Stigmatisierung ist nicht gottgegeben - wer sich des Problems bewusst macht, hat bereits den ersten Schritt getan. (Bild: Steven Depolo / flickr / by 2.0)
HIV-Positive müssen noch heute gegen Stigmatisierung kämpfen. Was bedeutet das für sie? Und wie kann man sich dagegen wehren?
Von Carsten Weidemann
HIV ist heute kein Todesurteil mehr wie noch vor 20 Jahren und kann in Deutschland gut behandelt werden. Dennoch ist die öffentliche Wahrnehmung anders als bei anderen chronischen Krankheiten wie Asthma oder Diabetes. "Es ist nach wie vor so, dass HIV-Positiven von außen ein Stigma aufgedrückt wird, sei es bei Ärzten oder der Partnerwahl", erklärte etwa der Münchener Facharzt Helmut Hartl unlängst im queer.de-Interview. Gegen Stigmatisierung kann man aber etwas tun – sowohl der Einzelne als auch die Gesamtgesellschaft.
Zunächst die Frage: Was ist Stimga? Der Begriff kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet Wund- oder Brandmal. Das Wort wird heute genutzt, um einen Menschen zu beschreiben, der sich in den Augen anderer vom Rest der Gesellschaft unterscheidet. Das kann aufgrund der sexuellen Orientierung geschehen oder möglicherweise weil jemand aus einem anderen Land kommt. Weitere Stigmatisierungsmerkmale sind zum Beispiel Arbeitslosigkeit, Drogenabhängigkeit, eine Behinderung – oder eben eine HIV-Infektion.
Wird diese Stigmatisierung durch große Teile der Gesellschaft verinnerlicht, wird es ganz gefährlich. Das kann sich massiv auf das Selbstbewusstsein und das Selbstwertgefühl eines stigmatisierten Menschen auswirken und ihn sogar gesundheitlich ruinieren. Gerade beim Thema HIV ist das problematisch: Wenn Menschen glauben, sie seien nichts wert, gehen sie größere gesundheitliche Risiken ein, etwa durch überhöhten Alkoholkonsum oder unregelmäßige Arztbesuche.
Stigmatisierung fängt in der Jugend an
Wichtig für jeden einzelnen ist es, sich seiner eigenen Vorurteile bewusst zu werden. In der Kindheit könnte der Teufelskreis bereits angefangen haben mit Klassenkameraden, die man nicht leiden konnte, weil sie eine Brille oder nicht die "richtige" Kleidung trugen, unsportlich waren oder ursprünglich aus der Türkei stammten. Heute schimpft man dann eben über "Harz-IV-Schmarotzer" oder stempelt alle Jugendlichen mit einem dunkleren Teint als "Klau-Kids" ab.
Beim Thema HIV ist es auch für Negative wichtig, sich zu informieren – und Vorurteile durch Fakten zu ersetzen. Auf der Website der Deutschen Aids-Hilfe kann man sich etwa hervorragend über Übertragungswege und eine Leben mit dem Virus informieren. Ein guter Ansatz ist auch, ausgegrenzte Menschen in sozialen Netzwerken zu unterstützen: So bewirkt es schon etwas, Fan von "Sportler gegen Stigma" zu werden. Diese Gruppe ist im vergangenen Jahr vom BioPharma-Unternehmen AbbVie gegründet worden, um der Stigmatisierung den Teamgeist und die Offenheit des Sports entgegenzustellen.
Viele Anlaufstellen bieten Hilfe an
Poster für "Sportler gegen Stigma"
Wer sich selbst als HIV-Positiver stigmatisiert fühlt, kann auch rechtlich dagegen vorgehen: So gibt es seit 2006 in Deutschland das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das Menschen vor Diskriminierung am Arbeitsplatz oder beim Zugang zu Dienstleistungen schützt. Wird jemand wegen seiner Homosexualität diskriminiert, steht ihm Schadensersatz zu. Das gleiche gilt für HIV-Positive: Im Dezember 2013 stellte das Bundesarbeitsgericht klar, dass eine HIV-Infektion ohne Symptome als Behinderung anzusehen und damit in dem Gesetz erfasst ist (queer.de berichtete).
Bei erlebter Diskriminierung kann man sich von Aids-Hilfen beraten lassen (hier die Adressen in Deutschland). Es gibt auch weitere Einrichtungen wie die aidshilfe-beratung.de, die bundesweit unter 0180/3319411 für neun Cent pro Minute erreicht werden kann. Die Deutsche Aids-Hilfe in Berlin hat auch eine Kontaktstelle zu HIV-bedingter Diskriminierung für Erstberatung eingerichtet. Ansprechpartnerin ist Kerstin Mürsch (Tel. 030/690087-67, Bürozeiten: Montag, Dienstag, Freitag, je 9 bis 15 Uhr). Zudem gibt es auch Beratung bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die die Umsetzung des Gleichbehandlungsgesetzes überwacht (Tel. 030/18555-1865, Bürozeiten: Montag bis Freitag je 9 bis 12 und 13 bis 15 Uhr).
Nur wenn das Stigma verschwindet, müssen sich Positive nicht mehr verstecken. Und wenn sie ohne Furcht mit Freunden und Familie über ihre HIV-Infektion sprechen und selbstbewusst dem Leben entgegentreten können, ist die Gesellschaft wieder ein bisschen fairer geworden.