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Diskussion in Köln
Pride 2.0 – Wie weiter mit der (CSD-)Bewegung?
- 01. Juli 2014 8 Min.

Ralf König bot dem Publikum Lacher und ältere Comics zur immer aktuellen Frage: Wie muss ein CSD heute aussehen?
In einer "Denkfabrik" suchte der Cologne Pride nach der Zukunft des Christopher Street Days.
Von Norbert Blech
45 Jahre ist der Stonewall-Aufstand in New York nun schon her, auf den sich die Prides in aller Welt beziehen, 35 Jahre der erste Gay Freedom Day in Köln. Ist der CSD also in die Jahre gekommen? Braucht die Bewegung neue Protestformen oder ist die bewährte Pride-Mischung aus Party und Politik nicht doch noch zeitgemäß? Während der Berliner CSD auf diese Fragen mit seinem umstrittenen Stonewall-Konzept von oben reagierte, lud der Cologne Pride am letzten Samstag zur offenen Debatte ins Museum für Angewandte Kunst: "Denkfabrik Pride 2.0".
Mit insgesamt neun Referenten sollten neue Wege für die Bewegung gesucht werden. Letztlich waren in der Diskussion aber wenige Utopien oder Vorschläge zu hören, eher war sie ein Austausch über den derzeitigen Stand der Bewegung und aktuelle Befindlichkeiten.
Dabei hatte der Grünenpolitiker Volker Beck eine gute Vorlage für eine Diskussion geliefert: Bevor er ein wenig parteipolitisch wurde, analysierte er die "neue homophobe Internationale". Früher habe man es mit Leuten wie Norbert Geis zu tun gehabt, der so kontraproduktiv argumentiert habe, dass er für seine Verdienste für die LGBT-Bewegung das Bundesverdienstkreuz bekommen müsste.

Volker Beck
Heute suchten die Gegner subtilere Argumentationen: Hass wird als Kampf für Meinungsfreiheit versteckt; Diskussionen, die eigentlich das Existenzrecht Homosexueller angreifen, werden im Rahmen des Streits um den Bildungsplan derart verdeckt geführt, dass Medien sie haltungslos wie einen Streit über die Rente aufgreifen. Homo-"Heilung" wird als Hilfe für Leute, die Hilfe suchen, verniedlicht.
Die neuen Homophoben sind dabei gut vernetzt, beschreibt Beck – zu anderen Gruppen im Ausland oder auch in einige Parteien hinein: Die AfD profitiert vom homophoben Bildungsplan-Streit, den sie selbst mit anfeuert. Und Unions-Fraktionschef Volker Kauder macht der Evangelischen Allianz die Aufwartung, aus deren Reihen die "Heilung" Homosexueller propagiert wird und deren Veranstaltungen teilweise von der Konrad-Adenauer-Stiftung mitfinanziert werden.
Dabei schwappen die neuen Argumentationsmuster, etwa "Toleranz statt Akzeptanz", und die neuen Kampfbegriffe wie "Gender Mainstreaming" auch in den Mainstream über, so Beck, der das als religionspolitischer Sprecher der Grünen ausgerechnet an einem Vatikan-Papier festmacht. Das alles erfordere eine "neue Kommunikationsaufgabe, für die Politik, aber auch für Prides". Der "homophobe Neusprech" sei zu analysieren und zu entmanteln.
Stragien gegen den Homo-Hass 2.0 zu entwickeln, wäre sicher eine Aufgabe für einen Pride 2.0 – wie auch für Szene-Verbände, Medien, Politik und Gesellschaft. Im Anschluss zu Beck machte aber zunächst Alva Dittrich vom alternativen Kölner CSD, der später am Nachmittag zum ersten Mal seit Jahren stattfand, neue Fässer auf.

Alva Dittrich
Am historischen Datum des Stonewall-Aufstandes kritisierte sie den Begriff "Pride", der entpolitisiert sei und wenig aussage – man vergleiche das mit dem "Stolz" auf die Nationalmannschaft. Es gebe nicht nur eine Szene und folglich nicht nur den einen CSD, auch wenn es neben linken Positionen "etwas Grundsätzlicheres" geben müsse.
Ein CSD müsse auch Rassismus-Kritik bieten, zudem mehr trans und multikultureller sein und das Thema Asyl thematisieren, forderte Dittrich. Auch in der Szene gebe es Ausgrenzung, kritisierte sie zu Recht. Ihr Beispiel, als Frau vom Türsteher eines Schwulenclubs abgewiesen worden zu sein, war allerdings nicht das gelungenste. Mit der Aussage, der Kapitalismus bringe Homophobie hervor, erntete Dittrich schließlich einigen Widerspruch.

Alfonso Pantisano
In dieser recht unsortiert zusammengesetzten ersten Runde folgte dann Alfonso Pantisano vom Berliner Aktivistenbündnis "Enough is Enough", einst als Initiative einiger Freunde entstanden, inzwischen zu groß zum Aufhören. "Wir haben uns entschieden, Verantwortung zu übernehmen", sagt er dazu.
Über den heimischen Streit um den Berliner CSD habe er sich geschämt. Dabei seien nur Einzelpersonen, und nicht die Community zerstritten. Ein CSD könne aber viel leisten, da die Leute, auch die jungen, sich durchaus mobilisieren ließen. Das hatte "Enough is Enough" durchaus eindrucksvoll gezeigt.
Allerdings wäre auch hier eine längere Anschlussdiskussion spannend gewesen, was einerseits Prides von der neuen Bewegung lernen können und ob diese andererseits vielleicht noch etwas mehr Substanz und Vielfalt gebrauchen könnte – es gab Publikumsfragen nach der Botschaft und dem Erfolg von "Enough is Enough" ebenso wie nach der Beteiligung von Lesben an der Gruppe. Auch welchen Nutzen und Schaden soziale Netzwerke einer Bewegung bringen können und ob Facebook & Co. sie nicht so oder so verändern, wäre eine Debatte Wert gewesen.

Ulli Klaum
Statt ergiebigen Diskussionen hetzte man aber durch das Programm samt Mittagessen und etlichen Pausen. Sechs weitere Redner kamen mit sehr unterschiedlichen Einzelbeiträgen zu Wort. Ulli Klaum von der Akademie Waldschlösschen betonte die Wichtigkeit der Bildung und der Fortbildung von Multiplikatoren: "Die Mehrheit kann von uns profitieren", müsse "Vielfalt begreifen und leben".
Der Blogger Johannes Kram regte sich, quasi als dringende Warnung und mit zunehmender Dramatik, über die Ungeschlossenheit der Berliner Szene und den CSD-Streit auf. Ralf König las einige seiner Comics vor, die den alten CSD-Grundkonflikt zwischen Politik und Party thematisierten. Er selbst findet keine Lösung: Einerseits fand er es doof, dass damals, als er mit Freunden in einem Wahljahr beim CSD eine "Entstoiberungsaktion" machte, die ganze Medienaufmerksamkeit der Drag Queen galt, die hinter seiner Truppe stolzierte. Andererseits stolziert auch er gerne mal im Fummel. Ein möglichst großer CSD sei noch immer wichtig für die Teenager, sagte er noch, und, zum Einrahmen: "Humor ist ein gutes Gleitmittel für politische Botschaften".

Georg Roth, bekannt auch als Sister George
Für einige Lacher sorgte auch Georg Roth, beim Kölner Beratungszentrum Rubicon zuständig für schwule Seniorenarbeit, der anhand von Schlagertexten einen unterhaltsamen und viel zu kurzen historischen Abriss der Bewegung bot. "Die Zukunft liegt für mich in der Vergangenheit", betonte er. Man müsse der nachwachsenden Generation wie der Gesellschaft die eigene Geschichte und Struktur erklären, die sich etwa in der Aids-Krise bewährt habe. "Unsere Kultur gilt es zu bewahren und weiterzugeben." Ansonsten lobte er Strukturarbeit, Zusammenhalt bei aller Verschiedenheit oder das Engagement der Jugendlichen vom Schulaufklärungsprojekt SchLAu NRW und betonte, dass sich laut Studien ein Drittel der Gesellschaft für Engagement oder Aktivismus begeistern ließen. Da wäre noch etwas zu holen.

Gabriele Bischoff
Weitere Ideen in der CSD-"Denkfabrik" kamen von Gabriele Bischoff von der LAG Lesben NRW, die zunächst kritisierte, dass sie Podien mit derlei geringer Frauenquote höchstens noch von CDU oder FDP kenne und entsprechende Einladungen normalerweise in den Papierkorb befördere. Ohnehin scheinen die schwul-lesbischen Beziehungen auch 2014 noch unter simplen Missverständnissen, deutlicher Ignoranz auf schwuler Seite und gelegentlich zu großer Abgrenzung auf lesbischer Seite zu leiden, was bei diesem Forum deutlicher wurde als beim CSD und der täglichen Szenearbeit in NRW selbst. Zweifellos ist das auch auf den Trans-Bereich übertragbar.
"Lesben gehen gerne mit, wenn sie nicht nur mit gemeint sind", fasste Bischoff das Problem zusammen. Dabei sei man nur durch Vielfalt stark: "Wir haben nichts geschenkt bekommen, sondern haben uns alles gemeinsam erkämpft." Neben dem gemeinsamen Forderungen müssten aber auch Fragen, die nur Teile betreffen, wie sexuelle Gewalt gegenüber Frauen, als gemeinsames Thema erkannt werden.
Leider vergab Bischoff mit der im Publikum gut ankommenden Strukturkritik die Chance, mehr Ideen zur Zukunft des CSD vorzustellen, wovon sie nicht wenige zu haben schien. CSD-Paraden könnten nach Themenblöcken sortiert werden, schlug sie vor. Sie bewundere die "CSD-Vielfalt" in Berlin; es gebe über 100 Parteien, dann könnte es auch mehrere Prides geben. Zugleich hatte sie, in Anlehnung an den 1. Mai oder 8. März, die Idee, alle CSDs in NRW oder gar Deutschland an einem Tag, etwa dem 28. Juni (also dem Stonewall-Jahrestag) abhalten zu lassen.
In den Pausen führte das unter vielen Besuchern durchaus zu Diskussionen. Einerseits könnte ein einheitlicher Tag erheblich mehr Medienaufmerksamkeit bringen, andererseits wäre das kaum praktikabel, da CSD-Veranstalter ja auch Besucher aus anderen Städten wünschen. Und zudem gibt es noch den Internationalen Tag gegen Homophobie am 17. Mai, an dem sich immer mehr Menschen in immer mehr Städten beteiligen.
Andere Diskussionen abseits des Podiums: Will man ein Motto oder mehrere, wie dieses Jahr in Köln? Oder: Wenn man in der Domstadt-Parade schon so viele mitlaufende LGBT-Jugendliche hat, etwa vom Zentrum anyway und von SchLAu, und diese sich auch immer inhaltlich beteiligen: Warum macht man nicht – in diesem krassen Bildungsplan-Jahr – das Thema Schule zum Motto? Anhand der vielfältigen Gruppen, die beim Domstadt-CSD teilnehmen (ein großes Plus im Vergleich zu Berlin!), könnte man jedes Jahr aktuelle Themen aufgreifen und Medien Ansprechpartner bieten.

Jan Feddersen
Andere fanden genau gegenteilig, man dürfe sich nicht von den Gegnern die Themen aufzwingen lassen. "taz"-Redakteur Jan Feddersen plädierte generell zu "weniger Opferismus", weniger Gejammer. Man müsse sich den Diskursen stellen, die beste Antwort sei aber, die Diskussionen unbeleidigt zu führen und sich der eigenen Stärken bewusst zu sein, diese selbstbewusst zu feiern. Ein CSD dürfe und sollte folglich so schrill, bunt und laut wie möglich sein.
Viel weiter ist man nach dieser Diskussion also nicht in der Frage Pride 2.0, und doch hat etwa ein queerer Medienredakteur noch einmal eindrücklich gemerkt, dass da in der Szene viele wichtige wie vielfältige Stimmen mehr Gehör vertragen könnten. Einige dieser Stimmen haben sich am Samstag erstmals vernetzt, hier lernte eher Berlin von Köln als umgekehrt, und das bringt immer seine Vorteile, neben dem Ideenaustausch auch durchaus praktische: Dank Volker Beck hat nun etwa ein russischer LGBT-Aktivist doch noch ein Visum erhalten, um der Einladung zum Kölner CSD zu folgen.
Der steht am nächsten Wochenende an, und vielleicht findet sich danach die Zeit, eine zweite, ins Detail gehende Runde der "Denkfabrik" zu planen. Darin sollte sich auch jemand vom Cologne Pride selbst der Debatte stellen.
Fotos: Jörg Kalitowitsch (Cologne Pride), Norbert Blech
Links zum Thema:
» Webseite des Cologne Pride
















Es mag sein, siehe Bildungsplan, daß man sich von seinen Feinden das Schlachtfeld nicht vorgeben lassen soll. Aber diese Feinde haben sehr genau erkannt wo sie mit wenig Aufwand den schlimmsten Schaden anrichten können. Sie zielen darauf die Situation für diejenigen von uns die sich am wenigsten zur Wehr setzen können schlecht zu halten und durch ihre giftigen Ohreinträufelungen, ihre Stimmungmache, ihr Erzeugen einer Homophobie begünstigenden Sprachumgebung möglichst zu verschlimmern.
Vielleicht sollten wir ihnen sogar dankbar sein, daß sie uns zeigen wo der Schwerpunkt für uns zu setzen ist.
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