David Althammer mit Patenkind Rene Götting auf dem Spielplatz: "Freundschaft, die sich entwickelt, kann und darf sich durch körperliche Nähe ausdrücken"
Eine ganz besondere Beziehung zeigt die sehenswerte und lehrreiche Doku "Halt mich!" von Wolfgang Fänderl. Filmpremiere ist am Sonntag in Berlin.
Von Robert Niedermeier
Zwei Männer tollen gemeinsam auf einer Vogelnest-Schaukel, sie berühren und stützen sich einander. Beide halten dabei die Balance. Zwei, die ihre Vertrautheit zeigen. Ein Paar, das offensichtlich eine stabile Beziehung führt. Die Chemie stimmt. Trotz des hohen Altersunterschiedes.
Die Einstiegsszene von Wolfgang Fänderls 36-minütiger Dokumentation "Halt mich" könnte auch einem Feelgood-Movie entsprungen sein. Doch alles ist echt und vor allem ganz anders als es der erste Eindruck zu vermitteln scheint.
David Althammer lernt Rene Götting vor elf Jahren als Achtjährigen kennen. Die allein erziehende Mutter ist damit einverstanden, dass der Berliner Unternehmer eine Patenschaft übernimmt. "Ich war ein Katastrophenkind", erzählt der zum Drehzeitpunkt 16 Jahre alte Teenager. Sabine Schepp vom Patenschaftsprogramm "Biffy – Big Friends for Youngsters" hat vermittelt und Mutter, Kind und den schwulen Mittdreißiger einander vorgestellt.
Der ungeheuerliche Verdacht schwingt immer mit
David lernte Rene als Achtjährigen kennen
"Als ich erfuhr, dass David schwul ist, war ich irritiert", gibt Mutter Vera Götting in Fänderls einfühlsamen Film zu. "Warum macht ein Mann das?", diese Frage hätten sich auch Gäste eines Projekt-Sommerfestes gestellt, erzählt Sabine Schepp: "Misstrauen tauchte auf." Kein einziges Mal fällt über die gesamte Strecke des Films das Wort "pädophil". Dennoch schwingt von Anfang an dieser ungeheuerliche Verdacht mit. Der Zuschauer ertappt sich selbst dabei, sich dem Moment des Vorwurfs kaum entziehen zu können. Der Film im Kopf rattert mit jedem zärtlichen Blick, den sich Rene und David zuwerfen und jeder sanften Geste. Dabei spielt Sex überhaupt keine Rolle in "Halt mich!".
"Schwule stehen nach wie vor unter Generalverdacht", sagt Filmemacher Wolfgang Fänderl gegenüber queer.de: "Das sollte uns aber nicht daran hindern, Verantwortung zu übernehmen", fordert der Münchner: "Schwule Männer werden im Alltag gebraucht." Zwar agiert Fänderl vom Mediennetzwerk "Queerelations" im Film als unsichtbarer und neutraler Beobachter – Botschaften transportiert sein Film trotzdem zuhauf. Auch jene Erkenntnis, dass Menschen sich erst einmal kennen lernen müssen, um sich wirklich zu verstehen. Daraus kann dann sogar Liebe erwachsen, auch die Liebe zu sich selbst und der eigenen sexuellen Identität.
"Ich spürte Unsicherheit beim Raufen und Kuscheln", gesteht David vor der Kamera. Doch ausgerechnet das Kind lehrte dem Erwachsenen, damit locker umzugehen. "Freundschaft, die sich entwickelt, kann und darf sich durch körperliche Nähe ausdrücken", ist er sich durch Rene bewusst geworden. Das Kind hätte dabei bestimmt, wie viel Nähe es möchte oder nicht. "Dadurch habe ich meine Unsicherheit verloren", sagt David. "Die Meinung von außen hat für uns dann keine Rolle mehr gespielt."
Der Argwohn wandelt sich in Empathie
Rene und David beim Rollerbladen
Heitere Musik des Münchener Komponisten Frank Loleit untermalt indes die fröhlichen, von Rainer Michaelis geschnittenen Bilder auf dem ehemaligen Flugfeld der Tempelhofer Freiheit. Unbeschwert fährt der 44-Jährige mit dem Teenager Rollschuh. Pate und Patenkind lachen, drehen Pirouetten, sind albern, verspielt und fallen sich in die Arme.
Ja, diese Doku ist ein Feelgood-Movie – im besten Sinne. Auch die Mutter ist glücklich, dass sie David für ihren Rene gefunden hat. Und David erzählt zum Ende des Films, dass er es Rene zu verdanken habe, endlich bereit für eine Partnerschaft gewesen zu sein. Rene hat sich derweil vom gehänselten "Katastrophenkind" prächtig zum Klassensprecher entwickelt und gelernt, mit seiner anfänglichen Eifersucht gegenüber Davids Ehemann umzugehen. Eine echte Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Selbst Davids Geschäftspartner lobt den positiven Einfluss der Patenschaft auf die Zusammenarbeit in der gemeinsamen Casting-Agentur.
Vor allem jedoch gewinnt der Zuschauer an diesem pädagogisch wertvollen Werk. Verdruckster Argwohn wandelt sich beim Zuschauen in Empathie. Man ist gerührt, spätestens dann als Rene die Frage beantworten soll, was denn der Unterschied zwischen einer Patenschaft und einer Partnerschaft sei: "Von den Gefühlen her ist es auf den selbem Niveau."
Dieser Film versperrt Vorurteilen den Weg, aber öffnet Herzen. Das hilft allen.
Youtube | Offizieller Trailer zur Doku
TerminhinweisFilmpremiere am Sonntag, den 6. Juli 2014 um 19 Uhr im Café & Restaurant
wilde Oscar, Niebuhrstraße 59/60, 10629 Berlin-Charlottenburg. Eintritt und Gastronomie ab 18 Uhr. Nach dem Film Diskussion zum Thema "Können, dürfen und wollen Queers Verantwortung für Kinder übernehmen?". Eintritt = Spende
Im Kampf gegen die Homophobie sollte der Film in allen deutschen Schulen vorgeführt werden und Bestandteil des Bildungsplans sein. Vielleicht könnte man ja noch einen ähnlichen Film mit Trans-, Inter- und Bisexuellen machen.