Hü und Hott: Eine knappe 5:4-Entscheidung des Supreme Courts sorgte im vergangenen Jahr dafür, dass die Ehe-Öffnung vorangetrieben wurde - eine 5:4-Entscheidung ist nun dafür verantwortlich, dass die Diskriminierung von Schwulen und Lesben einfacher wird
Sechs LGBT- und Bürgerrechtsgruppen ziehen ihre Zustimmung für ein Gesetz zum Schutz von sexuellen Minderheiten zurück, weil die Ausnahmen für religiöse Gruppen nicht mehr tragbar seien.
Eine bizarre Wende im jahrzehntelangen Streit um ein umfassendes Antidiskriminierungsgesetz aufgrund der Merkmale sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität in den USA: Am Dienstag haben die schwul-lesbische Gruppe "National Gay and Lesbian Task Force" und die "American Civil Liberties Union (ACLU)", die größte US-Bürgerrechtsorganisation, ihre Unterstützung für den "Employment-Non-Discrimination Act" (ENDA) zurückgezogen. Vier andere nationale LGBT-Gruppen schlossen sich der Erklärung an und äußerten die Befürchtung, dass das Gesetz die Lage von sexuellen Minderheiten sogar verschlechtern werde.
ENDA sollte Schwule, Lesben und Transsexuelle vor Diskriminierung am Arbeitsplatz schützen. Der Gesetzentwurf, über den seit 20 Jahren im Kongress verhandelt wird, erhielt im vergangenen Jahr erstmals eine Mehrheit im Senat. Diese enthalte aber nach Ansicht der Bürgerrechtsorganisationen zu große Ausnahmeregelungen für religiöse Menschen, für die das Gesetz ein Freibrief für Diskriminierung sein könne.
Grund für den Meinungsumschwung zum jetzigen Zeitpunkt ist die Supreme-Court-Entscheidung im Fall "Burwell v. Hobby Lobby" vom 30. Juni, in dem die Richter mit knapper Mehrheit das Recht auf Diskriminierung durch religiöse Menschen gestärkt haben. In dem Fall hatte die Hobbyladenkette "Hobby Lobby" gegen die Gesundheitsreform von Barack Obama geklagt.
Die Anwälte der Firma argumentierten, dass die Kette mit rund 600 Geschäften in den USA weiblichen Angestellten nicht die volle Krankenversicherung bezahlen solle, weil diese Verhütungsmittel mit einschließe. Da der Konzern aber christliche Wurzeln habe, könne er vom Staat nicht gezwungen werden, "sündhafte" Verhaltensweisen zu unterstützen. Die Anwälte beriefen sich dabei auf ein Urteil aus dem Jahr 2010, in dem der Supreme Court entschieden hatte, dass Firmen wie Privatpersonen ein Grundrecht auf freie Meinungsäußerung – und auch auf Religionsfreiheit – hätten. Die Richter stimmten der Argumentation von "Hobby Lobby" schließlich mit fünf gegen vier Stimmen zu.
Freibrief für Diskriminierung durch homofeindliche Christen
Nun befürchten die LGBT-Gruppen, dass christliche Homo-Gegner auf diese Weise ENDA zu Fall bringen könnten und damit ein verbrieftes Recht auf Diskriminierung hätten. Die augenblickliche ENDA-Version, die vom Senat beschlossen wurde, enthält bereits viele Ausnahmen für religiöse Einrichtungen – diese wurden eingesetzt, um auch republikanische Stimmen für das Antidiskriminierungsgesetz zu erhalten. Mit der Hobby-Lobby-Entscheidung könnten diese Ausnahmen nun auf alle Firmen ausgeweitet werden, solange sie die Diskriminierung religiös begründen.
LGBT-Aktivistin Lea Carey bedauert, dass sie sich nun gegen das Gesetz aussprechen muss – obwohl sie zwei Jahrzehnte lang dafür gekämpft hatte
Rea Carey von der "National Gay and Lesbian Task Force" erklärte in einer Pressemitteilung: "Wir sind besorgt, dass die Ausnahmen in ENDA eine Lizenz zum Diskriminieren im ganzen Land sein werden. Diese Schlupflöcher könnten negative Auswirkungen auf LGBT und ihre Familien haben. Das könnte auch die Eheschließung, Zugang zu HIV-Medikamenten und andere Nachteile im Gesundheitssystem nach sich ziehen." Zwar habe sie zwei Jahrzehnte lang für ein Antidiskriminierungsgesetz gekämpft, glaube nun aber, dass die augenblickliche Version mehr negative als positive Auswirkungen haben würde.
Carey bedauerte, dass der Supreme Court die selben Fehler mache wie bei der langsamen Gleichstellung von Schwarzen in den USA. So sei die Diskriminierung von Afro-Amerikanern bis in die 1960er Jahre – teilweise sogar darüber hinaus – auch religiös begründet worden.
Die ACLU erklärte in einer Stellungnahme, dass sie nur eine Bitte an den Gesetzgeber habe: "Gebt religiösen Arbeitgebern keine Lizenz, LGBT zu diskriminieren. Sie haben ja auch kein Recht mehr auf Basis von Rasse, Geschlecht, nationaler Herkunft, Behinderung oder wegen genetischer Informationen zu diskrimineren." Diese Merkmale sind bereits jetzt in nationalen Antidiskriminierungsgesetzen verankert.
In der Mehrheit der US-Staaten dürfen LGBT am Arbeitsplatz diskriminiert werden. Gesetze gegen Ungleichbehandlung am Arbeitsplatz aufgrund der sexuellen Orientierung gibt es in nur 21 der 50 Bundesstaaten, gegen Ungleichbehandlung aufgrund der Geschlechtsidentität sogar nur in 17 Staaten. (dk)