen 1,75 Millionen wegen der angespannten Haushaltslage als Erfolg werten, fürchtet der Grünen-Abgeordnete Volker Beck einen "Ablasshandel für Defizite bei der Gleichstellung" – denn nach wie vor lehnt die Union ein volles Adoptionsrecht für eingetragene Lebenspartner ab. "Außerdem sollte Geld auch da verstärkt ausgegeben werden, wo es weh tut, weil es Veränderung bewirkt: bei der Unterstützung von LGBT-Menschenrechtsverteidigern und international bei der – auch wissenschaftlichen – Aufarbeitung des Konflikts LGBT-Menschenrechte und Religion", so der innenpolitische Sprecher der Ökopartei. "Da wagt man sich bislang zu wenig ran."
Darüber hinaus gehende inhaltliche Kritik an der Arbeit der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld ist indes kaum zu vernehmen. Mit den Hirschfeld-Tagen in Berlin und NRW, dem Anti-Homophobie-Projekt "Fußball für Vielfalt", dem LGBTI-Wissenschaftskongress im November 2013 und dem "Archiv der anderen Erinnerungen", das Nachkriegs-Opfer des Paragrafen 175 interviewt, hat sie innerhalb von nur zweieinhalb Jahren wichtige Themen besetzt, eine breite Öffentlichkeit erreicht und sich innerhalb wie außerhalb der Community Respekt erworben.
"Der Vorstand Jörg Litwinschuh leistet mit seinem Team eine ausgezeichnete Arbeit und hat es geschafft, dass die Stiftung in kurzer Zeit sichtbar wurde", lobt auch der CDU-Abgeordnete Stefan Kaufmann gegenüber queer.de. Zumindest hier liegt er auf einer Linie mit der Opposition.
Update 19.05.2014: SPD verteidigt den Aufstockungsbetrag
Der schwule SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs hat die Aufstockung des Stiftungskapitals um den Betrag von 1,75 Millionen Euro als ausreichend verteidigt. "Die aktuelle Zustiftung reicht trotz des sehr niedrigen Zinsniveaus aus, um zwei halbe Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter zu finanzieren", sagte das Mitglied des Haushaltsausschusses gegenüber queer.de. "Bei einer künftigen Anhebung des Zinsniveaus könnten zusätzlich Projekte gefördert werden."
Eine weitere Aufstockung des Kapitals sei in dieser Legislaturperiode "leider nicht geplant", sagte Kahrs, der sich klar hinter die Arbeit der Siftung stellte: "Die Magnus-Hirschfeld-Stiftung, insbesondere Jörg Litwinschuh und sein Team, leisten meines Erachtens eine hervorragende Arbeit. Ich würde mir wünschen, dass in Zukunft etwas weniger 'Klein-Klein' die Arbeit bestimmt und der Fokus auf das 'große Ganze' gerichtet wird."
Links zum Thema:
» Homepage der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld
Mehr zum Thema:
» Zwei Jahre Hirschfeld-Stiftung: Staatsnähe als Chance? (13.11.2013)














