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Alberne Anpassungs-Debatte
Schwuler Frisör von schwuler Schrillheit "provoziert"
- 01. August 2014 5 Min.
"Peinlich oder wichtig?", fragt die "Hamburger Morgenpost" am Freitag zum CSD auf ihrer Titelseite. Auch "Männer" führt unterirdische Debatten.
"Hamburger streiten, ob der CSD zu schrill und unpolitisch ist", heißt es heute auf der Titelseite der MoPo. Übersetzt heißt das: Man hat wohl gezielt Leute für einen Streit gesucht und einen 27-jährigen Frisör namens Benjamin Rial-Farina aus Winterhude gefunden. Seine Grundthese zum CSD: "Ich fühl' mich provoziert!"
Die MoPo nennt das einen "Zoff um die Schwulenparade" und fragt: "Muss es immer so schrill sein?" Das könnte sich die Zeitung freilich zunächst selbst fragen: Es sind vor allem die Medien, die gezielt nur das Schrille aufgreifen. Ebenso wie sie durch den Begriff "Schwulenparade" die Vielfalt und das Anliegen der Demonstration nur eingeschränkt wiedergeben. Lesben? Transsexuelle und Transgender? Sind für Medien genauso vernachlässigbar wie die durchaus vorhandenen politischen Botschaften.
Rial-Farina sagt, er gehe am Samstag zum ersten Mal seit zehn Jahren auf den CSD und habe "jetzt schon keine richtige Lust, weil mich das Schrille wieder so nerven wird". Er werde zu der Veranstaltung "wie ein normaler Bürger gehen, weil ich noch an die ursprüngliche Idee glaube. Viele sehen ihn ja heute nur noch als lustige Homo-Party."

Was die "ursprüngliche Idee" sein soll, verrät der Frisör nicht. Er scheint aber Politik zu vermissen; ein Heterosexueller würde auf der Parade "nur einen Haufen von bunten und lauten Personen" sehen, kritisiert er. Zur Politik hat er zugleich Vorstellungen, die der "ursprünglichen Idee" oder dem Stonewall-Aufstand vielleicht nicht ganz entsprechen: "Wir müssen uns der Masse anpassen. Randgruppen können nur so ihre Ziele durchsetzen", sagt er in dem Streitgespräch. "Wäre es nicht produktiver, sich anzupassen und mit Argumenten zu arbeiten als mit übertriebenen Events?" Selbst Conchita Wurst ist vor Kritik nicht sicher: "Der Bart hätte wegbleiben können. Dann hätten selbst Konservative gesagt: super!"
Googelt man den Namen des Frisörs, findet man übrigens keinen Hinweis auf eine politische oder sonstige Aktivität im Dienste der Sache. In seinem Facebook-Profil verbreitet er alle paar Monate mal eine Nachricht zu LGBT-Themen, vor allem zu Russland. Bei dem Streitgespräch traf er auf die Drag Queen Valery Pear, die galant konterte, dass die Gegenthese letztlich ein Verstecken fordere, wo es um "Offenheit, Toleranz und Freiheit" gehe. Der CSD müsse gar "noch bunter und schriller" werden, man transportiere so schließlich auch politische Botschaften ins In- und Ausland. Mit Politik hielt sich das Streitgespräch allerdings nicht lange auf.
Dabei heißt das Motto des diesjährigen Hamburger CSD "Grenzenlos stolz statt ausgegrenzt", und Vorstand Stefan Mielchen zeigt in Interviews, wie gut man als CSD, Demoteilnehmer oder Medium damit politische Themen aufgreifen kann (nebenbei kann man das Motto auch als schöne Gegenthese zu Frisör Rial-Farina lesen, denn eine nur halb stolze Anpassung führt logischerweise auch zu Ausgrenzung). Gänge es der MoPo um die Sorge um mangelnde Politik, hätte sie ansonsten auch die russischen Aktivisten befragen können, die gerade auf Einladung des LSVD Hamburg anlässlich des CSD in der Stadt weilen.
Stattdessen greift die Zeitung die Frage "Muss es wirklich immer so schrill sein?" sogar als Online-Abstimmung auf und befördert damit Spießigkeit und gesellschaftlichen Backlash. Pro und Contra hatten dabei am Morgen rund gleich große Lager.
Freilich steht die Zeitung mit der albernen Debatte, die in etwa auf dem Niveau von "Tunten zwecklos" in Dating-Profilen geführt wird, nicht alleine: "Männer", das nach eigener Ansicht "führende deutschsprachige Lifestylemagazin für schwule Männer", stellt in der aktuellen Ausgabe unter Ignoranz von Bindestrichregeln wie von längst ausdiskutierten Debatten die Frage "Homo Randale oder Anpassung?"
Zur Einleitung fragt Chefredakteur David Berger: "Haben wir mit unseren Forderungen vielleicht den Bogen überspannt? Die Gesellschaft durch zuviele Provokationen überfordert?" Da sollte man von einem etablierten schwulen Magazin mit Selbstbewusstsein und Rückgrat ein klares "Nein" erwarten, bekommt aber keinerlei Haltung oder zumindest Aufklärung geboten, sondern von Berger nur die rhetorischen Gegenfragen geliefert.
In einem Debattenbeitrag kommt dann ein Dennis Deuling zu Wort, einer, zu dem Google ebenfalls nicht viel findet, und der behauptet: "Wenn wir dauernd unser Schrill- und Anderssein betonen, werden wir auch anders behandelt." Er kritisiert, dass etwa Conchita Wurst auf eine "schockierende Andersartigkeit" setze, um direkt im Anschluss aufzuzeigen, wohin diese "Andersartigkeit" führe: "Erst wurden Indianer in Reservate gesperrt, dann wurden Schwarze versklavt und was im Dritten Reich mit den 'Andersartigen', besonders den Juden, passierte, muss hier nicht ausgeführt werden."
Nicht nur die Deutsche Aids-Hilfe kritisierte danach, der Mann mache "eine unterstellte 'Andersartigkeit' von 'Indianern', Schwarzen und Juden dafür verantwortlich, was sie erlitten haben." Opfer würden zu Mittätern gemacht. Delling selbst schreibt dazu passend: "Wenn wir permanent unsere 'Andersartigkeit' betonen, ist es nicht verwunderlich, dass die heterosexuelle Mainstream-Gesellschaft Angst vor uns bekommt."
Später schreibt er, konservativ erzogene Politiker sähen durch "promotete 'Andersartigkeit'" das Wertesytem in Gefahr. "Promotete"? Von da ist es nicht weit zum Vorwurf der Homo-"Propaganda". Und in der Tat bezeichnet Delling das russische "Homo-Propaganda"-Gesetz als "logische Konsequenz".
Wozu braucht man Gegner von AfD über Kuby bis Putin, wenn man solche Schwule hat, die als Zeichen der Anpassung gleich ihre Voruteile und ihren Hass übernehmen? Das ganze zeugt nicht nur von einer gefährlichen Fehldeutung der Bewegung wie der Menschheitsgeschichte überhaupt, sondern auch von einem erschreckenden Mangel an Solidarität und Toleranz. Es mag einige geben, die so denken, was Berger als Begründung für diese Debatte "ohne Denkverbote" anführt. Es ist aber keine zielführende, sondern rückständige und menschenfeindliche Denkschule, die sich da präsentiert. Kurz: Einfalt statt Vielfalt.
Die "Siegessäule" hatte einst die Rubrik "Dafür haben wir nicht gekämpft", und Rial-Farina und Deuling wären gute Kandidaten für eine Neuauflage (wie einige mehr, die Berger in seinem zunehmenden, auf Facebook gar teilweise nach Bullying anmutendem Kampf gegen fast alles und jeden in der Szene auffährt und noch auffahren will). Dabei ist freilich das Gegenteil der Fall: Die Bewegung hat auch für die Freiheit von Deuling & Co. viele Ziele erreicht, die es mit reiner Anpassung nie gegeben hätte. Und zur Freiheit gehört auch, so "schrill" zu sein, wie man es will.
Daher wünschen wir allen Hamburgern, die an diesem Wochenende beim CSD feiern und Forderungen aufstellen, viel Spaß und viel Erfolg. Wir wünschen es auch den Leuten in Essen, Nürnberg, Wiesbaden, Ulm, Bonn und Bad Tölz: Zelebriert eure Andersartigkeit und Vielfalt! (nb)














